Zimmertemperatur bei Roten? Echter Korken zeigt Qualität? Das stimmt genauso wenig wie viele andere Weisheiten rund um edle Tropfen.

René Baumgart sieht zwar nicht so aus, er ist schlank und drahtig, aber tatsächlich hat er sein Berufsleben dem Alkohol gewidmet. Genauer gesagt dem Wein - und den vielen anderen Endprodukten, die der Genussmensch im Laufe seiner Entwicklung aus Trauben herzustellen lernte. Nach einer langen Reise durch verschiedene hochwertige Gastronomien, Weingüter und -keller hat der Sommelier nun bei Kemnitz Weinimport, einem der größten Hamburger Weinhändler, angeheuert. Hier berät er in erster Linie Gastronomen, die immer auf der Suche nach Gewächsen, Sorten und Produkten sind.

Was Baumgart dabei immer wieder fasziniert, ist die Tatsache, dass es rund um das schier unerschöpfliche Thema Wein nicht wenige "Ammenmärchen" gibt, die sich nach wie vor hartnäckig halten. Das fange mit der richtigen Trinktemperatur für Rotweine an: "Ja, ja, die Zimmertemperatur", sagt Baumgart und lächelt dabei verschmitzt, "die bezieht sich auf ein normannisches Schloss im Mittelalter, als die Raumtemperatur zwischen 14 und 18 Grad lag." Unsere heutigen Heiztechniken und Zimmertemperaturen von über 20 Grad würden den Geschmack eines Rotweins eher ruinieren, denn: "Zu warmer Wein betont den Alkoholgehalt und drängt die Geschmacksnoten in den Hintergrund!"

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Leichte Rotweine - wie beispielsweise einen Trollinger - sollte man daher mit 12 bis 14 Grad genießen, denn das hebe die Fruchtigkeit heraus. Bei Weißweinen sei die ideale Trinktemperatur zwischen acht und zwölf Grad angesiedelt. Baumgart: "Je niedriger die Temperatur, desto mehr wird der Alkoholgehalt heruntergedrückt."

Zu den Ammenmärchen gehört auch, dass noch immer viele Europäer, vor allem aus angelsächsischen Ländern, der Meinung sind, deutsche Weine seien stets lieblich. "Aber diese Ansicht ist überholt", sagt Fausta Rackute, die erfahrene Sommelière des Steigenberger Hotels. Sie freut sich darüber, dass eigentlich schon abgeschriebene Rebsorten jetzt wiederentdeckt werden. "Mittlerweile wird in Deutschland schon Syrah angebaut", sagt sie, "und wenn es einen Trend gibt, dann ist es sicherlich die Lust am Entdecken von ausgefallenen und alten Rebsorten wie zum Beispiel Trabato und Solaris."

Lars Hentschel, der Sommelier des Hotels Atlantic Kempinski, stößt ins selbe Horn: "In Wahrheit werden immer mehr deutsche Weine getrunken, denn die jungen Winzer machen schon seit Jahren richtig tolle Sachen."

Um das Interesse für Weine zu wecken, die über "Liebfrauenmilch" oder "Oppenheimer Krötenbrunnen" hinausgehen, empfiehlt Hentschel den Wein-Einsteigern in der Regel fruchtige und trockene Weißweine von der Mosel. "Die machen Spaß und tun auch vom Preis her nicht weh", sagt er. Bei Rotweinen rät Hentschel zum Anfang zu australischen Gewächsen, vorzugsweise Shiraz. "Da bekommt man schon einen sehr anständigen Wein für unter zehn Euro. "Weine für unter 2,50 Euro können prinzipiell nicht gut sein. Beim Wein ist Geiz nun mal nicht geil." Geiz sei auch bei der Degustation nicht angesagt: "Ins Glas gehört immer ein ordentlicher Schluck. Und wer den Wein schön geräuschvoll probiert, damit Luft rankommt, macht keinen Fehler!"

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Die entstehen zumeist vorher, bei der Lagerung. Ideal sei ein dunkler Keller mit einer konstanten Temperatur von acht bis zehn Grad und einer ebenso konstanten Luftfeuchtigkeit von mindestens 35 bis hin zu 70 Prozent für eine längere Lagerung, "aber nicht zu viel", warnt Baumgart, "denn eine zu hohe Raumfeuchtigkeit kann schnell zum Verschimmeln der Etiketten führen." Je höher die Lagertemperatur, desto schneller reife der Wein.

Einfache Qualitätsweine halten sich mindestens ein bis drei Jahre, säurebetonte Weine wie beispielsweise Rieslinge auch länger. Spätlesen und Auslesen sind für mindestens drei bis fünf Jahre vinifiziert (auch länger), und Beerenauslesen auch darüber hinaus (Eisweine, Trockenbeerenauslesen). Man kann sie also durchaus schon mal vererben ...

Weine, die mit Naturkorken verschlossen sind, können nach längerer Lagerzeit jedoch fremde Aromen annehmen. "Auch Pappe, Papier und Teppiche, die in einem feuchten Keller gelagert werden, müffeln irgendwann - das kann man dann irgendwann schmecken", sagt Baumgart. Genau so wie Lösungs- und Reinigungsmittel oder Farben. "Dabei macht es prinzipiell keinen Unterschied, ob Weine stehend oder liegend gelagert werden. Neue Untersuchungen haben ergeben, dass das vorhandene Luftpolster in einer Flasche für den Reifungsprozess ausreicht."

Baumgart präferiert den Schraubverschluss. "Zwar heißt es, 'nur billige Weine haben einen Schraubverschluss'." Aber das stimme nicht, im Gegenteil: "Ein Schraubverschluss ist absolut dicht, die Winzer müssen mit dieser Verschlusstechnik sauberer arbeiten, und überdies ist sie im Vergleich zum einfachen Naturkorken auch teurer." Von Kunststoffkorken ist der Sommelier nicht besonders angetan: "Bei längeren Lagerung kann Wein den Kunststoffgeschmack annehmen."

Dass ein Wein einen Nebengeschmack annimmt, passiere jedoch am häufigsten bei Naturkorken. Dann "korkt" der Wein, und dieser Geschmack verfliegt auch nach stundenlangem "Lüften" nicht. "Dies ist nur ein Gerücht", sagt Baumgart, "so wie die Annahme, Salz helfe gegen Rotweinflecken." Gegen Flecken helfe nur, sie gar nicht entstehen zu lassen, zum Beispiel mit dem "Drop Stop", der Erfindung des dänischen Ingenieurs Brian Vang Jensen. Das ist eine flexible, beschichtete Scheibe, die sich zusammenrollen und in den Flaschenhals stecken lässt.

Ein weiteres Vorurteil: In Supermärkten könne man keine guten Weine kaufen. Dabei besitzen die meisten Supermärkte längst gut sortierte Weinabteilungen. "Tatsächlich sollte man jedoch eher jüngere Jahrgänge in den Supermärkten kaufen", empfiehlt Baumgart, "denn die Lagerhaltung in den Regalen ist alles andere als optimal, da der Wein ja zumeist warm, in hellem Licht steht." Wenn ein Wein dann korkt, gibt es keine Rücknahmegarantie, weder beim Fachhändler, noch im Supermarkt. "Aber niemand verbietet es, zu fragen", sagt Baumgart, "für gewöhnlich kann ein korkender Wein der Kundenbindung wegen auch zurückgenommen werden."

Im Laufe seines Berufslebens hat der Fachmann ein paar "Lieblings-Weinirrtümer" gesammelt. So auch jenen, dass Roséweine aus Rot- und Weißweinen gemischt werden. Dies sei ebenfalls ein Gerücht und stimme nur in sehr wenigen Fällen, etwa beim "Schillerwein". Dagegen stimmt es, dass Champagner zu zwei Dritteln aus roten Trauben besteht: "Das Fruchtfleisch der meisten roten Rebgewächse ist hell - nur die Schale eben nicht", sagt Baumgart. Zum Vorurteil, dass "süße Weine automatisch Kopfschmerzen verursachen", sagt er: "Wenn man vom Weintrinken Kopfschmerzen bekommt, dann zumeist deswegen, weil man auf den im Wein enthaltenen Schwefel allergisch reagiert."