Wirtschaftsminister Habeck ruft Alarm bei der Erdgas-Versorgung aus. Die Krise können wir nur alle zusammen lösen, meint unser Autor.

Viel früher als gedacht ist der Ernstfall bei der Gasversorgung da. Nicht erst im Herbst oder Winter, wenn in Deutschland die größten Mengen des wichtigen Energieträgers verbraucht werden, dreht Wladimir Putin den Gashahn zu. Sondern schon jetzt, während die Vorbereitungen zum Gassparen erst anfangen. Die unterirdischen Speicher sind zu rund 58 Prozent gefüllt, Kohlekraftwerke noch nicht aus der Reserve geholt und weite Teile von Industrie und Verbrauchern nicht auf den großen Schock vorbereitet.

Der Plan der Bundesregierung, den Anteil russischen Gases am deutschen Bedarf von 55 Prozent am Beginn dieses Jahres auf rund 30 Prozent zum Jahresende zu senken, ist obsolet. Bundeswirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck muss seine Pläne jetzt an einer anderen Zahl ausrichten: null Prozent Gas aus Russland – und zwar vielleicht schon in wenigen Wochen.

In seinem Krieg gegen die Ukraine setzt Putin das Erdgas immer mehr als wirtschaftliche Waffe gegen die Unterstützer des angegriffenen Landes ein. So auch gegen Deutschland. Putin versucht, die Gesellschaft durch explodierende Preise zu spalten, die bislang nahezu geschlossene Unterstützung für die Ukraine zu brechen und der westlichen Wirtschaft maximalen Schaden zuzufügen.

Diese Realität hat Minister Habeck bei der am Donnerstag erfolgten Ausrufung der Alarmstufe im Notfallplan Gas ganz klar und ohne Zurückhaltung ausgesprochen. Mehr zum Thema:Scholz, Habeck, Lindner: So machen sie sich in der Krise

Warum sich Deutschland derzeit in trügerischer Sicherheit befindet

Der Grünen-Politiker mahnt zu Recht, dass wir uns an den aktuell heißen Sommertagen in trügerischer Sicherheit befinden. Zwar reichen die aktuell schon stark reduzierten Gaslieferungen aus Russland noch aus, um den Bedarf von Wirtschaft und Privathaushalten zu decken und die Speicher weiter zu füllen. Doch schon in zweieinhalb Wochen, wenn die Ostseepipeline Nord Stream 1 planmäßig für Wartungsarbeiten abgeschaltet wird, könnte es ganz anders aussehen.

Alexander Klay, Wirtschaftskorrespondent
Alexander Klay, Wirtschaftskorrespondent © Reto Klar | Reto Klar

Dann kommen voraussichtlich für mindestens zehn Tage nur noch kümmerliche Mengen über andere Röhren aus Russland nach Deutschland. Und wer weiß, ob Putin Nord Stream 1 nach den Wartungsarbeiten überhaupt wieder mit Gas befüllen lassen wird?

Schon die momentan gekürzten Liefermengen begründet Putin offenbar mit fadenscheinigen Argumenten – so zumindest die Überzeugung von Vizekanzler Habeck.

Das schlimmste anzunehmende Szenario wäre ein schwerer Schlag für die Menschen in Deutschland. Durch den zu erwartenden Preisanstieg wird die heiße Dusche oder die warme Wohnung für immer mehr Menschen zu einem Luxusgut, für die Industrie beginnt direkt nach den Verwerfungen der Corona-Pandemie die nächste Großkrise. Putins Wirtschaftswaffe würde einen Volltreffer landen.

Gasversorgung: Notlage muss jetzt mit aller Kraft abgewendet werden

Wenig hilfreich ist es, in dieser Lage mit großem Eifer nach Ursachen und Schuldigen für die hohe Abhängigkeit Deutschlands von russischem Gas oder nach anderen Fehlern in der deutschen Energiepolitik der vergangenen Jahre zu suchen. Die Scherben werden danach zusammengekehrt. Weiterlesen:Gas könnte knapp werden: Diese Sparmaßnahmen plant Habeck

Alle Kraft muss jetzt in die Abwendung der bevorstehenden Notlage gesteckt werden: Alte Kohlekraftwerke müssen wohl oder übel wieder aus der Reserve ans Netz. Wer seine Gastherme schon lange nicht mehr hat warten lassen, sollte das schnell nachholen. Und – so fern dieser Gedanke an Tagen mit 30 Grad Außentemperatur auch sein mag – wir sollten uns drauf einrichten, die Heizung in der kalten Jahreszeit etwas niedriger einzustellen. Das tut nicht weh.

Dieser Artikel erschien zuerst auf waz.de.