Hamburg. Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider spricht im Podcast heute mit dem Kabarettisten auch über dessen besonderen Blick auf die Welt.

Jemen, Iran, Nordkorea: Dieter Nuhr ist in Ländern gewesen, in die man eigentlich nicht reisen kann, es sei denn „es macht einem nichts aus, massakriert zu werden (Mali) und er hat nicht wenige Ziele „ganz für sich allein gehabt“ (Sudan). In der Fremde hat der Kabarettist „Leichtigkeit, Nachsicht und Milde“ entdeckt und sich selbst gefunden. Mit Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider spricht er über den Segen der Globalisierung, die Selbstüberschätzung von Fridays for Future, über Indien und Sylt - und verrät, wo die Menschen am freundlichsten sind und es den besten Kaffee gibt. Die neue Folge von „Entscheider treffen Haider“ hören Sie unter www.abendblatt.de/entscheider. Nuhr hat übrigens über seine Reisen auch ein Buch geschrieben, es heißt „Wo geht’s lang?“

Das sagt Dieter Nuhr über …

…das Reisen:

„Ich habe versucht, weite Teile der Welt zu bereisen, um zu wissen, wie es da zugeht. Das führt zu einer Relativierung des eigenen Standpunktes, weil man merkt, dass 99 Prozent aller Menschen ganz anders denken als man selbst. Mich hat das Reisen glücklicher gemacht, weil es mich geistig aufgebrochen hat. Ich habe eine große Freude am Fremdsein entwickelt und daran, dass ich nicht alles verstehen muss, weil ich es gar nicht verstehen kann. Das gibt mir eine Leichtigkeit, Nachsicht und Milde. Ich bin durch das Reisen immer zufriedener geworden, weil ich mein eigenes Leben dadurch differenzierter betrachten kann - und weil mich das Reisen von den ideologischen Schranken befreit hat, die ich früher hatte.“

…seine Reise-Philosophie:

„Wenn man etwas über ein Land wissen will, dann muss gar nicht hinreisen, dafür gibt es Bücher und das Internet. Wenn man ein Land aber erfahren und begreifen will, dann muss man wissen, wie es riecht, wie man dort ein Brot kauft, was die Leute für Kleidung tragen. Das ist weit mehr als reines Faktenwissen. Ich reise meistens erst und lese mich hinterher ein. Mir ist das Staunen beim Reisen extrem wichtig, deshalb halte ich es für einen riesigen Vorteil, wenn man über ein Land noch nicht alles weiß, wenn man hinfährt.“

…Reisen an Orte der Erinnerung:

„Ich war 1986 das erste Mal ein Israel. Wenn ich damals gesagt habe, dass ich aus Deutschland komme, wurde mir oft ungefragt die Tätowierung auf dem Handgelenk gezeigt. Das war sehr bedrückend. Ich war auch in Yad Vashem, das hat mich stark mitgenommen, man spürt die kollektive Schuld, die wir auf uns geladen haben. Auschwitz ist ein Ort, den ich nicht unbedingt besuchen möchte. Ich habe Angst davor. Das heißt nicht, dass ich das verdrängen möchte, im Gegenteil: mir ist sehr bewusst, was unsere Geschichte bedeutet. Ich weiß nicht, ob die Erfahrung des Ortes das Zentrale ist. Wichtig ist, dass man Aufklärung betreibt und gegen Relativierungen vorgeht, etwa, wenn AfD-Politiker suggerieren, das völkischer Nationalismus eine Meinung von vielen ist. Nationalsozialismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen.“

…seine Reisen nach Nordkorea und Iran:

„Man kann sich nirgendwo so wenig frei bewegen wie in Nordkorea. Dort hatte ich immer einen Mitarbeiter vom Geheimdienst in meiner Nähe, der mir gesagt hat, in welche Richtung ich gucken soll. Das war unangenehm. Durch den Iran konnte ich dagegen völlig frei reisen, habe dort unheimlich freundliche, liebenswerte Menschen getroffen. Es war gar nicht möglich, auf der Straße in eine Karte zu gucken, ohne das einen jemand in nahezu perfektem Englisch fragte, ob er helfen könne. Nirgendwo ist die Differenz von dem Bild, das man von einem Land hat, und der Realität größer als im Iran. Regierung und Bevölkerung werden bei uns ja oft in einen Topf geworfen, ich finde, da muss man differenzieren – das gilt für den Iran genauso wie für China und die USA.“

…Myanmar und den Buddhismus:

„Zu den großen Reiseländern, die nicht viele Menschen auf dem Schirm haben, gehören aus meiner Sicht Georgien, Chile – und eben Myanmar. Es hat ein unheimliches exotisches Flair, die Gelassenheit der Menschen ist beeindruckend. Ich finde den Buddhismus, der dort für viele Menschen zentral ist, großartig. Der Grundgedanke, dass alles, was wir tun, unwiederbringlich etwas zum großen Ganzen hinzufügt und ein Teil des Laufes dieser Welt bestimmt, ist sehr schön. Ich glaube, dass die Menschen in Myanmar daraus einen Sinn in ihrem Leben ziehen. Man ist eben nicht nur, wie das viele bei uns empfinden, ein Sandkorn. In Asien wird der kleine Anteil am Großen stolz registriert.“

…Indien:

„Indien hat all das, was man auf der Welt sehen kann, den ganzen Schrecken und die ganze Freude. Indien hat alles, was das Leben ausmacht. Aber es gibt nur zwei Sorten von Indien-Reisenden: Die einen, zu denen ich zähle, lieben es und können nicht erwarten, wieder hinzukommen, die anderen beschließen, das Land nie wieder zu betreten - man weiß nur leider vorher nicht, zu welcher Sorte man gehört.“

…Sylt:

„Weil ich dieses Jahr keine Fernreise machen konnte, bin ich im August nach Sylt gefahren. Ich finde die Insel wahnsinnig schön, bei allem Chi-Chi, den man Sylt andichtet, ist es ein großartiger Ort mit immer noch großartiger Natur - und sehr guter Gastronomie.“

…reiche Menschen:

„Viele glauben, dass reiche Menschen glücklicher sind als andere, das ist Humbug, da gibt es auch Statistiken, die das belegen. Reiche Menschen sind oft von Verlustängsten getrieben und unter starkem Stress, weil sie ihren Status unbedingt erhalten wollen.“

… Kaffee:

„Es gibt drei Länder auf dieser Welt, in denen man wirklich guten Kaffee bekommt: Das sind Italien, Neuseeland - und Japan. Kein Witz.“

…Globalisierung:

„Die Globalisierung hat dazu beigetragen, die Welt zu vernetzen und abhängig zu machen voneinander. Das einzige, was die Welt sicherer macht, ist gegenseitige Abhängigkeit. Deshalb möchte ich unbedingt, dass China abhängig von uns ist und wir abhängig von China. Globalisierung war und ist ein riesiges Friedensprojekt. Deshalb kann ich nicht begreifen, dass es Menschen gibt, die sich Globalisierungsgegner nennen und gleichzeitig links sein wollen. Das ist für mich ein absoluter Gegensatz.“

…Fridays for Future:

„In Deutschland gibt es dieses Gefühl, dass wir der ganzen Welt erklären müssen, wie sie zu funktionieren hat. Das geht bis weit in linke Kreise und neuerdings in die Fridays-for-Future-Bewegung hinein. Unter Weltrettung machen es wir Deutsche nicht. Junge Menschen glauben ernsthaft, dass die Besetzung des Dannenroder Forsts Einfluss auf den Klimawandel hat. Das ist für mich eine wahnsinnige Selbstüberschätzung, für die man ideologisch verblendet sein muss. Es ist leider eine deutsche Kontinuität, dass man die ganze Welt vom eigenen Lebensstil überzeugen will. Ich respektiere den Idealismus der jüngeren Menschen sehr. Aber es ist die Aufgabe von uns Älteren, darauf hinzuweisen, dass diese Form der Selbstüberschätzung auch Gefahren mit sich bringt. Der Rest der Welt ängstigt sich, wenn er Deutsche sieht, die anderen erklären wollen, was sie zu tun haben. Reisen ist die Grundbedingung dafür, dass man erfährt, das die eigene Lösung für die Weltprobleme nicht die einzige ist.“

…Corona:

„Ich bin grundsätzlich absolut für Corona-Maßnahmen. Das heißt aber nicht, dass man jede sinnlose Maßnahme gutheißen muss. Vielen Kollegen aus der Unterhaltungsbranche wird gerade die Existenz zerstört. Kaum eine Branche hat so effiziente Hygienekonzepte erstellt, um coronagerecht weitermachen zu können. Und dann lässt man sie einfach fallen. Das finde ich sehr bitter.“