Hamburg. Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider spricht im Podcast heute mit Carolin Stüdemann, der Geschäftsführerin der Hamburger NGO.

579 Millionen Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, mehr als zwei Milliarden keine Sanitäreinrichtungen, also Toiletten. Daran will Carolin Stüdemann etwas ändern. Die 30-Jährige ist Geschäftsführerin von Viva con Agua und vielleicht die fröhlichste Managerin, die es in Hamburg gibt.

Mit Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider spricht sie in unserer Reihe „Entscheider treffen Haider“ über die Frage, was jeder tun kann, um die Welt besser und gerechter zu machen, über Gehaltsverhandlungen bei einem gemeinnützigen Unternehmen – und über Kollegen, die sich alles voneinander erzählen, und sei es noch so privat.

Das sagt Carolin Stüdemann (30) über…

… das übergeordnete Ziel von Viva con Agua:

„Wir wollen in Deutschland zu gesellschaftlichem Engagement inspirieren, weit über das Thema ‚Wasser für alle‘ hinaus. Wir glauben daran, dass sich gesellschaftlicher Wandel nur einstellt, wenn jeder Lust hat, sich zu engagieren. Und wann hat man Lust, sich zu engagieren? Wenn es Spaß macht und jeder seine Ideen einbringen kann. Das ist unsere Vision.“

… die Frage, was jeder tun kann, damit möglichst viele Menschen auf der Welt Zugang zu sauberem Trinkwasser bekommen:

„Das erste, was jeder machen kann, ist über Viva con Agua zu sprechen, weil es für das Thema sensibilisiert. Vielen Menschen ist gar nicht bewusst, wie schwierig die globale Trinkwasserversorgung ist und dass wir alle eine Verantwortung dafür haben, dass sich das ändert. Natürlich kann man spenden oder Fördermitglied werden oder unser Mineralwasser kaufen, noch besser ist es, eine eigene Aktion für sauberes Trinkwasser zu starten. In normalen Jahren sind ehrenamtliche Helfer für uns auf rund 150 Festivals in Deutschlands unterwegs, um dort Pfandbecher zu sammeln. 2019 sind dadurch 1,3 Millionen Euro zusammengekommen. Es macht Viva con Agua aus, dass es so leicht ist, uns zu unterstützen.“

… das Corona-bedingte Verbot von Festivals und Konzerten:

„Das trifft uns mitten ins Herz. Zum einen fehlt uns die Möglichkeit, dort Geld zu sammeln, und sei es nur über die Pfandbecher. Zum anderen fehlen uns die Infostände, die wir normalerweise auf Festivals und bei Konzerten haben, und wo wir über unsere Wasserprojekte in verschiedenen Ländern informieren. Für den März hatten wir mit mehreren Künstlern Wohnzimmerkonzerte geplant, auch die mussten wir alle absagen. Dafür hat es zum Beispiel ein Livestream-Festival gegeben, das wir über Instagram und Twitch verbreitet haben, und bei dem 50.000 Euro für ein Projekt in Uganda zusammengekommen sind, von dem direkt fast 20.000 Menschen profitiert haben.“

… ständig gute Laune:

„Ich bin meistens sehr, sehr positiv, eine große Optimistin. Aber in den vergangenen Monaten habe ich mir schon viele ernste Gedanken gemacht, wie es mit Viva con Agua angesichts der ausbleibenden Einnahmen weitergeht, und wann wir endlich wieder so arbeiten können, wie wir das wollen.“

… zwei Eltern, die Sozialpädagogen sind:

„Bei uns wurde wirklich viel diskutiert, es gab einmal die Woche eine Familienkonferenz, bei der meine Schwester Monja und ich unsere Anliegen einbringen konnten. Wir durften sagen, was uns stört und was wir uns wünschen. Unsere Eltern haben uns ermutigt, für unsere Interessen und Gedanken immer einzustehen. Und sie haben uns schon damals vermittelt, wie wichtig es ist, sich für eine gerechtere Welt einzusetzen. Das hat meine Empathiefähigkeit in frühester Kindheit sehr geprägt.“

… ihren Ausflug zu einer Unternehmensberatung:

„Mein Traum war damals, bei einer Beratung zu arbeiten, die Firmen hilft, noch sozialer zu werden. Dann ist es doch eine klassische Unternehmensberatung geworden, und ich habe schnell festgestellt, dass die nicht zu mir passt. Ich gehöre in so ein spritziges Unternehmen wie Viva con Agua. “

… Gehaltsverhandlungen bei Viva con Agua:

„Das Klischee ist: Wir sind ein gemeinnütziges Unternehmen und können deshalb nicht viel Geld bezahlen. Und ja, so ist es auch. Jeder, der bei uns arbeitet, soll davon seinen Lebensunterhalt gut bestreiten können. Aber mit anderen Unternehmen sind wir, was die Gehälter angeht, nicht vergleichbar. Trotzdem haben wir extrem viele, hochtalentierte und gut ausgebildete Bewerber, und denen geht es nicht um das Gehalt, sondern um das, wofür Viva con Agua steht.“

… die Unternehmenskultur:

„Wir sind wie ein großer Schwarm Vögel, die alle in dieselbe Richtung fliegen und eine enge Verbundenheit haben. Die beste Vorsorge gegen Neid innerhalb einer Firma ist, den Fokus auf die persönliche Entwicklung eines jeden einzelnen zu legen. Wenn jeder das Gefühl hat, sich entfalten und wichtige Entscheidungen treffen zu können, dann entsteht so etwas wie ein Konkurrenzkampf nicht. Die Kultur bei uns ist schon etwas Besonderes, ich könnte nicht mehr für ein normales Unternehmen arbeiten.“

… sehr persönliche Treffen und Gespräche mit Kollegen:

„Es gibt einen großen Unterschied zwischen einer Videokonferenz und einem tatsächlichen Treffen. Die emotionale Tiefe, die wir sonst als Team haben, hat in der Corona-Zeit abgenommen. Eine Videokonferenz wirkt eben doch anonymer. Wir haben ein wichtiges Ritual, unser Dienstags-Meeting, in dem jeder sehr persönlich berichtet, wie es ihm/ihr geht. Das kann schon tiefgehen und trägt dazu bei, dass Kollegen mehr Verständnis für einander entwickeln.“