Berlin. Die Angst, dass Russland den Gashahn völlig zudreht, wächst. Ein weiterer Preisschub droht. Der Euro sorgt für zusätzliche Probleme.

Der Gang in den Supermarkt sorgt in diesen Tagen für schlechte Stimmung: Die Rechnung ist spürbar höher als beim letzten Einkauf. Auch der Zwischenstopp an der Zapfsäule vermiest die Laune. Die Preise steigen auf breiter Front, das Nettoeinkommen schmilzt.

Michael Backfisch, Politik-Korrespondent
Michael Backfisch, Politik-Korrespondent © Reto Klar | Reto Klar

Die EU-Kommission hat nun die Wirtschaftsprognose für Europa deutlich nach unten korrigiert. In der Eurozone steigt die Inflationsrate auf den historischen Höchstwert von 7,6 Prozent. Besonders schlecht schneidet Deutschland ab. Hierzulande wird die Preissteigerungsrate im laufenden Jahr 7,9 Prozent betragen, das Wachstum mickrige 1,4 Prozent.

Fest steht: Deutschland und Europa müssen sich auf einen perfekten Sturm einstellen, in dem sich verschiedene Krisen potenzieren. Im Zuge des Ukraine-Kriegs grassiert die Angst, dass Russland den Gashahn bald völlig zudreht und die Energiepreise weiter explodieren.

Hohe Transportpreise würgen den Welthandel ab

Rasant steigende Energiepreise verteuern die Produktion der Unternehmen. Diese geben die Kosten an die Verbraucher weiter. Der Preisschub alarmiert wiederum die Gewerkschaften – sie versuchen, die schrumpfenden Netto-Budgets über hohe Lohnforderungen zu kompensieren. Es entsteht die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale, die die Inflation anfachen würde. Ein weiterer Bremsfaktor: Hohe Rechnungen für Öl, Gas, Benzin, Diesel oder Kerosin treiben die Transportpreise in die Höhe, was den Welthandel abwürgt.

Zuvor hatte die Coronakrise bereits Sand ins Getriebe der globalen Wirtschaft gestreut. Weltweite Lockdowns ließen die Nachfrage der Konsumenten einbrechen. Speditionsfirmen kürzten ihre internationalen Schifffahrtslinien. Lieferketten brachen ab. Bis heute sind sie nicht intakt.

Öl und Gas werden in Dollar abgerechnet – das verteuert die Energie-Importe zusätzlich

Der Absturz des Euros im Vergleich zum Dollar ist ein zusätzliches Hindernis. In den vergangenen Tagen war die US-Währung sogar kurzzeitig mehr wert als ihr europäischer Gegenpart. Das lag vor allem daran, dass die US-Notenbank die Leitzinsen bereits in mehreren Schritten angehoben hat, um der nach oben schießenden Inflation entgegenzuwirken. Die Europäische Zentralbank (EZB), die die Gefahr der Preissteigerung sträflich unterschätzt hat, hinkt hier hinterher.

Darüber hinaus haben internationale Anleger die Sorge, Europas Wirtschaft wegen ihrer starken Abgängigkeit von russischem Gas noch weiter unten gezogen wird. Da Öl und Gas hauptsächlich über den Dollar abgerechnet werden und die EU-Länder viel Energie importieren müssen, entsteht daraus ein zusätzlicher Inflationstreiber.

Die fetten Jahre sind vorbei – jetzt ist Bescheidenheit gefragt

Die Bundesregierung hat nun den Turbo bei der Diversifizierung eingeschaltet. Als Ersatz für das billige russische Gas wird teures Gas auf dem Weltmarkt eingekauft, was mit voller Wucht auch bei den Verbrauchern ankommt. Der Staat steht in der Pflicht, als Korrektiv aufzutreten, um die soziale Balance im Land zu wahren. Geringverdiener und Bedürftige müssen Ausgleichszahlungen erhalten.

Die Gesellschaft sollte sich mit dem Gedanken anfreunden, dass die fetten Jahre vorbei sind. Wir werden den Wohlstand der vergangenen Jahre nicht halten können. Jetzt ist Bescheidenheit gefragt. Es geht darum, Solidarität mit der brutal attackierten Ukraine zu zeigen. Und die Konsequenzen zu tragen, dass Russland mit dem Angriffskrieg Europas Nachkriegsordnung aus den Angeln gehoben hat.

Der frühere Bundespräsident Joachim Gauck drückt es so aus: „Wir sind nicht nur die, die Wirtschaftswunder können. Sondern wir sind auch die, die einmal die Zähne zusammenbeißen können, wenn wir damit anderen Menschen helfen können.“

Dieser Artikel ist zuerst auf waz.de erschienen.