Berlin. Nach 15-stündigen Verhandlungen gehen die Sondierungen nochmals in die Verlängerung. Es hakt vor allem bei der Flüchtlingspolitik.

Ein paar Stunden Schlaf, dann schnell unter die Dusche und wieder an den Verhandlungstisch: Horst Seehofer trifft am Freitagmorgen am Konrad-Adenauer-Haus ein. „Es lohnt sich, dass wir in die Verlängerung gehen“, sagt der CSU-Chef. Er spricht leise, wirkt müde, ist blass.

In der CDU-Parteizentrale haben die

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Asyl bekommen, weil niemand daran gedacht hatte, andere, neutrale Tagungsräume zu mieten. Schließlich hatten alle gehofft, dass die Sondierungen bereits in der Nacht zu Freitag zu Ende sein würden. Doch im Streit über Flüchtlinge, Kohlekraftwerke und Soli-Zuschlag sind CDU, CSU, FDP und Grüne keinen Meter weitergekommen. Da half auch kein 15-Stunden-Verhandlungsmarathon.

Angela Merkel wirkt frisch, Horst Seehofer nicht

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wirkt an diesem Morgen deutlich frischer als Seehofer. Sie freut sich „über die Gäste“ in der CDU-Zentrale. „Wir gehen sozusagen in Runde zwei“, sagt die Bundeskanzlerin. Es werde „sicherlich hart, aber es lohnt sich, Runde zwei heute noch mal zu drehen“. Es sei nicht ganz trivial, die Enden zusammenzubringen.

Schulz: "Parteien müssen zu Potte kommen"

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    Trivial ist mindestens eine leichte Untertreibung. Seit mehr als vier Wochen treffen sich die Parteien nun. Und je länger die Verhandlungen dauern, desto mühsamer und trostloser wird der Weg nach Jamaika.

    Bei den Liberalen ist die Frustration groß

    CSU und Grüne stehen sich in der Flüchtlingsfrage diametral gegenüber, insbesondere beim Familiennachzug. Seehofer will auf die Kompromisssignale der Grünen nicht eingehen: „Im Ergebnis heißt das alles mehr Zuwanderung.“

    Die Frustration ist aber auch bei den anderen groß. „Wir drehen uns im Kreis“, heißt es bei der

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    . „Wir gehen zwei Schritte vor und drei zurück.“ Die Liberalen ärgern sich auch über den Verhandlungsstil und den quasireligiösen Ton, den manche Grünen-Verhandler anschlügen: Die Grünen sollten bitteschön nicht immer von ihrer „Seele“ reden, wenn es um praktische Fragen wie den Familiennachzug gehe. Für Ärger sorgt auch, dass die Grünen bei eigentlich längst geklärten Problemen auf den letzten Metern ihre Zustimmung wieder zurückzögen und zum Teil neue Forderungen aufstellten. Das sagen die Grünen umgekehrt auch über die FDP und die CSU.

    Gut möglich, dass die Jamaika-Idee mit einem Knall zerplatzt

    Mehrmals hatten Teilnehmer in der Nacht das Gefühl: Jetzt platzt es gleich. Dieses Gefühl ist auch am Freitag nicht vom Tisch. Gut möglich, dass es doch noch knallt – und sei es nur, weil eine Partei einmal demonstrativ die Runde verlässt, um alle wachzurütteln. Die Liberalen signalisieren am Nachmittag: Wenn sich in entscheidenden Punkten auch in den nächsten Tagen nichts bewegt, dann kann man’s auch lassen.

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      Keine 24 Stunden früher klang das noch anders: Merkel mahnte am Donnerstag eine Einigung an, forderte gleichzeitig Respekt für die harten Positionen. „Es wird in Deutschland oft davon gesprochen, dass die Parteien überhaupt nicht mehr unterscheidbar seien. Wer hier an den Verhandlungen teilnahm, der weiß, dass es sehr wohl Unterschiede gibt, gravierende Unterschiede gibt.“

      Ein durchgestochenes Verhandlungspapier ließ hoffen

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      , die Präambel ließ schon mal hoffen. „Uns eint die Verantwortung für die Menschen und die Zukunft unseres Landes“, heißt es da. Viele eckige Klammern enthält das umfangreiche Papier – also Uneinigkeiten, die geklärt werden sollten.

      Auch die FDP hatte am Donnerstag zunächst hörbar die Tonlage geändert. Die Liberalen, denen schon aus taktischen Gründen bislang daran gelegen war, sich möglichst distanziert zu äußern, bekannten ihre Lust auf Jamaika: Es sei ein Tag, „an dem wir die Menschen mit Mut und Tatkraft und neuem Denken beeindrucken können“, sagte FDP-Parteichef Christian Lindner. Staatstragend äußerte sich Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt: „Das ist heute ein Tag, bei dem wir sehr große Verantwortung spüren.“

      Es hakt immer wieder am Thema Migration

      Doch der Ton verschärft sich im Laufe des Abend zusehends. Nachdem die Chefunterhändler in getrennten Sitzungen ihre Parteien unterrichten, wird klar: Es hat sich kaum etwas bewegt – jedenfalls zu wenig für die CSU-Gruppe, in der es heißt: „Ohne eine klare Haltung zur Migration braucht der Seehofer nicht wiederkommen.“ Immer wieder die Migration, die Frage des Familiennachzugs. Zwar hakt es auch an anderer Stelle, etwa beim Klima.

      Doch da bewegt sich die Union, bietet einen Kompromiss an. Man kommt trotzdem nicht weiter. Unterdessen vertreiben sich die anderen Verhandler der großen Runde in den Räumen und den Fluren der parlamentarischen Gesellschaft die Zeit. Sie spielen Karten, die Garnelenspieße am Büffet kommen gut an. Die Krawatten sind schon längst abgelegt.

      CSU und Grünen dürfte es vor allem um die eigene Basis gehen

      Ein Machtkampf finde in der CSU statt, heißt es wenig später von den Grünen. Man selbst sei weiter gesprächsbereit, aber die Union zerfalle beim Flüchtlingsthema in verschiedene Lager: Die CSU sei untereinander zerstritten und auch mit der CDU nicht einig. Auch über einen Machtkampf zwischen Seehofer und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt wird geredet. „Vollkommener Blödsinn, Schwachsinn, Unsinn“, sagt Seehofer am Freitag.

      Jamaika-Sondierungen gehen in die Verlängerung

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        Beiden Seiten dürfte es in dem nächtlichen Tauziehen vor allem um die eigenen Reihen gegangen sein. Die Grünen müssen alle Kompromisse in einem Jamaika-Sondierungspapier auf ihrem Parteitag am 25. November durchkriegen. Das wird nicht einfach – zumal die Grünen-Spitze als erster Verhandler schon vor knapp zwei Wochen beim Thema Verbrennungsmotor und Kohleausstieg ihre Ausstiegsdaten preisgegeben hatte. Jetzt fordern sie ähnliche Zugeständnisse bei den anderen.

        Die FDP zeigt sich beim Solidaritätszuschlag kompromisslos

        Geben und Nehmen? Am Freitagabend war vollkommen unklar, wie aus den Gegensätzen doch noch Kompromisse werden sollen. Denn es sind nicht nur Grüne und CSU, die sich offenbar wenig bewegen. Kompromisslos zeigt sich in manchem Punkt auch die FDP: „Wir sind für jedes kreative Modell offen, wenn es dazu führt, dass der Solidaritätszuschlag bis zum Ende der Legislaturperiode abgeschafft wird“, sagt FDP-Fraktionsgeschäftsführer Marco Buschmann dieser Zeitung. Die Jamaika-Sondierer hatten sich bereits darauf verständigt, den Soli schrittweise abzubauen. Streit gibt es aber noch über die Frage, ob der Zuschlag vollständig oder nur teilweise für untere und mittlere Einkommen abgeschafft werden soll, wie es die Grünen verlangen.

        Einer bricht die Frustration am Freitagmorgen auf eine sehr menschliche Ebene herunter. „Das ist mein letztes frisches Hemd“, sagt FDP-Vize Wolfgang Kubicki auf dem Weg ins Adenauer-Haus. Seine Frau müsse daher nach Berlin kommen und ihm welche bringen.

        Die Deutschen verlieren die Lust auf Jamaika

        Auch in der Bevölkerung beginnt die Idee von Jamaika alles Frische zu verlieren: Laut ZDF-Politbarometer finden nur noch 50 Prozent der Wähler ein Bündnis von CDU, CSU, FDP und Grünen gut. Das sind sieben Punkte weniger als kurz nach Beginn der Gespräche.

        Und Herr Kubicki? Bekommt keine frischen Hemden. Seine Frau denkt gar nicht daran, nach Berlin zu fahren. Sie sei sich sicher, dass ihr Mann „das Problem auch ohne mich lösen wird“. Zum Beispiel: durch schnelle Kompromisse. Doch das wird wohl nichts. Wahrscheinlich wird das ganze Wochenende über verhandelt.