New York/Boulder (dpa) - Das Eis um den Nordpol herum ist auf ein Rekord-Minimum geschrumpft. Und die neuen Ergebnisse lassen die Hoffnung bei deutschen Forschern sinken, dass das «ewige Eis» überhaupt noch zu retten ist.

Mit einer Fläche von 4,10 Millionen Quadratkilometern habe es den niedrigsten Stand seit Beginn der Satellitenmessungen 1979 erreicht, teilte das Schnee- und Eisdatenzentrum der USA (NSIDC) am Montag in Boulder im Bundesstaat Colorado mit. Diese Daten seien am Sonntag erhoben worden. Da die wärmere Jahreszeit in der Region noch bis zu drei Wochen anhalte, könne das Eis weiter schmelzen.

«Im Kontext dessen, was in den vergangenen Jahren und seit Beginn der Satellitenmessungen passiert ist, zeigen diese Daten, dass die Eisfläche sich fundamental verändert», sagte NSIDC-Wissenschaftler Walt Meier laut Mitteilung. «Die Arktis war früher von vielschichtigem Eis, oder Eis, das mehrere Jahre lang bestehenblieb, dominiert. Jetzt wird es mehr zu einer saisonalen Eisfläche, und große Teile werden im Sommer verschwinden.»

Die Ursache dafür liege nicht in einem bestimmten Wettermuster, sondern sei eine langfristige Entwicklung, meinte der Meereis-Physiker vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven, Rüdiger Gerdes. «Das Eis ist dünner geworden und dadurch wird es anfälliger.» Schuld daran sei ein starker Temperaturanstieg im Bereich des Nordatlantiks und des Nordpolarmeers. Dort lassen jedoch nicht allein die Treibhausgase die Temperaturen steigen. Auch eine natürliche periodische Entwicklung trägt ihren Teil dazu bei: «Jetzt sind wir in einer warmen Phase.» Diese Perioden umfassten 60 bis 70 Jahre.

Besondere Wetter-Ereignisse, die die starke Eisschmelze erklären könnten, habe es in diesem Jahr jedoch nicht gegeben, sagte der NSIDC-Direktor Mark Serreze. «Das Eis ist so dünn und schwach, dass es gar nicht mehr darauf ankommt, wie stark der Wind bläst.»

Es ist wie ein Teufelskreis: Dort wo - durch warme Lufttemperaturen - kein Eis ist, wärmt sich der Ozean auf. «Der absorbiert praktisch die Sonneneinstrahlung, erwärmt sich und wenn das Eis mit diesem aufgeheiztem Ozean in Kontakt kommt, dann schmilzt es natürlich sehr stark», sagte Gerdes.

Ob das Eis auch in Zukunft weiter so rasant schmelzen werde, könne man nur anhand von Modellrechnungen schätzen. Doch auch wenn es im Zuge der natürlichen Oszillation eigentlich wieder kälter werde müsste, werde wohl langfristig der Treibhausgaseffekt gewinnen und den Temperaturanstieg bestimmen, meinte Gerdes. «Dann ist mit dem Verschwinden des Eises im Nordpolarmeer zu rechnen. Auch wenn wir den Treibhausgasausstoß sofort stoppen würden, würde sich das Klima weiter erwärmen. Damit müssen wir leben.»

Der Kieler Klimaforscher Mojib Latif äußerte am Dienstag im MDR 1 Radio Sachsen noch ein Fünkchen Hoffnung: «Ich gehe davon aus, dass der Prozess noch zu stoppen wäre. Zwar nicht sofort. Aber wenn man wirklich Ernst machen würde mit dem Klimaschutz, dann könnte man wahrscheinlich verhindern, dass die Arktis irgendwann im Sommer komplett eisfrei wäre.» Derzeit würden aber die USA und China ein solches Abkommen blockieren.

Den bisherigen Rekord hatten die Forscher im September 2007 gemessen. Damals lag die Größe der Eisfläche bei 4,17 Millionen Quadratkilometern. Teile des Arktiseises schmelzen jedes Jahr in den wärmeren Monaten und frieren in den kälteren Monaten wieder zu. Die Größe der Gesamtfläche verändert sich von Jahr zu Jahr allein schon wegen unterschiedlicher Wetterbedingungen. Seit Beginn der Messungen 1979 sei die Gesamtfläche aber insgesamt «dramatisch zurückgegangen», teilte das NSIDC mit. Das sei vor allem dem globalen Klimawandel zuzuschreiben.

Mitteilung des NSIDC

Rüdiger Gerdes