Berlin. Frank-Walter Steinmeier will Bundespräsident bleiben. Seine Bewerbung kommt nicht überraschend, sondern zu einem klugen Zeitpunkt.

Kluge Menschen, die erfolgreich Karrieren aufbauen, tun dies am besten nach dem Motto: „Handele selbst, bevor Du behandelt wirst“. Diese Weisheit der Macht wird Frank-Walter Steinmeier im Kopf gehabt haben als er entschied: Ich bewerbe mich aktiv und früh um eine zweite Amtszeit als Bundespräsident.

Ganz so überraschend, wie es jetzt häufig heißt, kam Steinmeiers Schritt nicht. Schon länger sondiert der Schlossherr von Bellevue im Hintergrund und er zeigt auch keinerlei Amtsmüdigkeit. Im Gegenteil: Der Bundespräsident wartet ungeduldig darauf, dass er nach einer abklingenden Pandemie wieder als „Bürgerpräsident“ unters Volk kann.

Steinmeier fremdelt mit Maske, Abstand und dem kalten Digitalformat. Er ist der Präsident, der gerne mal das Sakko ablegt, die Ärmel hochkrempelt und bei einem Glas Bier am Stehtisch dem Volk auf den Zahn fühlt. Es ist eine Pose, die Steinmeier nie spielen musste. Sie gehört schon immer zu dem Mann aus Brakelsiek der im Politikbetrieb seine angenehme, menschliche Seite nie verloren hat.

Aber warum haut Steinmeier ausgerechnet jetzt auf die Pauke? Und was bedeutet die Bewerbung vier Monate vor der Bundestagswahl für die politische Macht-Tektonik? Es waren sicher die freundlichen Signale aus der FDP, die Steinmeier Mut gemacht haben. Christian Lindner hat den Weg freigemacht für die zweite Amtszeit, was man durchaus als dezentes Signal der Offenheit für eine Ampel aus SPD, Liberalen und Grünen werten darf.

Steinmeiers Bewerbung bringt Baerbock und Laschet in die Bredouille

Jörg Quoos, Chefredakteur Funke Zentralredaktion Berlin
Jörg Quoos, Chefredakteur Funke Zentralredaktion Berlin © Dirk Bruniecki

Für Union und Grüne kommt der Steinmeier-Vorstoß dagegen zur Unzeit. Sie sind zu diesem Thema noch nicht sortiert und suchen ihr Heil im Vertagen des Problems auf nach der Bundestagswahl.

Anna Lena Baerbock müsste eigentlich für eine erste grüne Bundespräsidentin kämpfen. Aber passt das, wenn Sie gleichzeitig erste grüne Kanzlerin werden will?

Armin Laschet wiederum müsste das Amt des Bundespräsidenten für die Union zurückholen, um das Klischee des schwächelnden Vorsitzenden abzustreifen. Als neuer Chef muss er für den eigenen Laden Beute machen - dieser Druck wird aus den eigenen Reihen und besonders von der CSU kommen. Aber wird sich Laschet dafür verkämpfen wollen?

Merkel hat es schon zweimal schlecht vorgemacht

Das Fingerhakeln um den eigenen Bundespräsidenten kann auch schlecht ausgehen: Angela Merkel hat gleich zweimal gezeigt, wie man sich beim Thema Bundespräsident Ärger einfängt.

Die Kanzlerin setzte erst auf den glücklosen Horst Köhler, der beleidigt die Brocken hinwarf. Und dann auf Christian Wulf, der nach Recherchen zu seinen Privat-Finanzen das Handtuch warf. Beide Entscheidungen haben der damaligen CDU-Chefin geschadet.

Frank-Walter Steinmeier steht jetzt frühzeitig als stattlicher Kandidat auf dem Feld und wer ihn abräumen will, braucht nicht nur gute Argumente, sondern auch einen noch besseren Gegenkandidaten. Daher ist es aus Sicht von Schwarzen und Grünen vielleicht schlau, sich ohne Streit auf Steinmeiers zweite Amtszeit zu einigen. Bei einer Welt im Umbruch und dem Abgang der Dauerkanzlerin Angela Merkel, ist Kontinuität an der Staatsspitze keine schlechte Idee.

So sieht es Steinmeier jedenfalls selbst, das war zwischen den Zeilen aus seiner Bewerbungsrede herauszuhören. Er weiß um seinen wichtigsten Vorteil: Er ist kein Grüß-August, sondern als ehemaliger Kanzleramtsminister, Fraktionsvorsitzender und Außenminister ein Vollprofi für innere und äußere Krisen.

Das ist ein durchaus beruhigender Gedanke, wenn man im Herbst eine neue Regierung wählt, die erstmal Tritt fassen muss.