Hamburg. Wahl-Spezial im Podcast: Heute mit Bernd Riexinger von der Bundespartei und Sabine Boeddinghaus von der Hamburger Linken.

Hamburgs linke Parteien dürften nach der Bürgerschaftswahl am 23. Februar auf eine große Mehrheit kommen – doch den Linken selbst nutzt das nichts, weil SPD und Grüne sie nicht zum Regieren brauchen. Bernd Riexinger, einer der beiden Bundeschefs der Partei, und Sabine Boeddinghaus aus dem Hamburger Team der Spitzenkandidaten, erklären, warum das gar nicht so schlimm ist, wie sie die Probleme auf dem Hamburger Wohnungsmarkt lösen würden und warum Menschen in bestimmten Stadtteilen einfach keine Zeit für Politik haben. Das komplette Gespräch hören Sie im Internet unter www.abendblatt.de/entscheider. Das sagen die beiden Politiker über …

… Hamburgs große Probleme und wie man sie lösen kann:

Riexinger: „Hamburg hat das Problem einer großen sozialen Spaltung. Immer mehr Menschen werden sozial ausgegrenzt und an den Rand gedrängt. Hamburg wird ein Problem mit dem Klimaschutz bekommen. Die Frage der Verkehrswende wird zentral. Und die Dramatik auf dem Wohnungsmarkt ist schon sehr groß, die betrifft ja längst nicht nur die Ärmsten der Armen, sondern inzwischen auch Menschen, die gutes Geld verdienen. Man muss wieder das Prinzip einführen, dass Wohnen für alle bezahlbar ist. Niemand darf aus seinem Viertel durch zu hohe Mieten vertrieben werden.“

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Boeddinghaus: „Was die Wohnungssituation angeht, sagen wir: Guckt nach Berlin, lernt von Berlin, lasst uns den Mietendeckel einführen.“

Riexinger: „Mieten begrenzen, Deckel drauf für fünf Jahre. Außerdem müssen wir Sozialwohnungen schaffen, die nicht nach 15 Jahren aus der Sozialbindung gehen – die müssen immer Sozialwohnungen bleiben. Hinter allem steht die Frage: Wem gehört die Stadt?“

Boeddinghaus: „Wohnen muss für Menschen gedacht und geplant werden und nicht für Investoren. Die anderen Parteien haben leider Angst, sich mit diesen Investoren anzulegen. Wir sagen: 50 Prozent aller in Hamburg gebauten Wohnungen müssen Sozialwohnungen sein, auf öffentlichen Grundstücken sogar 100 Prozent. Hamburg hat auch ein Problem mit einer hohen Armutsquote bei Kindern, Jugendlichen und alten Menschen. Die soziale Spaltung ist für Rot-Grün ein Thema, das wehtut. Darüber sprechen die nicht gern, das wollen die nicht auf der Agenda haben. Das Land könnte viel mehr tun, um die Armut zu bekämpfen. Die SPD sagt Ja im Wahlkampf, dass sie die ganze Stadt im Blick hat. Hat sie aber nicht.“

Bernd Riexinger, einer der Chefs der Partei Die Linke auf Bundesebene, und Sabine Boeddinghaus, die zusammen mit Cansu Özdemir und David Stoop die Linke in den Bürgerschaftswahlkampf führt.
Bernd Riexinger, einer der Chefs der Partei Die Linke auf Bundesebene, und Sabine Boeddinghaus, die zusammen mit Cansu Özdemir und David Stoop die Linke in den Bürgerschaftswahlkampf führt. © Thorsten Ahlf | Thorsten Ahlf

… den (öffentlichen Personennah-) Verkehr in Hamburg:

Riexinger: „Die Fähigkeit der Linken könnte sein, die Klimaschutzfrage und die soziale Frage in einem Projekt zusammenzubringen. Wenn wir kostenlosen ÖPNV in drei Stufen einführen, dann hilft das bei der Lösung beider Probleme.“

Boeddinghaus: „Das Angebot des ÖPNV muss ausgebaut werden, und es muss für bestimmte Gruppen wie Schüler, Auszubildende, Studenten, alte Leute kostenfrei sein. Und dann brauchen wir das 365-Euro-Ticket für alle.“

Riexinger: „Die Städte, die emissionsfrei werden wollen, gehen alle den gleichen Weg: Vorfahrt für Fußgänger und Radfahrer, der Rest wird mit dem ÖPNV gemacht. Und die letzten Strecken von der Endhaltestelle werden mit Mini-Bussen zurückgelegt. Wenn du dafür die Voraussetzungen geschaffen hast, kannst du auch autofreie Zonen machen. Aber in der Reihenfolge.“

Boeddinghaus: „Die autofreie Innenstadt ist erstrebenswert. Mit dem Auto einkaufen macht sowieso keinen Spaß.“

… die starke linke Mehrheit in Hamburg:

Riexinger: „In den Städten haben sich neue sozial-kulturelle Milieus herausgebildet. Hier leben viele junge Leute, Studenten und Menschen, die in Dienstleistungsberufen arbeiten, die nicht so gut bezahlt werden. Es ist mit einem geringen Einkommen sehr schwer, in einer reichen Stadt zu leben. Deshalb gibt es in Städten wie Hamburg Mehrheiten links von der Mitte, wobei SPD und Grüne hier so links ja gar nicht mehr sind.“

Boeddinghaus: „Hamburg hat eine Einwohner*innenschaft, die sehr dafür eintritt, dass wir eine weltoffene, menschliche und soziale Stadt sind. Das ist auch ein Grund, warum die AfD so schwach in Hamburg ist. Ich hoffe, dass sie gar nicht mehr in die Bürgerschaft kommt.“

… die Tatsache, dass SPD und Grüne die Linke nicht zum Regieren brauchen:

Boeddinghaus: „Wir haben nicht unter allen Umständen das Ziel, Regierungsverantwortung zu übernehmen. In einer Demokratie ist es genauso wichtig, dass es eine starke linke Opposition gibt, und die Rolle nehmen wir gern an.“

Riexinger: „Man erreicht in der Opposition auch viel. Wir vertreten da auch Gruppen, für die sich die anderen Parteien gar nicht mehr interessieren.“

… Schulen, die ausgleichen müssen, was die Eltern versäumen:

Riexinger: „Überall, auch in Hamburg, hängt der Bildungserfolg zu sehr von der sozialen Herkunft ab. Das weiß man seit Langem, und man weiß auch, was man dagegen tun kann. Man braucht mehr Lehrer. Die Kinder, die Probleme haben, müssen gezielt gefördert werden. Kein Kind darf in der Schullaufbahn verloren gehen. Die Schule muss ausgleichen, was die Kinder vom Elternhaus nicht kriegen können.“

Boeddinghaus: „Das derzeitige Bildungssystem in Hamburg verschärft die sozialen Unterschiede sogar noch. Die Stadtteilschulen machen die Inklusion, die Integration von Geflüchteten, und sie kümmern sich sowieso um die eher schwächeren Schüler. Die Gymnasien haben die Schüler, die die Unterstützung von zu Hause erhalten.“

… die Frage, warum die Wahlbeteiligung in sozial schwächeren Stadtteilen oft gering ist:

Riexinger: „Die Menschen dort sind sehr damit beschäftigt, ihr Leben auf die Reihe zu kriegen. Wenn sie wenig Einkommen haben, müssen sie viel mehr Energie aufwenden, um sich und ihre Familie durchzubringen. Da bleibt kein Platz für Politik und Engagement. Wir machen viele Hausbesuche, die Menschen erleben, dass wir nicht über sie, sondern mit ihnen reden. Wir gehen bewusst in die sozialen Brennpunkte.“

… eine neue Form von Solidarität:

Riexinger: „Solidarität muss neu definiert werden. Der gut bezahlte Ingenieur muss ein Interesse daran haben, dass es genügend und gut bezahlte Erzieher für seine Kinder gibt. Das Bewusstsein für diese Zusammenhänge wächst: Die Besserverdiener begreifen, dass es auch für sie gut ist, wenn sie in einer sozialen Stadt leben. Und der Klimaschutz wird nur funktionieren, wenn er sozial ist.“

Boeddinghaus: „Deshalb wählen uns ja auch zunehmend Leute, die besser verdienen. 30 Prozent des sogenannten kritischen Bildungsbürgertums stimmen für die Linke.“

… die Frauenfrage:

Boeddinghaus: „Natürlich ist es höchste Zeit, dass Hamburg eine Frau als Bürgermeisterin bekommt, aber deswegen muss man jetzt nicht automatisch Frau Fegebank wählen. Dass bisher nur Männer Bürgermeister waren, hat mit der inneren Verfasstheit der Parteien zu tun. Die Frauenfrage wird auch dazu führen, dass sich der Wahlkampf auf das Duell zwischen Frau Fegebank und Herrn Tschentscher zuspitzt. Wir als Linke werden deshalb aufpassen, dass die Inhalte nicht zu kurz kommen.“

… die bundespolitische Bedeutung der Hamburger Wahl:

Riexinger: „Allein die Tatsache, dass die Bürgerschaftswahl die einzige Landtagswahl in diesem Jahr ist, verleiht ihr bundespolitische Bedeutung. Wenn wir als Linke es schaffen, unsere Aufwärtsentwicklung in Großstädten fortzusetzen, tut uns das gut. Die größte Bedeutung hat die Wahl aber für die SPD: Wenn die in Hamburg ihre führende Stellung verlieren würde, würde das für sie bundespolitisch Folgen haben und Gräben aufreißen. Ich persönlich glaube aber, dass es der SPD gelingen wird, wieder stärkste Partei zu werden. Allein schon deshalb, weil es bei einer Stadtwahl immer um die lokale Politik geht, da spielt der Bundestrend kaum eine Rolle.“

… eine mögliche Dreier-Konstellation im Senat nach der Wahl:

Boeddinghaus: „Mein Eindruck ist, dass es der CDU und der FDP egal wäre, mit wem sie eine Regierung bilden, solange sie überhaupt dabei sein können. Ich erlebe beide Parteien als relativ beliebig. Bei den Grünen könnte ich mir vorstellen, dass sie sich gern mal von der SPD emanzipieren würden.“

Riexinger: „Wenn die SPD hinter den Grünen landet und nicht als Junior-Partner in eine neue Regierung gehen will, muss sie sich etwas überlegen.“

… den Erfolg der Grünen:

Riexinger: „Die Grünen sind auch deshalb so erfolgreich, weil sie in ihren Positionen ein Stück weit beliebig geworden und in die Mitte gerückt sind. Das ist nicht unser Weg. Wir wollen unseren Positionen treu bleiben und dafür mehr Anhänger gewinnen. Das dauert. Aber dass wir in Großstädten wie Hamburg zweistellige Prozentwerte bei Wahlen erreichen, ist eine gute Voraussetzung.“

… schlechte Bezahlung

Riexinger: „Es ist unfassbar, dass wir Leuten, denen wir unser Geld anvertrauen, mehr Geld bezahlen als Menschen, denen wir unsere Kinder anvertrauen.“