Hamburg. „Entscheider treffen Haider“ – heute mit Florian Walberg, dessen Produkte jahrelang fast überall auf der Welt verboten waren.

Es klingt verrückt, ein Unternehmen zu gründen, dessen wichtigstes Produkt so gut wie überall auf der Welt verboten ist. Der Hamburger Florian Walberg hat genau das getan: 2011 gründete er eine Firma, die E-Scooter produziert – und kämpfte dann dafür, dass die für den Straßenverkehr zugelassen wurden. Der Weg war lang und führte den ehemaligen Popstar bis in eine EU-Arbeitsgruppe nach Brüssel. In der Reihe „Entscheider treffen Haider“ erzählt Walberg Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider seine ungewöhnliche Geschichte: Ein Gespräch über ein lächerliches Gehalt, E-Scooter als Handys der Mobilität – und über die Arbeitsgruppe TC 354 WG 4, die die Wende brachte.

Das sagt Florian Walberg, Gründer von Walberg Urban Electrics, über …

… die Frage, wie oft er in den vergangenen Jahren kaum noch Geld hatte:

„Wenn ich Freunden erzähle, was ich mir als Geschäftsführer eines Unternehmens mit zehn Millionen Euro Jahresumsatz und 30 Mitarbeitern für ein Gehalt zahle, sagen sie: Das ist nicht dein Ernst, das ist ja lächerlich. Aber so ist das in einem Unternehmen, das stets schwarze Zahlen geschrieben hat und bisher ohne Investoren ausgekommen ist.“

… seine Zeit bei der Boygroup Bed & Breakfast in den 90er-Jahren:

„In der Zeit habe ich Geld gescheffelt, davon ist aber leider gar nichts übrig geblieben. Ich habe nach dem Ende von Bed & Breakfast erst einmal Jahre gebraucht, um mit dem, was da medial und mental mit mir passiert ist, klarzukommen. Bei der Gelegenheit habe ich alles Geld ausgegeben und musste irgendwann wieder von vorn anfangen. Ich habe damals bei einer Konzertagentur gearbeitet und bin als Tourleiter mit großen Künstlern unterwegs gewesen. Große Künstler spielen in großen Hallen, und als Tourleiter musst du darin jeden Tag viele Kilometer zurücklegen. Und das habe ich mit einem Elektroroller getan, den mir meine Freundin geschenkt hat. So fing das alles an, vor jetzt 19 Jahren.“

Florian Walberg: Der erste E-Scooter

… seinen ersten E-Scooter:

„Der war andauernd kaputt, und ich habe angefangen, daran rumzuschrauben. Dadurch habe ich ein paar Jungs kennengelernt, die E-Roller importierten, und irgendwann für diese Firma gearbeitet. Bereits nach wenigen Monaten bin ich in die Fabrik nach China geflogen und habe den Leuten dort gezeigt, wie sie die elektrischen Mofas, die sie damals für uns produziert haben, besser machen können. Die Kollegen dort waren extrem dankbar. Ich war begeistert, wie kon­struktive Kritik aufgenommen wurde. Das hat großen Spaß gemacht.“

… die Gründung seines Unternehmens, das E-Scooter produzierte, die so gut wie nirgendwo auf der Welt für den Straßenverkehr zugelassen waren:

„Ich habe 2011 in den E-Scootern eine der Mobilitätsformen der Zukunft gesehen. Ich glaube nicht daran, dass die Leute nicht mehr Auto fahren wollen. Aber sie werden nicht mit ihrem Pkw in die Innenstadt fahren, sondern das Auto irgendwo vorher parken und die letzten Kilometer mit einem E-Scooter zurücklegen, den man zusammengefaltet im Kofferraum transportieren kann. Da war der Egret mein erstes Produkt, das ich an Leute verkauft habe, die in Lagerhallen arbeiten, an Yachtbesitzer, Messen – es gibt ja viele Möglichkeiten, so ein Gerät auch außerhalb des Straßenverkehrs zu nutzen. Im ersten Jahr habe ich 500 Stück verkauft, und in den Jahren danach ging es konstant nach oben, obwohl der Egret eben für den normalen Gebrauch in Städten nicht zugelassen war. Als klar war, dass die Gesetze sich ändern, ist die Nachfrage so groß geworden, dass wir mit der Finanzierung der Produktionen kaum hinterherkamen. Wir sind an die Grenzen unserer Liquidität gegangen, um so viel zu produzieren, wie irgendwie ging.“

"Ich glaube an diese Art der Fortbewegung

… seinen Kampf um die Zulassung von E-Scootern für den Straßenverkehr, der ihn bis nach Brüssel führte:

„Ich habe versucht, meine E-Scooter zuzulassen. Doch das war nicht möglich, weil die gesetzlichen Vorgaben so waren, wie sie waren. Also habe ich beim Kraftfahrtbundesamt angerufen. Und die haben gesagt, dass die Prüfvorgaben von den sogenannten technischen Komitees in Brüssel kommen. Dort habe ich mir dann ein passendes Komitee herausgesucht und mich dafür eingesetzt, eine Arbeitsgruppe unter anderem für E-Scooter zu gründen: die TC 354 WG 4. Dort haben wir die EU-Prüfnorm für Elektro-Kleinstfahrzeuge entwickelt.“

… das Image von E-Scootern:

„Die Reputation von E-Scootern ist noch stark davon geprägt, wie Verleihunternehmen seit dem vergangenen Jahr den Markt in Deutschland erschließen. Mich haben die negativen Berichte über die Branche, über E-Scooter, die überall rumstehen, getroffen, weil ich ja sehr an diese Art der Fortbewegung glaube. Es gibt eben einen riesigen Unterschied zwischen dem E-Scooter an sich und der Art und Weise, wie die Verleihsysteme funktionieren. Beim sogenannten Sharing geht es darum, sich von A nach B zu bewegen. Fahrzeuge, die man besitzt, decken eine ganz andere Situation ab, sie bringen einen von A nach B und nach A zurück. Für mich ist der E-Scooter ein Verkehrsmittel wie ein Fahrrad, ein Auto, ein Motorrad. Was die Verleiher angeht: Man darf nicht vergessen, wie jung diese Branche ist. Natürlich wird es bald Abstellplätze für E-Scooter geben. Das braucht nur Zeit. Und es stimmt nicht, dass E-Scooter, die verliehen werden, nur sechs Monate halten. Die sind auf zwei bis drei Jahre ausgelegt. Im Moment wird das Bild von E-Scootern stark von denen geprägt, die man sich leihen kann. Und nicht wenige wundern sich, wenn sie mal E-Scooter sehen, die man kaufen kann. Der Unterschied ist deutlich.“

… die Kosten für einen E-Scooter:

„Unser günstigstes Modell liegt bei 549 Euro. Unser Bestseller liegt bei 1500 Euro. Wir haben zehn verschiedene Modelle, die wir wiederum für verschiedene Territorien mit unterschiedlichen Spezifikationen herstellen, im nächsten Jahr kommen drei weitere und eines mit Sitz dazu.“

… über die Zukunft der E-Scooter:

„Die werden die gleiche Entwicklung nehmen wie in den vergangenen Jahren die E-Bikes. E-Scooter sind die Handys der Mobilität. Städte werden dichter, du kannst mit dem Auto nicht überall hinfahren, individuelle Mobilität ist aber ein Grundbedürfnis – das alles spricht für die Nutzung von E-Scootern.“

… seinen Antrieb:

„Ich bin nicht geldgetrieben. Ich will eine sinnvolle Beschäftigung haben. Und ich sehe einen unglaublichen Nutzen für die Menschen, die unsere Produkte haben. Ich bin stolz darauf, was ich in den vergangenen Jahren geschafft habe, obwohl ich in Wahrheit am Anfang nicht wusste, worauf ich mich hier einlasse.“