Hamburg. Singles, Pornos, Monogamie: Hajo Schumacher spricht mit Therapeutin Katrin Hinrichs in „Ich frage für einen Freund“ über Sex.

Warum haben Erwachsene solche Probleme damit, offen über (ihre eigene) Sexualität zu sprechen? Was sind Themen, über die die Menschen schweigen? Und wie lässt sich das ändern? Das sind neben vielen kleinen die drei großen Fragen, die Hajo Schumacher und Katrin Hinrichs in einem neuen Abendblatt-Podcast für Erwachsene erörtern und hoffentlich beantworten.

„Ich frage für einen Freund“ heißt die neue Reihe, die auf abendblatt.de zu hören ist. Hajo Schumacher kennen viele Abendblatt-Leserinnen und -Leser als Politik-Journalisten, Kolumnisten und Lauf-Experten. Katrin Hinrichs ist klinische Sexualtherapeutin mit Praxis in Eppendorf.

Wegen Corona: Menschen setzen sich mehr mit Sex auseinander

„Es ist eine harte Zeit für alle Beteiligten. Ich merke, dass die Leute sich bewusster mit ihren sexuellen Problemen auseinandersetzen, weil sie wegen Corona Zeit dafür haben“, sagt Hinrichs, die eine Praxis in Eppendorf betreibt. Bisher habe der Alltag dafür gesorgt, dass Pro­bleme zwischen Paaren kaum zu erkennen waren, „jetzt ist es genau das Gegenteil: Viele Leute mussten und müssen überprüfen, ob sie die Nähe zu einem Partner, der nicht zur Arbeit oder zum Sport oder sonst wohin verschwindet, aushalten“.

Das kann schiefgehen, muss aber nicht: Ein Paar, das sich schon länger bei ihr in Behandlung befinde und vor Corona kurz vor der Trennung stand, habe durch die Zeit des Zuhausebleibens wieder zueinandergefunden. Grundsätzlich lasse das sexuelle Begehren bei Menschen, die wochenlang gemeinsam daheim sind, aber nach – deswegen glaubt Katrin Hinrichs auch nicht, dass es in neun Monaten jede Menge Corona-Babys geben wird: „Dafür sind die Ängste vor der Zukunft zu groß. Die Leute überlegen sich sehr genau, ob sie gerade in dieser Zeit ein Kind in die Welt setzen.“

Leere und Einsamkeit: Für Singles ist diese Zeit schwer

Hajo Schumacher will – natürlich im Namen seines Freundes – nicht nur über Paare, sondern vor allem über Singles sprechen, für die die Corona-Zeit doch brutal gewesen sein muss. Oder? „Für die waren die vergangenen Monate sehr ernüchternd, weil sie vor allem Leere und Einsamkeit gespürt haben. Das Einzige, was den Singles geblieben ist, war das Smartphone“, sagt Hinrichs. Was rät die Therapeuten ihren meist männlichen alleinlebenden Patienten in einer solchen Situation?

Ganz einfach: Solosex! „Durch den kann man diese ganz harten Zeiten wenigstens überbrücken, und die Betroffenen hatten und haben auch die Chance, ihre eigenen Bedürfnissen und ihren Körper besser kennenzulernen.“

Schumacher hat gelesen, dass der Konsum von Pornografie durch Corona stark zugenommen haben soll – was sagt die Expertin dazu? „Ich finde Pornografie als Zwischenlösung nicht schlecht, sie sorgt zusammen mit Selbstbefriedung für Frustabbau und Entspannung.“

Pornos schauen – die Dosis macht das Gift

Sie habe ihren Klienten sogar zum Gucken von Pornofilmen geraten: „Du kannst menschliche Berührungen natürlich nicht ersetzen. Aber wenn es die nun mal gerade nicht geben darf, müssen wir sehen, was wir ansonsten tun können. Und immer daran denken: Die Dosis macht das Gift.

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Heißt was? Woran erkennt man, dass man süchtig nach Pornografie wird und auf dem falschen Weg ist? „Entscheidend ist, wie stark der Drang ist“, sagt Hinrichs. Sie habe mehrere Patienten in ihrer Praxis, die jede Möglichkeit nutzen würden, auf ihrem Handy oder Laptops Pornos zu gucken, „die interessiert nichts anderes mehr, nicht mal mehr der eigene Partner“. Und die Filme würden immer schärfer, „die Betroffenen haben in der einen Hand ihr Smartphone und in der anderen ihr Geschlechtsteil, alles andere spielt keine Rolle“.

Je weiter die Sucht fortgeschritten sei, desto schwerer falle es den Männern – denn es geht vor allem um Männer –, in einer normalen sexuellen Situation mit einer Partnerin eine Erektion zu bekommen: „Ohne Porno geht nichts mehr.“ Und, noch schlimmer: Der Druck, den die Männer mit ihrer Hand auf den Penis ausüben, wird von Mal zu Mal größer.

Pornosucht: Der Weg zurück kann lang und schwierig werden

„Irgendwann ist er dann so groß, dass das keine Vagina leisten kann.“ Soll heißen: „Beim Paarsex wird der Mann Probleme haben, seine Erektion zu halten oder zum Orgasmus zu kommen.“ In solchen Fällen müsse der Penis „resensibilisiert“ werden: „Die Männer, die zu mir kommen, sind zutiefst frustriert, weil Sex bei ihnen nur funktioniert, wenn sie den Penis mit einem extrem hohen Druck umfassen.“

Der Weg zurück könne lang und schwierig werden: „Üben, langsamer werden, Druck reduzieren.“ Gelinge das nicht, drohe auch Stress in der Beziehung, weil die Partnerin sich nicht mehr begehrt fühle und sich frage: Was haben die Frauen in den Pornos, was ich nicht habe?

Hajo Schumacher hat noch etwas gelesen: nämlich, dass der Absatz von Sexspielzeug in der Corona-Krise „durch die Decke gegangen ist“. „Ich finde, das ist ein gutes Zeichen. Die Menschen, die so ein Spielzeug kaufen, haben sich mit ihrer Sexualität beschäftigt und nutzen die Corona-Krise, um mal etwas Neues auszuprobieren“, sagt Hinrichs.

„Die Menschen sind monogamer geworden"

Sie sei neulich in einer entsprechenden Boutique gewesen und habe dort viele Paare gesehen, die sich mit dem Thema beschäftigen: „Ich finde das großartig, wobei ich meinen Patienten immer sage: Ihr habt Hände, ihr habt Zungen, ihr habt Münder – eigentlich ist alles da.“ Die Gefühle, die man damit erzeugen kann, ließen sich durch Technik nicht ersetzen.

Noch ein Ergebnis der Corona-Krise: „Die Menschen sind monogamer geworden, sie sorgen sich um die anderen“, sagt Hinrichs. „Sie fragen sich: Mit wem lasse ich mich eigentlich ein, wen küsse ich, mit wem gehe ich ins Bett? Es ist doch schön, dass man mal wieder in dieses Bewusste kommt.“

„Man denkt durch Corona über Dinge nach, die vorher selbstverständlich waren“, sagt Schumacher. „Zum Beispiel, ob man wirklich von jedem, dem man begegnet, umarmt werden will.“ Wenn das die neue Normalität ist – warum eigentlich nicht?