Hamburg. Im Abendblatt-Podcast „Dem Tod auf der Spur“ geht es um einen Mann, der wegen Fußball-Liedern ausrastet und eine junge Frau tötet.

Fußball ist sein Leben. Es ist eine Leidenschaft, die einen Mann aus Bremen offenbar vollkommen durchdrungen hat. Zugleich aber zerrt die Faszination für Fußball auf fatale Weise an den Nerven des 52-Jährigen. So lange, bis der Bremer schließlich ausrastet und eine junge Frau tötet. Ausgerechnet mit Werder-Liedern habe sie ihn zu der Tat getrieben, meint der Niedersachse später.

Es sind Wahnvorstellungen, die ihn zum Mörder gemacht haben. Zudem hat tatsächlich ein Fußballspiel dazu beigetragen, dass das Verbrechen aufgeklärt werden kann: Nach einem 0:7-Debakel seines Lieblingsvereins Werder Bremen gegen Bayern München marschiert der Verbrecher zur Polizei und legt ein Geständnis ab. „Ich war es“, sagt er. „Ich bin der Mörder.“

„Ich habe in meiner jahrzehntelangen Erfahrung als Rechtsmediziner schon viel Ungewöhnliches erlebt“, erzählt Rechtsmediziner Klaus Püschel im Abendblatt-Crime-Podcast „Dem Tod auf der Spur“ mit Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher. „Doch der Mord an einer 21-Jährigen aus Niedersachsen erweitert das Spektrum der Erkenntnis, dass es bei Verbrechen ,nichts gibt, was es nicht gibt‘, um eine weitere Variante.“

Der Täter hat der Frau 30 Stichverletzungen zugefügt

Die Vorgeschichte dieses kuriosen Mordfalls: Eine junge Frau ist im Jahr 2012 in eine Einzimmerwohnung eines Mehrfamilienhauses eingezogen. Die Frau, die an einer Tankstelle arbeitet, hat einen festen Partner, der auch einen Wohnungsschlüssel besitzt. Als dieser Freund an einem Abend Ende des Jahres 2013 die Wohnung der 21-Jährigen betritt, entdeckt er seine Freundin blutüberströmt in ihrem Bett. Jede Hilfe für die junge Frau kommt zu spät.

„Ich habe das Opfer am kommenden Tag obduziert“, erinnert sich Püschel. „Der Täter hat der Frau 30 Stichverletzungen zugefügt. Der Tod ist letztlich durch Ersticken nach Strangulation eingetreten – in Kombination mit Verbluten nach Vielfachstichverletzungen unter anderem an Hals und Brust.“

Die Polizei forscht zunächst im Umfeld der Getöteten nach Verdächtigen, hat zunächst den Freund und den Chef der jungen Frau im Visier. Doch der Mann, der schließlich als Täter ermittelt wird, ist der Nachbar.

Er glaubte, die Frau wolle ihn durch Werder-Lieder wahnsinnig machen

Was ihn zur Tat getrieben hat, schildert der 52-Jährige der Polizei später so: Er ist mit seiner neuen Nachbarin in Streit geraten, weil sie angeblich abends und in der Nacht viel zu laut Musik höre, insbesondere Werder-Gesänge. Er steigert sich in die wahnhafte Vorstellung, dass sie die Fußball-Lieder über die Tapete in seine Wohnung geleitet habe. Er glaubt, die Frau wolle ihn mittels der Werder-Lieder wahnsinnig machen.

Eines abends lauert er, bewaffnet mit einem Fleischermesser, der 21-Jährigen auf und folgt ihr in ihre Wohnung. Er stellt sie wegen der Werder-Musik zur Rede. Sie bestreitet, solche Lieder abzuspielen. Der Streit eskaliert, er greift sie an. Sie beginnt zu schreien. Um sie zum Schweigen zu bringen, sticht er zu, mehrfach, auch in Hals und Kehle. Zudem würgt er das Opfer. Anschließend entsorgt er seine blutverschmierte Kleidung und wirft das Messer in ein Gewässer.

Zurück in seiner Wohnung dann der Schock: Auch in der Nacht, nachdem er die Nachbarin getötet hat, hört er erneut die Werder-Lieder. Nun wird ihm schlagartig klar, dass durch seine Hand ein unschuldiges Opfer hat sterben müssen. Knapp zwei Tage nach der Tat sieht der Mann in einer Kneipe im Fernsehen das Fußballspiel Werder Bremen gegen Bayern München an – jenes Spiel, das sein Lieblingsverein Bremen mit 0:7 verliert. Nun erscheint ihm alles sinnlos.

„Ich bin der Mörder“, sagt er

Er geht zu einem Polizeikommissariat in der Nähe. Dort verkündet er gegenüber einem Polizisten, dass er sich stellen wolle. „Ich bin der Mörder“, sagt er. Und er berichtet von seinem Motiv und was ihn bewogen hat, zur Polizei zu gehen.

Auch ich als Werder-Fan habe besagtes Fußballspiel damals im Stadion gesehen“, erzählt Püschel. „Und war ebenfalls von der Schlappe der Bremer frustriert. Aber dass jemand deswegen einen Mord gesteht, ist mehr als ungewöhnlich!“

Nach diesem erstaunlichen Geständnis hat Püschel einen Freund angerufen, der Mannschaftsarzt bei Bayern München ist. „Ich beglückwünschte den Arztkollegen dazu, dass die Bayern nicht nur ein sehr gutes Spiel gezeigt hatten. Ich gratulierte ihm auch dazu, dass die Mannschaft mitgeholfen hat, einen Mörder dingfest zu machen. Wundersame, allmächtige Bayern!“

„Bayern allmächtig“: So hat das Autorenduo Mittelacher/Püschel auch den Fall in seinem Krimi-Sachbuch „Tote schweigen nicht“ genannt.

Tankstellen-Auszubildende war ein Zufallsopfer

In einem späteren Prozess vor dem Schwurgericht wiederholt der angeklagte Nachbar der 21-Jährigen sein Geständnis. Das Gutachten von Püschel trägt wesentlich dazu bei, den genauen Tatablauf zu klären, insbesondere die Reihenfolge der Verletzungen. Schließlich verurteilt das Gericht den Angeklagten wegen Totschlags zu neuneinhalb Jahre Freiheitsstrafe. Zudem ordnet die Kammer die Unterbringung des 52-Jährigen in einem psychiatrischen Krankenhaus an.

Er ist nach Überzeugung des Gerichts auch weiterhin eine Gefahr für die Gesellschaft. In der Urteilsbegründung heißt es: „Erwiesenermaßen hatte es nie Belästigungen oder Kontakte zwischen Opfer und Täter gegeben, es war in dem Mehrfamilienhaus auch nie Musik zu hören. Sie entsprang nur der Fantasie des Angeklagten. Er hat eine paranoid-halluzinatorische Psychose, ist vermindert schuldfähig.“

Die Tankstellen-Auszubildende sei ein Zufallsopfer gewesen. Der Richter: „Sie war zur falschen Zeit am falschen Ort. Das hätte jeden treffen können.“