Hamburg. Was lesen? Abendblatt-Redakteur Thomas Andre und Literaturhaus-Chef Rainer Moritz über aktuelle Bestseller, die es in sich haben.

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Wie sehr darf ein Roman im Reportagenstil geschrieben sein? Darf er das überhaupt? Anlässlich von Alexander Osangs dicker Familiensaga „Die Leben der Elena Silber“ lässt sich darüber trefflich streiten. Rainer Moritz und Thomas Andre tun genau das in der aktuellen Folge von Next Book Please, dem Literaturpodcast von Literaturhaus Hamburg und Hamburger Abendblatt. Im Mittelpunkt von „Die Leben der Elena Silber“ steht nämliche Elena Silber, die Tochter eines frühen Kommunisten, der von den Zaristen Anfang des 20, Jahrhunderts gemeuchelt wurde. Elena Silber ist die Großmutter des Erzählers Konstantin „Kostja“ Stein, eines Drehbuchautor in Berlin, dessen Spurensuche in den Familiengeheimnissen wir in diesem Roman folgen. Es gibt viele Zeitsprünge, es geht häufig von der Gegenwart, in der Kostja in der eigenen Familie – Elena hatte vier Töchter (bzw. fünf) – recherchiert, in die Vergangenheit. In immer wieder klar romanhaften Passagen berichtet der Erzähler dann nicht mehr von sich und seiner Suche, sondern von den dramatischen Ereignissen, als wäre er dabei gewesen: im Krieg, bei den stalinistischen Säuberungen, im Deutschland Adolf Hitlers, wohin es Elena Silber nach der Heirat mit einem deutschen Industriellen verschlägt.

Der Doktorand als Retter

Außerdem geht es im Podcast um Jan Peter Bremers literarische Komödie „Der junge Doktorand“. In dem schmalen Büchlein lernen die Leserinnen und Leser ein lange verheiratetes, zänkisches Ehepaar kennen: den alternden Maler Günter Greilach, der mal kurze Zeit fast bedeutend war, und seine Gattin Natascha. Sie sind recht genervt voneinander, aber Rettung naht in Gestalt des titelgebenden jungen Doktoranden, der dem Anschein nach eine große Studie über das Werk des Malers schreiben möchte. Er ist die Projektionsfläche für alle Wünsche und Streitigkeiten der Greilachs, und er entlockt durch seine bloße Anwesenheit dem Künstler die aufgeblasensten Aussagen, die man sich denken kann. Ein Roman, wie Kritiker ihn mögen, oder nicht?

Zwei gefeierte Debüts

Besprochen werden auch die beiden Debüts der 1988 geborenen Französin Pauline Delabroy-Allard, „Es ist Sarah“, und der 1991 geborenen Irin Sally Rooney, „Gespräche mit Freunden“. Pauline Delabroy-Alard gelingt es dabei, einen beinah atemlosen Roman über die leidenschaftliche Liebe zweier Frauen zu schreiben: Eine ist Geigerin, die andere Lehrerin, und erstere „tut vieles so, als hinge ihr Leben davon ab“ – am Ende drohen beide im Feuer ihrer Obsession zu verbrennen.

Um Obsessionen, aber ganz anders, geht es auch in Sally Rooneys eigenwilligem Roman „Gespräche mit Freunden“. Der Roman der international gefeierten Autorin besteht zu einem Großteil aus Dialogen, die sich zwischen den vier Hauptpersonen Frances, Bobbi, Melissa und Nick abspielen. Erste beiden sind Anfang 20, letztere beiden in ihren Dreißigern, und spätestens als die Liebe für intensive Unordnung in den Paarbeziehungen sorgt, denkt manch einer, er habe hier mit einer Adolszenzsoapopera zu tun. Warum man das auch anders sehen kann, verrät Next Book Please.