Was lesen? Abendblatt-Redakteur Thomas Andre und Literaturhaus-Chef Rainer Moritz über aktuelle Bestseller, die es in sich haben.

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Er, Erri, 37. Verheiratet, zwei Töchter. Sie: Clementina, verheiratet, der Sohn ist kein Jahr alt. Sie haben eine Affäre begonnen, jetzt verbringen sie ein Wochenende auf einer italienischen Insel: Auszeit vom Alltäglichen. Den Preis der Lüge entrichten sie gerne, sie geben sich ganz der Leidenschaft des Augenblicks hin. Von dem sie wissen, dass er schon bald vorüber ist. Edoardo Albinatis jetzt auf Deutsch vorliegendes schmales Büchlein trägt den Titel „Ein Ehebruch“ und enthält auch Sexszenen. Und die, das wissen passionierte Leser, können recht peinlich geraten. Ist das hier etwa auch so? Rainer Moritz, Autor des Buches „Matratzendesaster: Literatur und Sex“, und Thomas Andre erörtern unter anderem dieses Thema im Literatur-Podcast Next Book Please.

Ferner sprechen sie über Tonio Schachingers Fußballer-Roman „Nicht wie ihr“, in dem ein 27-jähriger österreichischer Autor den Versuch unternimmt, das Leben eines überbezahlten, melancholischen, zwischen klugen Einsichten und amüsanter Borniertheit changierenden 27-jährigen österreichischen Starkickers zu beschreiben. Ein Roman über Sport – und einen Mann in der Sinnkrise. Es darf geschmunzelt werden, vor allem über die Hamburg-Episode. Wobei die vor allem sehr, sehr böse ist. Auch deswegen muss über diesen Roman gesprochen werden.

Die Fortsetzung von "Der Report der Magd"

Das gilt auch für Margaret Atwoods neues Buch „Die Zeuginnen“. Die kanadische Erzählerin erhielt für diesen unlängst die wichtigste britische Literaturauszeichnung, den Booker Prize. (Sie teilt ihn sich mit der Britin Bernardine Evaristo). „Die Zeuginnen“ ist die Fortsetzung von Atwoods berühmtestem Roman „Der Report der Magd“, eines Stoffes, der zuletzt als TV-Serie erneut berühmt wurde.

Hören Sie auch die früheren Folgen des Podcasts "Next Book Please"

Margaret Atwood ist eine große feministische Erzählerin, und alleine deswegen kommt ihre Fortsetzung zur rechten Zeit. Und die Geschichte des Gottesstaates Gilead, in dem Männer herrschen und Frauen ihnen dienen, ist wohl der spannendste Entwurf einer Dystopie, den man sich vorstellen kann. Geklärt wird in „Die Zeuginnen“ aber zunächst vor allem eines: Was passierte mit Desfred, der fliehenden Magd aus dem Vorgängerbuch, und ihrer Tochter? Was wiederum die beiden Podcaster klären müssen: Kann dieser zweite mit dem ersten Teil mithalten?

Eindrucksvoll: Jehova-Aussteigerin berichtet

Überbordender Glaube und religiöser Fanatismus sind auch die Themen von Stefanie de Velascos zweitem Roman „Kein Teil der Welt“. Die Autorin war bei den Zeugen Jehovas, bis sie mit 15 ausstieg. Wie viel Mut und Beharrungswillen dazugehört haben muss, erzählt sie in ihrem Buch, einem Entwicklungsroman der besonderen Art.

Im Mittelpunkt stehen die beiden Freundinnen Esther und Sulamith, die als Teenagerinnen den Geschmack der anderen Welt, der normalen, kennenlernen. Ihr Leben findet in einem Paralleluniversum statt, das gleichzeitig ein Gefängnis ist. Aus dem wollen beide entkommen. Ein durchaus eindrucksvolles Werk, finden beide Kritiker.