Hamburg. Immer nur unter sich zu trinken macht ja auch keinen Spaß. Deshalb probierten die „Vier Flaschen“ mal ein neues Format aus.

Wie ist es, mit Menschen aus ganz Deutschland Wein zu trinken und darüber zu reden? Die kurze Antwort: großartig.

Oder, um es mit Sabine Mohrmann aus Oldenburg und etwas ausführlicher zu sagen: „Was für ein tolles Format war das! Zu dritt waren wir bei eurem Online-Weinseminar dabei, und ich habe zwei neue Fans für euch gewonnen. Wie immer war es eine gelungene Mischung von Würdigung der wunderbaren Weine und Vermittlung von viel Wissenswertem, und das mit Witz, Charme und Situationskomik – herrlich! Es war toll, dabei zu sein mit allen Sinnen.“

Sabine Mohrmann war eine von mehr als 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmern an der ersten Live-Ausgabe unserer Podcast-Reihe „Vier Flaschen“. Alle verfolgten am Laptop oder Smartphone nicht nur in Echtzeit, wie Weinkenner Michael Kutej, Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider und der vormals passionierte Biertrinker Axel Leonhard „Vier Flaschen“ bewerteten – sie hatten diese vorher auch nach Hause geschickt bekommen, konnten also live mitprobieren.

Soll heißen: An diesem Abend wurden in etwas mehr als 90 Minuten mehrere Hundert Flaschen Wein getrunken, in Hamburg, Tornesch und Buxtehude genauso wie in Mainz, Dortmund, Rodgau, Stralsund, Neuwied, Freising oder Pulheim. „Wiederholung? Sehr gerne!“, schreibt Sabine Mohrmann.

Schmerzhafter Unfall stoppte Winzer Philipp Wittmann

Dabei hatte der Tag der ersten Live-Ausgabe für die Macher von „Vier Flaschen“ mit einem Schrecken begonnen. Am Morgen bekam Michael Kutej eine E-Mail mit der Betreffzeile „Mayday!!!“ von Philipp Wittmann. Der Winzer, dessen Weingut aus Rheinhessen zu den bekanntesten und besten der Republik gehört, sollte am Abend eigentlich Gast bei den „Vier Flaschen“ sein – und musste wenige Stunden vor der Premiere wegen eines Unfalls absagen.

„Liege mit Nasenbeinbruch und Gehirnerschütterung im Bett, tut mir so leid“, schrieb Wittmann, der im Podcast von einem seiner engsten Vertrauten ersetzt wurde: Matthias Müller arbeitet seit sieben Jahren für das auf Rieslinge spezialisierte Weingut (75 Prozent des Ertrags), ist dazu noch Önologe – und konnte allein deshalb schon die vielen Fragen aus dem Publikum beantworten (siehe Begleittext unten).

„Die Scheurebe führt zu Unrecht ein Schattendasein“

Getestet wurden vier Wittmann-Weine, alle aus dem Jahr 2019: Los ging es mit einer Scheurebe, einer Rebsorte, die nach ihrem Erfinder Julius Georg Scheu (aus Krefeld!) benannt ist, und die laut Lars Haider „zu Unrecht ein Schattendasein“ in Deutschland führt. Oft wird die Scheurebe mit einem Sauvignon Blanc verglichen oder gar verwechselt, bei der aktuell probierten Flasche bestand diese Gefahr nicht: „Der Wein ist frisch und leicht, eignet sich deshalb sehr gut als Start in eine solche Weinprobe, aber auch als Aperitif“, so Kutej, für den die Scheurebe stark nach Honig roch, während Müller und Haider eher grünes Gemüse, zum Beispiel Paprika, in der Nase hatten.

Flasche Nummer zwei war ein Grauer Burgunder, an dem sich, wie so oft bei den „Vier Flaschen“, eine Diskussion entzündete. Hintergrund: Der Graue Burgunder (oder Grauburgunder) ist in Deutschland eine der populärsten Rebsorten, wird gerade in Restaurants und in größeren Runden oft bestellt, „weil er keinem wehtut und der kleinste gemeinsame Nenner“ ist, so Kutej. Er ist bekanntermaßen kein großer Anhänger vom Grauburgunder, auch Matthias Müller findet die Rebsorte „allgemein nicht so vielfältig und spannend wie etwa Rieslinge“. Lars Haider geht sogar noch weiter: „Trinkt lieber zehn Rieslinge als einen Grauburgunder“, rief er den Zuschauerinnen und Zuschauern zu. Immerhin: Der Graue Burgunder von Wittmann ließ sich im Vergleich zu vielen (und zugegebenermaßen oft deutlich billigeren) Konkurrenten gut trinken.

Was wie eine Beleidigung klingt, ist ein Kompliment

Aber natürlich nicht so gut wie die beiden Rieslinge, die danach kamen: Den Gutswein, so etwas wie das Einsteigermodell, feierte Michael Kutej erst wegen seines „extremen Salz-Geschmacks“ – und ging dann noch weiter: „Nehmt mal einen größeren Schluck in den Mund, lasst ihn dort ein paar Sekunden, fahrt dann mit der Zunge unter der Oberlippe hindurch und drückt mit ihr gegen den Daumen!“, forderte er die Gäste auf. „Und, spürt ihr es? Es schmeckt wie früher in der Schule der Tafelschwamm, der sich mit Kreide vollgesogen hat.“ Was für Laien wie die maximale Beleidigung eines ambitionierten Rieslings klingt, war für Matthias Müller ein großes Kompliment: „Genau darum geht es uns. Dass man den Kalkboden schmeckt, auf dem dieser Wein wächst.“

Eine Flasche Scheurebe vom Weingut Wittmann. Dieser und andere Weine wurden zusammen mit dem Publikum verkostet.
Eine Flasche Scheurebe vom Weingut Wittmann. Dieser und andere Weine wurden zusammen mit dem Publikum verkostet. © David Maurer/Weingut Wittmann

Während für Müller und Kutej der Gutswein die Entdeckung des Tages war, konnten sich Leonhard und Haider vor allem für Flasche vier begeistern: den Westhofener Riesling, einen Lagenwein, der „irre nach Muskatnuss schmeckt“. Und welcher Wein war der Favorit des Publikums? Wieder eine einfache Frage, wieder eine klare Antwort: „Uns haben alle geschmeckt“, schrieben die meisten.

Die Fragen der Zuhörer und Zuschauer

Es dauerte nur eine Viertelstunde (und die ersten Schlucke Weine), dann rissen die Fragen des Publikums an die „Vier Flaschen“-Runde nicht mehr ab. Eine Auswahl, natürlich mit den Antworten der Experten.

Wie viel Zucker steckt in Wein?

Matthias Müller: „Durch Vergärung wird Zucker zu Alkohol. Je länger ein Wein gärt, desto mehr Zucker baut sich ab und desto weniger Zucker hat der Wein. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die Gärung zu stoppen. Man kann zum Beispiel das Fass abkühlen, weil die Hefen ab einer bestimmten Temperatur nicht mehr arbeiten. Dann bleibt ein bestimmter Restzuckergehalt.“

Michael Kutej: „Auch der Zeitpunkt der Lese ist entscheidend. Je später ich lese, desto mehr Zucker steckt dann konzen­triert in der Traube.“

Worauf sollte man bei Weingläsern achten, und gibt es Gläser, die ihr empfehlen könnt?

Kutej: „Wichtig ist insbesondere im Sommer, dass das Glas kein zu großes Volumen hat. Je größer das Volumen, desto schneller wird der Wein im Glas warm. Außerdem ist es wichtig, dass die Glasstärke relativ gering ist. Je feiner der Rand ist, desto besser trifft der Wein auf die Zunge und desto intensiver ist die Wahrnehmung. Am besten man probiert einfach, aus welchen Gläsern einem der Wein gut schmeckt. Auf die Glasfrage gibt es leider keine kurze, einfache Antwort.“

Müller: „Was ich gar nicht leiden kann, ist, wenn man das Weinglas zu voll macht. Lieber nur einen Hauch in das Glas geben und dem Wein ein bisschen Luft geben, dann entfaltet sich auch das Aroma viel besser.“

Kann ein Wein mit Schraubverschluss nach jahrelanger Lagerung noch besser werden, oder gilt das nur für Weine mit Korken?

Kutej: „Ein hochwertiger Wein mit Schraubverschluss wird mit der Zeit auf jeden Fall besser. Es findet zwar weniger Austausch mit der Umgebung als bei einem Korken statt, aber der Wein reift ja auch in sich, also innerhalb der Flasche. Es gibt zum Beispiel in Australien Schraubverschlussweine für 700 bis 800 Euro. Bei einfachen Weinen, die rund zehn Euro kosten, sind ein bis drei Jahre Lagerung perfekt, nach zehn Jahren muss man den Wein nicht mehr trinken. Viele Weine sollte man lieber jünger genießen.“

In einigen Restaurants gibt es zwar eine riesige Auswahl, der Kellner kennt sich mit den Weinen jedoch oft nicht aus und kann nicht beraten. Woran sollte man sich orientieren?

Kutej: „Man könnte natürlich vorsichtig fragen, ob es eine andere Person im Haus gibt, die etwas zu der Weinkarte sagen kann. Wenn keiner mich berät, würde ich lieber auf Nummer sicher gehen und einen Wein wählen, von dem ich weiß, dass er mir schmeckt. Orientierung geben kann das Land, aus dem der Wein kommt. Auch wenn der Kellner sich nicht wirklich auskennt, kann man ihn nach seiner Empfehlung fragen. Denn meistens nennen Kellner in Restaurants immer die Weine, über die sich die wenigsten Gäste beschweren. Der günstigste Wein auf einer Weinkarte wird übrigens fast nie bestellt.“

Sollte man Wasser mit oder ohne Kohlensäure zum Wein trinken?

Müller und Haider: „Kein Wasser!“

Kutej: „Ich trinke gerne stilles Wasser zum Wein, da die Kohlensäure meinen Gaumen zu sehr aufraut und mir das zu anstrengend wird. Auch bei Verkostungen gibt es eigentlich immer stilles Wasser, um den Gaumen zu beruhigen und zu neutralisieren.“

Welcher Teil des Weingeschmacks entsteht „aus dem Weinberg“ und welcher Teil entsteht erst nach der Lese?

Müller: „Wein zu machen ist ein sehr schwieriges Thema, da greifen ganz viele kleine Rädchen ineinander. Der Zeitpunkt der Lese und die Art und Weise, wie man den Wein vergärt, ob du Holzfässer nimmst, ob man Barrique-Fässer nutzt oder Edelstahl nimmt, beeinflusst massiv den Geschmack des Weines. Unsere Philosophie ist, die Natur so weit wie möglich arbeiten zu lassen, sodass man tatsächlich noch den Boden schmeckt.“

Warum hat Michael Kutej den Wein, bevor er ihn eingegossen hat, leicht geschüttelt?

Kutej: „Meine Flasche lag nicht komplett im Eis, der Flaschenhals schaute hervor. Damit sich die Kälte vom Flaschenboden gleichmäßig verteilt, habe ich die Flasche kurz in Richtung Verschlusskappe gedreht.“

Gibt es Weine, die zu einer Zigarette passen?

Kutej: „Es gibt zwar Weine, die eine rauchige Note haben. Ich würde allerdings nie zu besonders guten Weinen rauchen, da das immer das Geschmackserlebnis verändert.“