Hamburg. Dokumentarfilmer Stephan Lamby spricht im Podcast über Donald Trump seine Beobachtungen im US-Wahlkampf.

Seit Juni 2019 hat Stephan Lamby, einer der besten und am häufigsten ausgezeichneten deutschen Dokumentarfilmer, zusammen mit dem ehemaligen „Spiegel“-Chefredakteur Klaus Brinkbäumer Donald Trump und den Wahlkampf in den USA beobachtet. Mit Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider spricht Lamby über ein Land, in dem demokratische Grundprinzipien nicht mehr funktionieren, über eine Präsidentschaft als Spektakel, über seriöse Journalisten, die Leibwächter brauchen – und über Faschismus in den USA. Das komplette Gespräch hören Sie unter www.abendblatt.de/entscheider. Lamby hat mit Brinkbäumer das Buch „Im Wahn – die amerikanische Katastrophe“ geschrieben und den gleichnamigen Film gedreht.

Das sagt Stephan Lamby über …

…seine Zusammenarbeit mit dem ehemaligen Spiegel-Chefredakteur Klaus Brinkbäumer:

„Ich habe vor drei Jahren einen Film gemacht, der hieß „Nervöse Republik“, für den ich auch beim „Spiegel“ gedreht habe. Dort lief mir Klaus Brinkbäumer zum ersten Mal über den Weg, das zweite Mal trafen wir uns bei einer Podiumsdiskussion. Ein toller Kollege. Dann ging seine Zeit beim „Spiegel“ zu Ende, und wir haben die Idee entwickelt, Donald Trump und den amerikanischen Wahlkampf gemeinsam zu begleiten. Das haben wir dem NDR vorgeschlagen und die Redaktion hat uns vertraut. Der Impuls zum Film kam von Klaus, der Impuls zum Buch kam von mir – verkehrte Welt also. Was wir nicht wissen konnten, war, dass diese gemeinsame Arbeit im März 2020 durch Corona abrupt unterbrochen werden würde. Ich kam nicht mehr in die USA, und Klaus Brinkbäumer, der in New York lebte, nicht raus. Wir haben nahezu täglich miteinander kommuniziert, aber uns tatsächlich ein halbes Jahr lang nicht gesehen.“

…ein Interview mit Donald Trump, das es nicht gegeben hat:

„Er spricht mit ausländischen Medien praktisch nicht und hat auch kein echtes Interesse an anderen Ländern, an Deutschland schon gar nicht. Klaus Brinkbäumer hat vor vielen Jahren einmal mit ihm telefoniert, schon das war nicht besonders ergiebig.“

…das Ende der Fairness in den USA, das schon in den 80er-Jahren begann:

„Die ungute Entwicklung der US-Medien, von der Trump profitiert, hat vor langer Zeit begonnen. 1987 wurde in den USA die sogenannte Fairness-Doktrin aufgegeben. Das war eine Auflage für alle Rundfunk- und TV-Anstalten, bei politisch kontroversen Themen auch die jeweilige Gegenseite zu Wort kommen zu lassen. Seit dieser Zeit gibt es nun eine Reihe von Talkradio-Moderatoren, die politisch einseitig berichten, hetzen, Verschwörungstheorien verbreiten – und sie dürfen das. Diese Methode wurde Mitte der 90er-Jahre von Fox News ins Fernsehen übertragen. Der Sender hat sich schnell den Republikanern verschrieben. Das hat Trump genutzt: Sowohl die Republikaner als auch Fox News haben sich dem Präsidenten unterworfen. Über Fox News und Twitter kann Trump nach Belieben Lügen in die Welt setzen – und die amerikanische Gesellschaft weiter in zwei Lager spalten.“

…die Tweets des Präsidenten:
„Die Hauptstadt-Journalisten in Washington klagen alle, dass sie viel mehr arbeiten müssen als unter Obama, weil Trump so früh anfängt zu twittern und so spät damit aufhört. Leider haben die amerikanischen Medien diesen Tweets und Trump überhaupt schon im Wahlkampf vor vier Jahren viel zu viel Raum gegeben. Die haben ihn groß gemacht, weil er eben für Schlagzeilen, für Reichweite und ja, auch für die Auflage gut ist. Trump hat vor wenigen Tagen auf Twitter geschrieben, dass die Medien traurig sein werden, wenn er eines Tages nicht mehr Präsident sein sollte, „weil das schlecht für ihre Quoten ist“. Damit hat er völlig Recht. Die amerikanischen Medienunternehmer, die hinter der Berichterstattung stehen, werden ihn vermissen. Seine Präsidentschaft ist ein einziges Spektakel, davon profitieren viele, aber gleichzeitig leidet die amerikanische Demokratie. Er ist gleichermaßen Produkt wie Brandbeschleuniger einer unheilvollen Entwicklung. Das Phänomen Trump hat Folgen, die weit über seine Präsidentschaft hinausreichen werden.“

…Trump und das Fernsehen:

„Wenn Trump etwas versteht, dann ist es Fernsehen. Der Mann lebt förmlich im Fernsehen, er soll sechs Stunden am Tag Fox News sehen. Seine Sprüche und Tweets sind wie gemacht fürs Einschaltquoten-Fernsehen, es geht um permanente Erregung. In ihm verschmelzen der Entertainer und der Politiker zum Showmaster-in-Chief. Da ist er Joe Biden weit voraus. Die große Sorge, die man haben kann, ist, dass Politiker anderer Länder auf den Geschmack kommen, und merken, dass man mit dieser Masche Erfolg haben, dass man mit einer großen Show und viel Hass an die Macht kommen kann, in einigen Ländern ist das ja bereits passiert. Die populistische Bewegung findet in Trump einen Heiland. Und Journalisten, die kritisch über ihn berichten, brauchen Bodyguards und erhalten Morddrohungen.“

…die gespaltene amerikanische Gesellschaft:

„Die gesellschaftliche Mitte, die bisher auch von Journalistinnen und Journalisten zusammengehalten wurde, weil ihren Berichten vertraut wurde, löst sich in den USA allmählich auf. Früher hat kaum jemand den Wahrheitsgehalt etwa der New York Times und der Washington Post angezweifelt. Das ist passé. Heute gibt es ein Lager, das Journalisten vertraut, und ein anderes, das ihnen grundsätzlich misstraut. Und die zweite Gruppe wird immer größer, angestachelt durch den Präsidenten. Diesen Leuten ist es auch egal, ob Trump lügt, mit wem er krumme Geschäfte macht, ob er Steuern zahlt, ob er seine Frau mit einem Pornostar betrügt und dann Schweigegeld bezahlt, die schreckt nichts mehr ab. Es gibt einen Satz, den wir bei unseren Recherchen oft gehört haben: „Er mag etwas rau sein. Aber er ist gut für die Wirtschaft.“ Trump gibt vielen Amerikanern ihren Stolz wieder, er spricht die weißen Mittelschichtsamerikaner an, die merken, dass sich in den USA etwas zu ihren Ungunsten verschiebt. Die Identitätsbildung erfolgt dabei über Hetze gegen andere Bevölkerungsgruppen, als aggressive Abgrenzung.“

…Faschismus in den USA:

„Man sollte als Deutscher nicht voreilig von Faschismus sprechen, sonst landet man schnell bei Hitler, und der Vergleich ist abwegig. Aber man darf dem F-Wort auch nicht aus dem Weg gehen. Wenn man sich also ansieht, was Faschismus im Kern ausmacht, dann ist es ein starkes Führerprinzip, eine Partei, die sich diesem Führer unterwirft, Hetzen gegen ethnische oder religiöse Minderheiten, die Verfolgung von Kritikern, auch von Journalisten, die zu Feinden erklärt werden, gelegentlich auch der Einsatz von Schlägertrupps. All das kann man in den USA gerade beobachten. Man muss also das F-Wort aussprechen und vor entsprechenden Tendenzen warnen. Es kommt hinzu, dass das System von checks und balances, auf das die USA bisher zurecht stolz waren, nicht mehr richtig funktioniert. Es gibt genügend Beispiele, wie Trump als Präsident die Trennung der Staatsorgane missachtet, etwa indem er sich in die Arbeit der Justiz einmischt. Und die republikanische Partei spielt da mit. Wehe, wenn Trump wiedergewählt wird. Dann würde auch der letzte Grund für irgendeine Zurückzuhaltung entfallen, weil er sich ja keiner weiteren Wiederwahl mehr stellen könnte. Wobei er, halb zum Spaß, selbst mit diesem Gedanken spielt. Es ist kein Zufall, dass er einen engen Kontakt zu autoritären Herrschern und Diktatoren pflegt, aber überhaupt keinen Kontakt zu moderaten, demokratischen Regierungschefs wie Angela Merkel.“

…Trump und Corona:

„Trump hatte kein echtes Interesse daran, sein Volk vor Corona zu schützen. Er hatte Interesse am Dow Jones, an der Wirtschaft, an Arbeitsplätzen, alles, was seiner Wiederwahl nutzt, aber nicht am Gesundheitszustand seiner Nation. Dabei wusste er früh, wie gefährlich das Virus ist. Doch er hat die Gefahren absichtlich verschwiegen und heruntergespielt. Es ist schwer zu beziffern, aber er trägt Verantwortung für viele Tote. Diese Krise hat er nicht managen können, nicht managen wollen. Jetzt ist es zu spät. Als ich im Frühjahr in den USA war, war klar: Der einzige, der Trump schlagen kann, ist Trump. Er hatte damals alle Chancen auf eine Wiederwahl. Dann kam Corona. Seine eigene Erkrankung stellt den Wahlkampf auf den Kopf. Eigentlich müssten auch die letzten Amerikaner jetzt erkennen, dass er ein miserabler Krisenmanager ist und all seine Lügen und Verdrehungen durchschauen. Eigentlich.“

…die Verehrung für Trump:

„Wenn man Trump mit Biden vergleicht, stellt man fest, dass Biden respektiert und gemocht wird, vor allem, weil er das Gegenmodell zum amtierenden Präsidenten ist. Aber niemand würde 48 Stunden bei null Grad im Freien campieren, um ihn bei einer Wahlkampfveranstaltung zu erleben. Die Anhänger Trumps haben das noch im Januar getan, Klaus Brinkbäumer und ich haben es miterlebt. Trump schafft es viel besser, seine Wähler zu begeistern, er wird von ihnen verehrt. Und Trump versucht gar nicht erst, die Mehrheit der Wähler anzusprechen, so wie es Politiker normalerweise tun würden. Er hat nur ein Interesse an etwa der Hälfte der Wählerinnen und Wähler, die muss er in Stellung bringen gegen die andere Hälfte. Und deshalb spricht er über seine Konkurrenten nicht als Gegner, sondern als Feinde. Einmal hat das geklappt, jetzt geht er davon aus, dass er mit dieser Masche wieder Erfolg haben wird. Selbst als gescheiterter Präsident in Coronazeiten kann er sich auf seine Basis verlassen, es wird darauf ankommen, dass er sie wirklich dazu bringt, zu wählen. Trump tut alles dafür, seine Wähler zu mobilisieren - und die von Biden zu demobilisieren.“

…das Duell zwischen Joe Biden und Donald Trump:

„Das Hauptqualitätsmerkmal von Joe Biden ist: Er ist nicht Donald Trump. Das ist nicht viel, doch vielleicht reicht es aus. Denn es ist keine Wahl über Biden, sondern ein Referendum über den amtierenden Präsidenten. Aber es ist schon erstaunlich und enttäuschend, dass es die Demokraten nicht schaffen, in einem Volk von 330 Millionen Einwohnern einen überzeugenderen, jüngeren Gegenkandidaten zu finden und ihn aufzubauen. Joe Biden trägt ja nicht ohne Grund den Beinamen Sleepy Joe. Das ist ein alter, eher müder und manchmal vergesslicher Herr. Mich erschüttert die Performance der Demokraten. Sie haben eine Chance nicht wegen ihres Kandidaten, sondern wegen Trump.“

…das deutsche-amerikanische Verhältnis:

„Der Ausgang der Wahl ist auch in der deutschen Politik ein zentrales Thema, weil unsere Außenpolitik so stark mit der der USA verbunden ist. Mir ist klar geworden, dass es zwischen Deutschland und Amerika an entscheidenden Stellen nicht schlechte Kontakte, sondern gar keine Beziehungen mehr gibt. Die reden nicht miteinander. Trump hatte von Beginn an kein Interesse an einem guten Kontakt zu Angela Merkel, obwohl die sich Mühe gegeben hat.“

…seine Art, Filme mit und über Politiker zu machen:

„Ich bin nicht auf eine schnelle Nachricht aus, sondern mache ergebnisoffene Langzeitbeobachtungen. Das heißt, man lernt sich kennen. Wenn ich dann ein Interview führe, sei es mit Horst Seehofer, Wolfgang Schäuble oder damals mit Peer Steinbrück, Henry Kissinger und noch früher mit Helmut Kohl, dann finden die es gut, über ein Thema mal länger als zehn Minuten sprechen zu können. Die Politiker können sich darauf verlassen, dass sie von mir fair behandelt werden. Das funktioniert in der Regel, viele finden es sogar gut, wenn sie in einem Interview sehr gefordert werden. Es gibt aber auch Fälle, bei denen es nicht funktioniert, und Protagonisten verlangen, dass sie den Film vor der Ausstrahlung abnehmen können. Das mache ich nicht. Es gibt leider Kollegen, die darüber anders denken, und mir damit das Leben schwermachen. Das ist ein eiserner Grundsatz: Ich tue das nicht, und deswegen kommen einige Filme auch nicht zustande.“

…Merkels Beziehung zu Journalisten:

„Angela Merkel hat kein Grundvertrauen zu Journalisten. Wenn ich mit Wolfgang Schäuble Interviews mache, dann merke ich, dass er mir vertraut, dass ich mit dem Material fair umgehe. Das gleiche gilt für Horst Seehofer, Martin Schulz, Annegret Kramp-Karrenbauer, viele andere. Und bei Angela Merkel? Ich habe im Laufe der vergangenen Jahre sieben, acht Interviews mit ihr geführt. Die Interviews wurden nie autorisiert, aber sie wurden immer kürzer und immer unergiebiger. Daraus kann man ablesen, was sie von uns Journalisten hält. Am liebsten ist es ihr, wenn ihr fünf Fragen gestellt werden, dazu gibt sie fünf Antworten – und Tschüs.“

„Im Wahn – die amerikanische Katastrophe“ von Klaus Brinkbäumer und Stephan Lamby im C.H.Beck-Verlag ARD-Dokumentation „Im Wahn – Trump und die Amerikanische Katastrophe“ am 26.10., 22:50 Uhr im Ersten