Hamburg. Zu Gast sind Steffen Christmann, Chef des Verbandes Deutscher Prädikatsweingüter, und seine Tochter Sophie, ebenfalls Winzerin.

Doppelte Premiere bei den „Vier Flaschen“, unserer Wein-Kolumne, die es auch als Audio-Podcast (www.abendblatt.de/podcasts) und als Video auf unserem YouTube-Kanal gibt. Zum ersten Mal probieren die drei Gastgeber, Michael Kutej, Lars Haider und Axel Leonhard, zwei Weine aus Portugal. Und zum ersten Mal ist der Präsident des Verbandes Deutscher Prädikatsweingüter (VDP), Steffen Christmann, zu Gast. Und das hat irgendwie auch mit der Coronakrise zu tun: „Wir haben uns gefragt, ob die Deutschen aktuell mehr und teuren Wein trinken, um die Situation rund um das Virusgeschehen zu vergessen“, sagte Lars Haider.

„Es ist wohl so, dass die Deutschen tendenziell mehr Weine kaufen, wenn sie im Moment im Supermarkt sind“, antwortete Christmann. Auch der Onlinehandel mit hochwertigen Weinen nehme zu, aber „nicht in dem Maße, in dem sonst Wein in Restaurants getrunken wird: Dort spüren wir brutale Bremsspuren.“ Das treffe vor allem die Top-Winzer, die normalerweise zwischen 30 und 50 Prozent ihrer Flaschen an Gas­tronomen verkaufen. „Wer höherwertige und damit teurere Weine will, will auch eine Beratung haben, und die fällt im Moment leider komplett weg“, ergänzt Michael Kutej. Die Winzer haben dabei ein Pro­blem, das auch die Gastronomen haben: „Eine Flasche, die heute Abend nicht getrunken wird, wird ja nicht in drei Monaten nachgeholt“, sagt Christmann.

Umtrunk per Facetime

Wobei Haider, Kutej und Leonhard bei sich und im Bekanntenkreis die Erfahrung gemacht haben, dass in der Coronakrise abends mehr Wein getrunken wird: „Und sei es, damit der Tag sich wenigstens an einem Punkt von dem Tag davor unterscheidet – durch einen anderen Wein“, so Haider. Im Trend liege auch, sich per Facetime mit Freunden zu einem Umtrunk zu verabreden: „Das haben wir auch schon gemacht“, sagt Christmann.

Der Weinpodcast mit Lars Haider, Axel Leonhard (o., v. l.), den Gästen Sophie­ und Steffen Christmann sowie Michael Kutej (u., v. l.).
Der Weinpodcast mit Lars Haider, Axel Leonhard (o., v. l.), den Gästen Sophie­ und Steffen Christmann sowie Michael Kutej (u., v. l.). © Axel Leonhard

Der VDP-Präsident hat natürlich auch einen Wein mitgebracht – und seine Tochter Sophie, die für den „Pfarrwingert“ Weißburgunder 2018 verantwortlich ist. Sie ist die neunte Generation des Weinguts A. C. Christmann, das es seit 1798 in der Pfalz gibt, und das vor allem für seine Rieslinge bekannt ist.

„Als ich vor zwei Jahren ins Unternehmen gekommen bin, habe ich etwas gesucht, bei dem ich mich ausprobieren und etwas verändern kann, und bin auf die Burgunder gestoßen“, sagt die Juniorchefin. „Mit den Rieslingen sind wir schon da, wo wir sein wollen, bei den Burgundern sehen wir noch Potenzial.“ Ihr Ziel sei es gewesen, einen etwas frischeren Weißburgunder zu produzieren. Deshalb habe man die Trauben früher als normal gelesen und mit Holz gearbeitet, damit der Wein „kräutig, würzig und cremig wird“.

Eleganter Wein

Das habe gut funktioniert, sagt Kutej, der den Trinkfluss lobt: „Der Wein ist sehr elegant, sehr fein, schmeckt gar nicht nach dem Hitzesommer 2018.“ „Wir haben auch wirklich sehr früh geerntet“, sagt Sophie Christmann und erklärt, dass man Spätburgunder vor den Grau- und Weißburgundern erntet – erst dann kommen die Rieslinge. Insgesamt ernte man die Trauben heute auch viel schneller: „Was wir früher in sechs Wochen gemacht haben, machen wir heute in 16 Tagen.“

Wie ist es, ein Weingut zu übernehmen, dessen Vorgeschichte man sogar bis ins 16. Jahrhundert nachverfolgen kann? „Der Druck ist groß. Ich will ja nicht die Generation sein, die das Familienunternehmen ruiniert“, sagt Sophie Christmann. „Ich will etwas Überzeugendes abliefern, habe dafür aber jedes Jahr nur einmal die Chance. Das macht das ganze so spannend, aber eben auch herausfordernd.“ Zumal die Winzerbranche immer noch eine sehr männerlastige Geschichte sei: „Auch da ist deutlich Potenzial nach oben.“

Kritischer Blick des Journalisten

Zur zweiten Flasche: ein Grauburgunder vom Karlstein, Edition C, 2019, von Klaus und Mathias Wolf, zwei Brüdern aus Birkweiler, einem Ort im Landkreis Südliche Weinstraße in Rheinland-Pfalz. Auf dem Etikett steht: „Hochreife Trauben sowie die lange Maischestandzeit verleihen dem Wein seine natürlich röliche Farbe.“ Das fällt dem Journalisten Haider selbstverständlich sofort auf. Er fragt: „Werden solche Etiketten eigentlich nicht Korrektur gelesen?“ Das weiß Michael Kutej nicht, „wahrscheinlich soll das Wort eine Mischung aus rötlich und fröhlich sein“.

Steffen Christmann mit Tochter Sophie vom Weingut Christmann in Neustadt/Weinstraße.
Steffen Christmann mit Tochter Sophie vom Weingut Christmann in Neustadt/Weinstraße. © Fabian Pellegrini | Fabian Pellegrini

Tatsächlich hat der Grauburgunder aus den Trauben mehr Farbe gezogen und dadurch einen leichten Rotschimmer. Er riecht und schmeckt deutlich fruchtiger als der Weißburgunder von Sophie Christmann, was auch daran liegt, dass er mehr Zucker enthält – etwa das Fünffache: „Viele Menschen tun sich mit Weinen leichter, wenn sie mehr Zucker haben. Wenn man sich noch nicht so viel mit dem Thema beschäftigt hat, wird man an diesem Wein eher Spaß haben“, so Kutej. Die Flasche, die erst vor etwa sechs Wochen abgefüllt wurde, kostet unter neun Euro, der vorher gekostete, knochentrockene Weißburgunder liegt bei 20 Euro.

Vinho Verde möglichst kalt trinken

Die dritte Flasche kann man schon für 6,90 Euro erhalten: Der Casal de Ventozela, Jahrgang 2019, ist ein Rosé aus dem Norden Portugals. Ob die Christmanns davon schon mal gehört haben? „Wir trinken recht wenig Rosé“, sagen sie. Michael Kutej hat den Wein ausgesucht, weil er, wie er sagt, „Wein-Anfänger“ auf den Weg in neue Bereiche führen könnte. „Mit 6,90 Euro kostet er doppelt so viel, wie der Deutsche sonst für eine Flasche ausgibt. Aber ich verspreche: Hier gibt es viel Wein fürs Geld.“ Wichtig sei, dass man den Vinho Verde möglichst kalt trinke.

Das gilt auch für den Vinhas de Cabeção, Reserva 2017, einen Rotwein aus dem Süden Portugals von dem Winzer Nunes Barata, der die Empfehlung für die richtige Trinktemperatur auf dem Etikett gleich mitliefert: Sie sollte bei 18 Grad liegen. Er besteht aus Portugals typischen Rebsorten Trincadeira, Syrah, Touriga Nacional und Aragonez. Axel Leonhard schmeckt er „nicht nur für zehn Euro“ sehr gut, Michael Kutej findet, dass der Wein „etwas Samtiges und sehr Weiches hat. Das ist ein frischer Rotwein, der schon etwas hermacht.“