Dresden (dpa) - Wer in den Keller des Dresdner Max-Planck- Institutes für Zellbiologie und Genetik abtaucht, landet in einer Unterwasserwelt. In 2500 Aquarien schwimmen Tausende Zebrafische. Keiner ist so wie der andere - nur lässt sich das auch beim zweiten Blick kaum feststellen.

Denn die Fische unterscheiden sich nur um jeweils ein Gen. Eine «Bibliothek von Mutanten» im Dienste der Forschung. Zebrafisch und Mensch stimmen in ihrer Genetik zu 75 Prozent überein. Der kleine Fisch ist so bestens geeignet, auch genetischen Grundlagen menschlicher Krankheiten auf die Spur zu kommen.

Deshalb genießen die Zebrafische beste Pflege und kommen so auf eine Lebensdauer von drei Jahren. Die Nachtruhe ist exakt festgelegt. Um 22 Uhr geht das Licht aus, morgens um 8 Uhr wird es in der submarinen Welt wieder hell. Gegen 8.30 Uhr legen die befruchteten Weibchen ihre Eier. «Die erste Zellteilung geschieht nach sieben Minuten. Da sollte man schon dabei sein», sagt Information Officer Florian Frisch. Englisch ist die Arbeitssprache im Institut mit dem Kürzel MPI-CBG. Rund 400 Experten aus 45 Ländern ergründen hier, was die Zelle im Innersten zusammenhält. Aber nicht nur das.

Um komplexe biologische Systeme zu erforschen, entsteht in Dresden nun ein interdisziplinäres Zentrum für Systembiologie - das weltweit erste seiner Art. Bis 2016 sollen 26 Millionen Euro investiert sein. «Das ist eine Menge Geld, aber gut investiertes Geld», sagt Instituts-Chef Wieland Huttner. Gründungsdirektor ist der Amerikaner Gene Myers, dem eine Schlüsselrolle bei der Entzifferung des menschlichen Erbgutes zukam. Huttner hält die Verpflichtung Myers für eine «Bombe» und nennt ihn Superstar. Myers wiegelt ab. Der Superstar sei das Institut mit seinem Umfeld.

Myers pflegt den systemischen Ansatz. «In einer biologischen Zelle befinden sich mehrere Zehntausend Moleküle, deren Zusammenspiel wir als System verstehen wollen», sagt er. Das sei nicht nur eine wissenschaftliche Herausforderung, sondern auch eine technologische. Deshalb forschen Biologen, Physiker, Chemiker und Vertreter anderer Sparten unter einem Dach. Man schaut auf die Zelle, ist aber eigentlich mittendrin. Es geht um Zellteilung und Eigenschaften der Zellorganellen - praktisch der Maschinenpark einer Proteine, Kohlenhydrate und andere Substanzen produzierenden Zelle.

Auch die regenerative Medizin spielt eine Rolle. Als wahrer Regenerationskünstler gilt hier der in Mexiko heimische Salamander Axolotl. Bei ihm wachsen abgetrennte Gliedmaßen vollständig wieder nach. Der Traum der Forscher besteht darin, diese Fähigkeit für den Menschen nutzbar zu machen. Die Wissenschaftler gehen dabei von der Überlegung aus, dass die Regeneration beim Menschen womöglich nur unterdrückt ist und sich deshalb unter bestimmten Umständen gezielt wieder ankurbeln lässt. Vielleicht hat der Mensch im Laufe seiner Entwicklung diese Fähigkeit zum Regenerieren verloren, aber warum?

Auch mit der regenerativen Medizin verbinden sich Hoffnungen. An der Klinik für Plastische-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie der Medizinischen Hochschule Hannover testet man unter anderem den Einsatz von Spinnenseide bei der Regeneration zerstörter Nerven. Die Fäden fungieren dabei als Leitschiene. Da sich Zellen rasch auf Spinnenseide ansiedeln, kann sie nach Meinung der Hannoveraner Forscherin Christina Allmeling zudem als Trägermaterial bei der Konstruktion künstlicher Blutgefäße oder bei der Züchtung künstlicher Haut dienen. Selbst künstliche Ohren oder Nasen seien denkbar.

Während früher Axolotl am MPI-CBG eine Art Maskottchen waren, ist es heute der Plattwurm oder auch das Frettchen. Ersterer kann in bis zu 180 Teile zertrennt werden - aus jedem einzelnen Rumpfstück wächst wieder ein kompletter Wurm, berichtet Forscherin Elisabeth Knust. Erstaunlicherweise gelingt ihm das auch ohne Zentrosom - einem speziellen Organ zur Zellteilung. Das Frettchen wiederum ist das kleinste Säugetier mit einem ähnlich gefalteten Gehirn, wie es der Mensch besitzt, und deshalb für einen Experten wie den Neurobiologen Huttner geradezu ein gefundenes Fressen.

Dass bei aller Forschung manchmal auch der Zufall eine Rolle spielt, kann Huttner bestätigen. Eines Tages fuhr er vom Dresdner Flughafen mit dem Taxi nach Hause und kam mit dem Fahrer ins Gespräch. Der Mann hinter Steuer erwies sich als ausgewiesener Aquarianer. «Er kannte mehr Zebrafischarten als ich», räumt der Chef ein. Der Professor stellte den Taxifahrer umgehend in seinem Institut zur Betreuung der Fische an. Hier gibt es noch echte Handfütterung. «Der Mensch kann zum Mond fliegen, hat aber noch keine intelligenten Maschinen zum Fische-Füttern erfunden», meint Florian Frisch.

Max-Planck-Institut für Molekulare Zellbiologie und Genetik