Hamburg. Bei einem verhängnisvollen Verkehrsunfall in der Hamburger Innenstadt gab es Tote, Verletzte — und sehr viel Leid.

Es war ein Verkehrsunfall, der sehr viel Leid über mehrere Menschen gebracht hat. Ein Mann ist getötet worden, drei weitere Menschen wurden schwer verletzt. Eine Mutter verlor ihren einzigen Sohn, ein anderer Mann beinahe sein Leben und seine Existenz.

Weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort waren. „Vor allem ist der Mann, der den Unfall verschuldet hat, zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen“, sagt Rechtsmediziner Klaus Püschel im Abendblatt-Crime-Podcast „Dem Tod auf der Spur“ mit Gerichtsreporterin Bettina Mittel­acher.

Unfallfahrer wurde in Hamburg wegen Mordes verurteilt

„Der Mann hätte überhaupt nicht am Steuer eines Autos sitzen dürfen. Unter keinen Umständen. Der Unfallfahrer hat besonders viele Regeln und Gesetze missachtet.“ Zudem hat dieser Fall in Hamburg Justizgeschichte geschrieben. Denn es war das erste Verkehrsunglück überhaupt in der Hansestadt, für das der Unfallfahrer schließlich wegen Mordes verurteilt wurde. Der Mann sitzt mittlerweile eine lebenslange Freiheitsstrafe ab.

Es ist der 4. Mai 2017, als ein Mann ein Taxi aufbricht. In der Mittelkonsole liegt der Zündschlüssel. Der Täter, ein junger Mann aus Litauen, fährt los. Er hat keinen Führerschein, und er hat einiges getrunken. Trotz Dunkelheit ist er ohne Licht unterwegs. Und er fährt in Schlangenlinien.

Die Polizei nimmt die Verfolgung auf. Nun gibt der Fahrzeugdieb Gas. Er rast in Richtung Innenstadt, ist teilweise mit Tempo 145 unterwegs. Am Ballindamm lenkt der 24-Jährige das Auto auf die Gegenfahrbahn. Dort kollidiert er mit voller Wucht mit einem anderen Taxi.

Fahrer hatte Gleichgültigkeit gegenüber dem Leben anderer

Ein Fahrgast ist sofort tot. Zwei weitere Männer werden schwer beziehungsweise lebensgefährlich verletzt. Und der Unfallverursacher hat mehrere Frakturen. „Wir in der Rechtsmedizin haben alle vier untersucht“, erinnert sich Klaus Püschel. „Der 22-Jährige erlag seinen schweren Verletzungen an Kopf und Rumpf. Auch sein Freund, ein 25-Jähriger, erlitt schwere Kopfverletzungen. Mehrere Tage lang stand sein Leben auf Messers Schneide. Dann erst war klar, dass er überleben würde.“

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Auch der Taxifahrer wurde schwer verletzt, er erlitt unter anderem Quetschungen des Brustkorbs sowie mehrere Frakturen. „Wegen Mordes wird der Unfallverursacher schließlich angeklagt, weil er laut Staatsanwaltschaft rücksichtslos gefahren ist und vorsätzlich Leib und Leben anderer gefährdet hat“, erläutert Mittelacher. „Er habe es mit seiner Fahrweise gleichsam dem Zufall überlassen, ob es einen Unfall gibt oder nicht. Damit habe er eine Gleichgültigkeit gegenüber dem Leben anderer Verkehrsteilnehmer gezeigt.“

Der Prozess gegen den jungen Fahrer beginnt im Dezember 2017. Der Verteidiger sagt über seinen Mandanten, dieser sei „unglaublich erschrocken“ gewesen, als er erfuhr, dass durch sein Verhalten ein Mensch zu Tode kam und zwei weitere schwer verletzt wurden. „Das lastet schwer auf seinem Gewissen. Er bedauert außerordentlich, was er getan hat.“

Der Anwalt, der die Mutter des getöteten 22-Jährigen vertritt, sagt vor Verhandlungsbeginn, die Frau sei „nach wie vor tief erschüttert. Ihr Leben hat sich durch den Verlust des Sohnes total verändert.“ Ihr Lebensmittelpunkt sei ihr genommen worden. Sie sei am Boden zerstört.“

Eines der Opfer lag vier Monate lang in Krankenhäusern

Taxifahrer Mehmet Y. erzählt im Prozess als Zeuge, er sehe eine Art Standbild, wie ein Wagen auf seinen zurast. Dann ist da erst mal eine Art Blackout. Seine Erinnerung setzt erst eine Weile später wieder ein: Er kam wieder kurz zu sich und spürte, dass er im Fahrzeug eingeklemmt war. „Ich war hilflos.“

Fast vier Wochen war der 57-Jährige wegen seiner schweren Verletzungen in der Klinik, dann lange in der Reha. Und der 25-Jährige, der mit als Fahrgast im Taxi gesessen hat, schildert, es sei eine Weile lang nicht klar gewesen, „ob ich überhaupt überlebe“, sagt der Hamburger. Er hat fast vier Monate in Krankenhäusern verbringen müssen.

Das Schwurgericht verurteilt den Angeklagten schließlich wegen Mordes und zweifachen versuchten Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. In seiner Urteilsbegründung erklärt der Vorsitzende Richter: „Es war das vorsätzliche Werk eines total rücksichtslosen Rasers. Er hat während der Fahrt den Tod vieler Menschen billigend in Kauf genommen. Wer so wenig Respekt vor dem Leben anderer Menschen hat, der hat sein Recht auf Freiheit verwirkt. Die Verurteilung wegen Mordes mag sich nach großer Härte anhören“, sagt der Vorsitzende Richter weiter. „Aber der Angeklagte hat während seiner Fahrt zahlreiche Menschenleben gefährdet. Er zeigte keinen Respekt vor dem Leben der anderen.“ Er habe „die Gefahr auf Teufel komm raus immer höher geschraubt“, sagt der Richter. „Es ist zu vergleichen mit der Tat eines Menschen, der sich auf der Flucht befindet und dabei um sich schießt.“

Die Verteidigung ist gegen das Urteil in Revision gegangen. Am 1. März 2019 hat der Bundesgerichtshof allerdings bestätigt: Ricardas D. hat mit seiner rücksichtslosen Fahrt einen Mord begangen – und ist für diesen zu verurteilen.