Hamburg. Bei „Entscheider treffen Haider“ spricht der Chef eines der wichtigsten Konzertveranstalter über Kultur während und nach Corona.

Er ist der Mann, der Weltstars wie Lang Lang, Igor Levit und Anne Sophie-Mutter nach Hamburg holt – und er hat seit der Eröffnung der Elbphilharmonie drei Jahre wie im Rausch hinter sich. Burkhard Glashoff (50), Chef der Konzertdirektion Dr. Rudolf Goette (Pro Arte), spricht in bei „Entscheider treffen Haider“ über die Unterschiede zwischen Pop- und Klassikkünstlern, Hunger und Extrawünsche, Masken und Geld. Das komplette Gespräch hören Sie unter www.abendblatt.de/entscheider.

Das sagt Burkhard Glashoff über …

… die Frage, wie man die Weltstars der Klassik nach Hamburg holt:

„Erst mal muss man überhaupt wissen, wo man anrufen muss. Das ist gar nicht so einfach, weil jemand wie Lang Lang eben nicht im Telefonbuch steht. Dann muss man zu den Agenten der großen Stars durchdringen, bei denen sich Anfragen nach Auftritten ihrer Künstler natürlich stapeln. Und schließlich muss man, wenn man diese beiden Hürden genommen hat, einen Termin finden, an dem etwa die Elbphilharmonie frei ist und der Künstler Zeit hat. Außerdem ist wichtig, dass man die Agenten über die Jahre persönlich ziemlich genau kennenlernt, damit man weiß, womit man sie und die Künstler am ehesten locken kann.“

… die Klassikstars und das Geld:

„Natürlich spielt das Geld eine Rolle, wenn du einen Star zu einem Auftritt nach Hamburg holen willst, allerdings vor allem in der Popmusik. In der Klassik kommen noch zwei andere wichtige Kriterien dazu. Das erste ist: Wo findet das Konzert statt? Die Klassikkünstler legen großen Wert darauf, in Hallen zu spielen, die akustisch gut funktionieren und in denen sie ein begeisterungsfähiges Publikum vorfinden. Ob man in der Stadthalle Wanne-Eickel oder der Elbphilharmonie auftritt, macht da schon einen Unterschied.

Das zweite Kriterium ist das Vertrauen in den Veranstalter. Die klassische Musik ist ein sehr persönlich geprägtes Geschäft. Vielen Künstlern ist es wichtig, dass sie den Veranstalter kennen und gut finden, was der sonst so macht. Und was das Geld betrifft: Wir haben in der Klassik anders als in der Popmusik Festgagen. Da gibt es natürlich eine weite Spanne: Das beginnt etwa für große, namhafte Symphonieorchester im mittleren fünfstelligen Bereich und kann bis zu 300.000 Euro für einen Auftritt gehen.“

… hungrige Künstler:

„Ich spreche mit jedem Künstler. Übliche Plattform dafür ist bei uns das sogenannte Künstleressen nach dem Konzert. Die Stars sind dann zwar ausgepowert und haben total Hunger, gleichzeitig aber auch sehr wach und nicht totzukriegen. Wir sitzen oft noch bis ein oder zwei Uhr in der Nacht zusammen. Es ist übrigens in Hamburg gar nicht so leicht, Restaurants zu finden, die uns ihre Küche bis nach 23 Uhr offen halten. Da gibt es eine Handvoll, die infrage kommen und die ja möglichst im Umfeld von Elbphilharmonie und Laeiszhalle liegen sollten.“

… Extrawünsche:

„Klassikkünstler sind in diesem Punkt wie alle anderen Künstler. Sie haben ganz genaue Vorstellungen davon, wie die Umstände eines Konzertes sein sollen. Ich finde das nachvollziehbar, weil die meisten Künstler nicht nur sehr professionell, sondern auch sensibel sind und oft Respekt vor ihren Auftritten haben. Übrigens gilt das gerade für Künstler, bei denen man das auf den ersten Blick gar nicht erwartet. Kleinere Störungen empfinden die schon als Störungen, die sie aus dem Konzept bringen können.

Wir hatten bei einer bekannten Sängerin vor Kurzem etwa die Anforderung, dass man ihr Hotelzimmer komplett abdunkeln können musste, da durfte kein noch so kleiner Lichtschimmer durch eine Ritze kommen. Die Anforderungen an Unterbringung, das Catering, das Licht auf der Bühne und den Backstagebereich sind schon immer sehr klar.“

… die Rolle der Elbphilharmonie für die Konzertstadt Hamburg:

„Vor der Eröffnung der Elbphilharmonie hat Hamburg bei den Künstlern keine große Rolle gespielt. Wenn es um Deutschland ging, hat man über Berlin, München, Köln und Frankfurt gesprochen. Das hat sich erst 2017 mit der Elbphilharmonie geändert, inzwischen ist Hamburg eine feste Größe in den internationalen Tourneeplänen. Eigentlich sagen inzwischen alle Stars, dass sie unbedingt in der Elbphilharmonie spielen wollen, es gibt mehr Künstler als verfügbare Termine.“

… den Rausch seit der Eröffnung:

„Wir hatten in den vergangenen drei Jahren kein einziges Konzert, das nicht ausverkauft war. Es war tatsächlich wie ein Rausch. Ich kann immer noch nicht richtig fassen, dass das Realität geworden ist. Das Hamburger Publikum ist unglaublich begeisterungsfähig und hat mit uns seit 2017 diesen wahr gewordenen Traum gelebt. Am Anfang war der Inhalt, waren die Konzerte nicht so entscheidend, die Leute haben Karten für alles Mögliche gekauft, Hauptsache, es fand in der Elbphilharmonie statt. Inzwischen haben viele Leute aber entdeckt, dass klassische Musik total spannend ist, und stellen deshalb andere Ansprüche an die Künstler. Heute ist der Inhalt wichtiger als die Verpackung, also die Elbphilharmonie.“

… das (etwas ältere) Konzertpublikum:

„Daran zu arbeiten, dass 30- bis 50-Jährige vermehrt in klassische Konzerte kommen, ist vergebliche Liebesmüh. Man gründet eine Familie, man kümmert sich um seinen Job, man baut ein Haus – das findet alles in dieser Zeit statt. Wir als Konzertveranstalter müssen die Menschen ansprechen, wenn sich diese Lebensphase dem Ende nähert, und wir müssen sie in den Jahren davor an die klassische Musik heranführen. Wenn das gelingt, haben wir gewonnen.“

… die Wiederaufnahme von Konzerten nach Corona:

„Ich hoffe, dass es im September uneingeschränkt weitergeht, und ich bin da auch recht optimistisch, da bereits im Juni in vielen deutschen Städten wieder Konzerte veranstaltet werden durften. Natürlich unter den geltenden Abstandsregeln, was bedeutet, dass maximal 500 Besucher zugelassen wurden. Die Kollegen lösen das dann so, dass es zwei Konzerte gibt, eines um 17 Uhr und eines um 20 Uhr, und man somit schon wieder 1000 Gäste an einem Tag in einer Konzerthalle haben kann. Von diesen Tests werden wir sicherlich profitieren. Außerdem verkaufen wir alle Karten nur noch online und können damit gewährleisten, auch nach zwei Wochen noch sagen zu können, wer auf welchem Platz in welchem Saal beim Konzert gesessen hat. “

… den Stellenwert der Kultur in der Corona-Krise:

„Ich fand es problematisch, dass die Kultur in den ersten Wochen nicht als systemrelevant oder überhaupt bedeutungsvoll wahrgenommen wurde. Inzwischen hat sich das zum Glück geändert, auch weil Künstler aufgestanden sind. Wir können diesen Zustand nicht über 18 Monate durchhalten, wie es Herr Lauterbach von der SPD mal gesagt hat. Wir müssen bald wieder spielen und fühlen uns auch bestärkt durch die Reaktion des Publikums.

Wer glaubt, dass die Menschen wegen Corona Angst vor dem Besuch eines Konzerts haben, der irrt. Wir haben in den ersten zwei Wochen seit Beginn des Vorverkaufs für die neue Elbphilharmonie schon eine mittlere fünfstellige Zahl an Karten abgesetzt. Der Wert der klassischen Musik ist zumindest dem Publikum in der Corona-Zeit noch klarer geworden. Er wurde vielleicht erst dann richtig deutlich, als man nicht mehr die Wahl hatte, jeden Abend in ein anderes Konzert oder in ein Theater zu gehen. Die vielen Kultur-Liveübertragungen im Internet, die es zurzeit gibt, können das gemeinschaftliche Erlebnis mit 1000 oder 2000 Menschen in einer Halle nicht ersetzen.“

… (Geister-)Konzerte im Internet:

„Das kann schon eine Geschäftsidee sein, die aus meiner Sicht aber vor allem die CDs ersetzen wird und nicht die Konzerte. Die physischen Tonträger werden komplett durch das Streaming ersetzt werden.“

… die deutsche Kultur nach Corona:

„Die Dauer der Pause wird entscheidend dafür sein, was wir nach Corona von der deutschen Kulturlandschaft noch vorfinden. Bis September halten die meisten sicherlich noch durch, danach wird es gefährlich und für viele existenziell.“

… den internationalen Tourneezirkus und Künstler, die wie verrückt von Termin zu Termin hetzen:

„Das wird sich ändern. Die Corona-Krise ist tiefgreifend und überlagert sich derart mit der Klimakrise, dass sich viele Künstler die Frage stellen werden, ob sie wirklich an sieben Tagen an sieben verschiedenen Orten spielen müssen und den Rest der Zeit im Flugzeug verbringen. Die meisten Stars, die in der Elbphilharmonie aufgetreten sind, haben doch von Hamburg überhaupt nichts gesehen, die sind am Morgen nach dem Konzert weitergeflogen. Die waren total getrieben von ihrem Kalender. Ich glaube, dass künftig die Verknüpfung von Künstlern und Publikum stärker werden muss und wird, und dafür müssen die Künstler mehr Zeit in einer Stadt verbringen, vielleicht hier auch mehrere Auftritte haben. Cecilia Bartoli hat uns beispielsweise vorgeschlagen, im November zwei Konzerte hintereinander in Hamburg zu machen. Das ist sicherlich ein Modell für die Zukunft: dass internationale Stars nicht mehr jedes Jahr nach Hamburg kommen, aber wenn sie da sind, länger bleiben.“

… die Rolle staatlicher Kulturhäuser:

„In meinen Augen ist es in der Phase, in der wir uns im Moment befinden, lähmend, wenn die staatlichen Theater- und Konzerthäuser nicht öffnen, weil das für sie im Zweifel wirtschaftlich besser ist, als vor weniger Zuschauern zu spielen. Sie müssen vorangehen, sie haben den Kulturauftrag.“

… Masken im Konzerthaus:

„In Asien ist es gang und gäbe, in solchen Phasen, auch bei schweren Grippewellen, Masken bei Konzerten zu tragen. Das kann ich mir auch für Deutschland gut vorstellen, wenn die Alternative sonst ist, nicht mehr in Konzerte gehen zu dürfen. Wir als Veranstalter würden natürlich auch angenehm zu tragende Masken vorhalten. Und durch die Corona-Krise hat man sich ja an Masken gewöhnt, kein Mensch findet die mehr komisch.“