Hamburg. Christoph Vilanek leitet Deutschlands größten Mobilfunkanbieter ohne eigenes Netz. Im Podcast spricht er über Erfolgsdruck und mehr.

Wie viele Vorstandsvorsitzende eines Hamburger Unternehmens mit fast drei Milliarden Euro Umsatz und 4300 Mitarbeitern mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren, ist nicht bekannt. Christoph Vilanek gehört auf jeden Fall dazu. Auch sonst ist der gebürtige Innsbrucker anders, als man sich einen CEO vorstellt. Das beginnt mit der Geschichte, wie er an die Spitze von Freenet, Deutschlands größtem Mobilfunkanbieter ohne eigenes Netz, gekommen ist, und endet bei den Briefen, die er seinen Kollegen schreibt. Ein Gespräch über siebenstellige Jahresgehälter, Erfolgsdruck – und Homeoffice. Komplett zu hören unter www.abendblatt.de/entscheider.

Das sagt Christoph Vilanek über …

… die Frage: „Who the heck is Vilanek?“:

„Die Frage hat eine Journalistin im ,Handelsblatt‘ gestellt, als ich 2009 Vorstandsvorsitzender von Freenet wurde. Ich fand diese Frage relativ witzig, denn es war ja schon ein ungewöhnlicher Schritt, den ich damals gegangen bin: Die Freenet übernimmt die Debitel, und statt des CEO der Freenet wird ein Bereichsleiter von Debitel Chef des neuen Unternehmens. Und noch dazu einer, der nicht zu den arrivierten Namen gehörte.“

… seinen ungewöhnlichen Weg an die Spitze von Freenet:

„Ich war seit vier Jahren bei der Debitel, als das Unternehmen von Freenet gekauft wurde und sich für mich die Frage stellte, was aus mir wird. Mein Chef sagte damals: Keine Ahnung, wir sind ja nur der Juniorpartner … Das war mir zu blöd, und deshalb habe ich gekündigt. Das bekam der damalige CEO von Freenet, Eckhard Spoerr, mit und bot mir einen neuen Job an, sodass ich meine Kündigung zurückgezogen habe. In einer Tiefgarage eines Hamburger Hotels haben wir einen Vertrag als Vertriebschef unterschrieben, den ich heute noch zu Hause habe. Die Unterschriften sind kaum zu entziffern, weil wir sie auf dem Dach eines Autos geleistet haben. Wenige Tage später musste dann Spoerr gehen, und ich war das zweite Mal weg. Am 13. März 2009 war mein letzter Arbeitstag. Am 14. März ruft mich ein Personalberater an, ob ich Zeit und Lust hätte, mit Helmut Thoma, dem Aufsichtsratsvorsitzenden von Freenet, zu sprechen. Mit dem habe ich mich im Grand Elysee getroffen, eine halbe Stunde, zwei Österreicher unter sich, da kommt man sich schnell geistig näher. Und er fragte mich: Wollen Sie nicht bleiben? Und ich sagte: Schon, aber ich muss wissen, wer CEO wird. Und dann sind wir mögliche Namen durchgegangen, mit keinem konnte ich mir eine Zusammenarbeit vorstellen. Irgendwann hat Thoma dann gesagt: Warum machen Sie es nicht selbst? Damit war das Thema erledigt. Einmal im Leben muss man zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort sein. Am 6. April 2009 bin ich zum Vorstandsvorsitzenden bestellt worden. Das war schon von Helmut Thoma und den Eigentümern ein mutiger Schritt, und ich war die ersten anderthalb Jahren der Rolle gegenüber sehr demütig. Wenn ich es nicht geschafft hätte, hätten alle und zu Recht gefragt: Who the heck is Vilanek?“

… den Moment, in dem er in seiner Rolle als CEO angekommen ist:

„Das waren mehrere Schritte. Wir hatten in den Anfängen eine wahnsinnig schwierige Zeit, mussten anderthalb Milliarden Euro Schulden abbauen und verschiedene Geschäfte verkaufen. Ich wurde über Nacht in eine Situation geworfen, auf die sich viele andere Vorstände zehn Jahre lang vorbereiten können. Ich bin mit dem ICE durch die Grundausbildung zum CEO. Nach zwei Jahren hatte ich das Gefühl, trittsicher zu sein. Nach drei Jahren drehte sich das Unternehmen in die Richtung, in der ich es haben wollte. Und nach vier, fünf Jahren war die Kultur etabliert, die mir wichtig ist.“

… den Erfolgsdruck:

„Interessanterweise fühle ich mich heute mehr unter Erfolgsdruck als früher. Mir wäre es unangenehm, wenn jemand sagen würde: Die ersten zehn Jahre mit dem Vilanek waren gut, aber dann hätte er es lieber lassen sollen. Ich möchte schon durch das Gebäude gehen und das Gefühl haben, dass die Leute finden, dass ich zu Recht da sitze, wo ich sitze.“

… den Zusammenhang zwischen der Kontinuität an der Spitze eines Unternehmens und dessen Erfolg:

„Ich glaube schon, dass Konstanz in Unternehmen wichtig ist. Aber es tut mir leid, ich kenne auch aus dem näheren Hingucken eine Reihe von Firmen, wo ich sagen würde, dass sie die Konstanz besser beenden sollten. Und das wird nur nicht getan, weil es alte Seilschaften gibt, weil brüderlich die Zukunft geteilt wird und weil man das Gefühl hat, man ist sich gegenseitig etwas schuldig. Es ist an der Spitze genauso erschütternd wie im normalen Leben. Es gibt in erstaunlich vielen Führungspositionen Leute, bei denen man sich sagt: Der ist deutlich über seine Fähigkeiten hinaus befördert worden. Über mich selber würde ich immer sagen, dass ich es merken würde, wenn ich dem Job nicht mehr gewachsen wäre. Aber würde man in so einem Moment tatsächlich von sich aus gehen? Oder überwiegt das schöne Gefühl, jeden Monat einen Wahnsinns-Scheck zu kriegen?“

… den „Wahnsinns-Scheck“ am Monatsende:

„Ich habe kein Problem damit, dass die Leute wissen, was ich verdiene, man kann es ja im Geschäftsbericht nachlesen. Was soll ich mich da jetzt verdrücken? Ich frage mich auch, ob es gerechtfertigt ist, und überprüfe mich da schon. Ich finde, dass mein Gehalt fair ist, weil ich einen ganz anderen Druck und Einsatz habe. Übrigens gibt es eine Pyramide von Menschen in einem Unternehmen, die Interesse daran haben, dass der Vorstandsvorsitzende ein möglich hohes Einkommen hat, weil sie dann auch auf mehr Geld hoffen können.“

… Briefe an seine Mitarbeiter:

„Ich schreibe einzelnen Mitarbeitern Briefe, wenn etwas besonders ist. Diese Briefe werden mit der Post verschickt, das ist etwas anderes als eine E-Mail oder ein Anruf. Ich sag immer: Das einzige Führungsprinzip, das ich habe, ist Lob. Und das Gegenteil von Lob ist kein Lob. Ganz einfach.“

… die Frage, warum Freenet trotz gut laufender Geschäfte in diesem Jahr keine Dividende an die Aktionäre zahlen will:

„Wir spüren von Corona in den Ergebnissen nichts. Dass wir keine Dividende auszahlen, ist eine reine Vorsichtsmaßnahme. Wir müssen im Herbst 250 Millionen und im Frühjahr 450 Millionen Euro refinanzieren, und ich möchte nicht von Banken mit einem Corona-Aufschlag erpresst werden können.“

… den Einstieg bei Ceconomy, der Mutter von MediaMarktSaturn:

„Das ist eine strategische Beteiligung. Es ist ein Unterschied, wenn Sie mit einem Händler verhandeln, von dem Ihnen selbst knapp zehn Prozent gehören. Und MediaMarktSaturn ist für uns der mit Abstand wichtigste Vertriebspartner. Ich glaube übrigens fest an den stationären Einzelhandel. Der Beweis für die Lebensfähigkeit des Einzelhandels ist Ikea. Dort geht man hin, um einen Bettvorleger zu kaufen, und kommt nach Hause mit zwei neuen Klobürsten, einer Pflanze, einem Bücherregal und 1000 Teelichtern.“

… die Fernsehsparte von Freenet:

„Waipu.tv ist mein absolutes Lieblingsprodukt. Aber mir fällt es mit den Verantwortlichen bis heute schwer, die Kommunikation so zu gestalten, dass sie eindeutig trifft. Waipu.tv ist lineares Fernsehen, an dessen Zukunft ich übrigens genauso fest glaube wie an die Zukunft des stationären Einzelhandels. Ein großer Teil der Menschen hat nämlich einfach keine Lust, sich ständig zu überlegen, was er sich als Nächstes angucken will.“

… Homeoffice:

„Ich finde Homeoffice weder für die Mitarbeiter noch für das Unternehmen erstrebenswert. Ich bin davon überzeugt, dass es richtig und wichtig ist, Präsenz zu zeigen. Das habe ich auch meiner Mannschaft gesagt. Wenn wir das andere tun wollen, dann auch in letzter Konsequenz, das heißt ohne teure Bürogebäude, Parkplätze, Kantinen, etc. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass die Arbeit im Homeoffice genauso gut funktioniert, wie wenn wir alle beieinander sind. Es geht mir nicht darum, dass Leute nicht zu Hause arbeiten sollen. Ich glaube, dass Kreativität, Disput, neue Ideen nur entstehen, wenn man zusammen ist. Ich war während der Corona-Krise jeden Tag im Büro.“

… Fahrrad statt Fahrer:

„Ich habe das Glück, dass ich nur zweieinhalb Kilometer von der Arbeit entfernt wohne. Ich kann entweder zu Fuß gehen oder Fahrrad fahren. Ich bin einmal sogar mit dem Stand-up-Brett zur Arbeit gefahren, aber das war ganz schön anstrengend. Ich wollte nie einen Dienstwagen, weil ich mich dann an bestimmte Regeln halten muss. Und ich mag mich generell nicht gern an Regeln halten.“

… eine mögliche Zeit nach Freenet:

„Ich mache das wahnsinnig gern und habe vor, meinen Vertrag bis Ende 2023 zu erfüllen. Aber ich mache auch keinen Hehl daraus, dass ich schon gern noch einmal etwas Neues machen würde. Ich würde gern in einer völlig neuen Umgebung ohne Historie, ohne Rucksack aus der Vergangenheit, alles, was ich gelernt habe, einmal zeigen können. Wenn ich eine Idee hätte, was es genau ist, hätte ich es schon gemacht. In der Branche würde ich nicht wechseln wollen, da gibt es kein schöneres Unternehmen als unseres.“