Hamburg. Sind Kinder Sex-Killer? Wozu die Hamburger Sexualtherapeutin Katrin Hinrichs betroffenen Paaren rät.

Heute befassen wir uns bei „Ich frage für einen Freund“ mit einem Thema, das Katrin Hinrichs in ihrer Praxis andauernd begegnet: Lustlosigkeit. Was irgendwie komisch ist, findet Hajo Schumacher: „Einerseits leben wir in einer supersexualisierten Welt, in der man alles, was man begehrt, im Internet finden kann. So freizügig war es eigentlich nie. Andererseits habe ich den Eindruck, dass es heute in der persönlichen Sexualität überhaupt nicht so locker und frei zugeht.“

Das kann Hinrichs nur bestätigen: Sie beobachte, dass die Menschen unter Leistungsdruck geraten, wenn sie um sich herum, „selbst an Litfaßsäulen“, überall nackte Menschen sehen. Dieser Leistungsdruck sei aber nur ein Grund, dass die Lust am Sex zurückgehe: „Das größte Problem ist, dass kaum einer noch Zeit dafür hat, wenn überhaupt, ist mal ein Quickie drin“, sagt die Sexualtherapeutin. Sie müsse in ihrer Praxis sowieso als Erstes klären, wie die Stimmung eines Patienten allgemein ist: „Wenn der grundsätzlich schlecht drauf ist, kann man von ihm nicht erwarten, dass er Lust auf Sex hat.“

Junge Frauen seien oft überfordert

Wobei es oft nicht um Männer, sondern um Frauen gehe. Genauer gesagt: um junge Frauen. Die seien überfordert, müssten sich um Beruf und Kinder kümmern, wollten dabei auch noch sportlich sein, sich mit Freunden treffen, kochen, das ganze Programm: „Und dann soll auch noch die Lust so sein, wie sie früher war, als sie das alles nicht hatten?“

„Sind Kinder Sex-Killer?“ Die Frage von Hajo Schumacher ist so brutal wie berechtigt: „Gerade in den Monaten direkt nach einer Geburt sind Frauen durch die Hormone so glücklich, dass sie eigentlich überhaupt keinen Sex brauchen“, sagt Hinrichs. „Und es kommt dazu, dass ihnen die Kraft und die Zeit dafür fehlt. Die sind mit dem Muttersein voll beschäftigt.“

Was hilft? Kind oder Kinder zu den Großeltern geben, mal wieder ein gemeinsames Paar-Wochenende organisieren, am besten in einem Romantik-Hotel, mit Meerblick und Schaumwein? „Ich glaube, es gäbe kaum einen Moment, in dem ich weniger Lust auf Sex verspüren würde“, sagt Schumacher. „Weil es so gezwungen wirkt, nach dem Motto: Alles, was wir in den vergangenen Monaten sexuell nicht geschafft haben, müssen wir jetzt innerhalb weniger Stunde nachholen.“

Romantik-Wochenenden können helfen

Rät die Expertin zu solchen Romantik-Wochenenden ohne Kinder? Grundsätzlich ja, weil das Paar dann mal wieder ein gemeinsames Projekt habe, man über sich und nicht nur über die Kinder spreche: „Es geht darum, dass man sich um den anderen, und mindestens genauso wichtig, um sich selbst kümmert. Man trifft sich endlich auf Paar-Ebene. Das braucht man mindestens als Basis, um Lust auf Sex zu bekommen.“

Und die sollte sich dann langsam entwickeln. Hinrichs erzählt die typische Geschichte von Männern, die ihren Frauen in solchen Situationen anbieten, sie zu massieren: „Und die Frauen wissen sofort, dass er das nur macht, weil er als Gegenleistung Sex erwartet. Das funktioniert nicht.“ Was funktioniert, sei sogenanntes absichtsloses Berühren, „mal in Arm nehmen, mal an den Hintern fassen, das muss sich alles ergeben, Schritt für Schritt“. Es dürfe nicht das Gefühl entstehen, dass er oder sie „jetzt ran muss“, das sei das Gegenteil von Lust. Lust setze Freiwilligkeit voraus, und vor allem Spaß: „Und der stellt sich nicht ein, wenn man immer das Gleiche macht, ein Schema abarbeitet“, sagt Hinrichs. Und: „Es gibt leider viel zu viele Menschen, die sich im Bett anfassen, ohne sich zu berühren.“

Hajo Schumacher berichtet von einer Freundin, die seit Jahren Kuschelpartys organisiert, bei denen sich die Teilnehmer im wahrsten Sinne des Wortes (und vollständig bekleidet) in den Armen liegen: „Die Nachfrage ist gigantisch. Meine Freundin sagt, dass es erstaunlich sei, wie viele Menschen einen Mangel an Berührung haben.“

Lust nicht durch Leistungsdruck ersetzen

Berührungen seien ein Grundbedürfnis der Menschen, sagt Hinrichs, „wir können ohne nicht leben“. Aber, das Entscheidende: Die Berührungen müssen absichtslos sein, weil sie sonst Lust durch Leistungsdruck ersetzen. „Und man muss sich dabei Zeit lassen, sich entspannen, auch mal Geräusche machen.“

Viele Frauen könnten das nicht, weil sie viel zu verspannt seien. Ein Tipp der Therapeutin: Paare sollten einmal verabreden, dass es auf keinen Fall zu Geschlechtsverkehr kommt, um sich zu spüren und zu genießen, „ohne den Druck zu haben, dass man nachher noch richtig muss …“

Zum Schluss will Hajo Schumacher für seinen Freund noch drei absolut sichere Rezepte gegen Lustlosigkeit. Nummer eins: Jeder darf sich vom anderen etwas wünschen, auf das er schon immer Lust hatte – „auch, wenn es ein Hasenkostüm ist“. Nummer zwei, genauso wichtig: Im Bett nicht immer nur darauf achten, was dem anderen gefällt, „dann verliert man nämlich mit Sicherheit seine eigene Lust“, so Hinrichs. Nummer drei: Use it or loose it – wer zu lange keinen Sex hat, hat irgendwann gar keinen mehr. Und muss ganz von vorn anfangen: Es gibt auch Geschichten, dass Paare sich vornehmen, zwei Wochen lang jeden Abend miteinander zu schlafen – und über diesen Weg die Lust daran wieder entdecken …