Die Zahl der protestierenden Milchbauern wächst, doch in den Kühlregalen zeigte der Lieferboykott am Mittwoch noch keine Auswirkungen. Doch nach Angaben des Milchbauernverbandes werden sich bald erste Lücken auftun.

Berlin/Hamburg. "Wir gehen davon aus, auch in den kommenden Tagen die Versorgung flächendeckend sicherstellen zu können", sagte Edeka-Sprecher Alexander Lüders am Mittwoch in Hamburg. Die Molkereien könnten ihre Lieferverträge derzeit alle noch einhalten. Dabei beteiligten sich in einigen Regionen nach Angaben der Milchindustrie bis zu 60 Prozent der Milchproduzenten an dem Boykott. Während ausländische Kollegen, Politiker und Verbände den Milchbauern ihre Solidarität erklärten, kam vom der privaten Milchwirtschaft und dem OECD-Agrardirektor deutliche Kritik.

In den Kühlregalen des Einzelhandels werden sich nach Angaben des Milchbauernverbandes bald erste Lücken als Folge des Lieferboykotts auftun. "Wir gehen davon aus, dass in den nächsten Tagen die Auswirkungen sichtbar werden in den Regalen", sagte der Chef des Bundesverbandes Deutscher Milchviehhalter, Romuald Schaber, am Mittwoch in Berlin. Das Fehlen von bis zu 65 Prozent der täglichen Milchproduktion könne nicht ohne Folgen bleiben.

Schaber zog eine positive Zwischenbilanz des seit Dienstag laufenden Boykotts von Molkereien. Von den rund 33 000 Verbandsmitgliedern lieferten mehr als 90 Prozent keine Milch aus, auch viele nicht im BDM organisierten Bauern hätten sich der Aktion angeschlossen. Schaber bekräftigte die Forderung nach einem Milchpreis von mindestens 43 Cent pro Liter. "Wir stehen mit dem Rücken zur Wand." Schaber verwies auf den seit Januar um 30 Prozent gefallenen Milchpreis und die gleichzeitig um rund ein Viertel angestiegenen Produktionskosten. Derzeit wird den Bauern nach Verbandsangaben zwischen 25 und 35 Cent bezahlt.

Der Verbandschef kündigte auch eine Klage beim Europäischen Gerichtshof gegen die von der EU-Kommission beschlossene Erhöhung der Milchquote um zwei Prozent an. Der Markt könne diese zusätzlichen Mengen nicht aufnehmen. Hier sei auch die Unterstützung der deutschen Politik gefordert.

Der BDM habe seine Mitglieder auf eine Boykottdauer von einer Woche bis zu zehn Tagen eingestimmt, sagte Schaber. Es sei nun Sache der Molkereien beziehungsweise ihrer Verbände, mit dem Einzelhandel eine Korrektur der Milchpreise zu verhandeln. Die Milchbauern hätten den Molkereien jedenfalls frühzeitig klar gemacht, dass sie sich gegen eine derartige Senkung des Milchpreises wehren würden.

Versorgungsengpässe sind laut Brandl dagegen nicht zu befürchten: "Wir haben derzeit genügend Milch auf dem Markt, wir müssen nur den regionalen Ausgleich schaffen." Auch die großen Handelsketten REWE und Edeka berichteten von keinerlei Problemen. "Es gibt keine Notwendigkeit, Hamsterkäufe zu machen", unterstrich der Einkaufschef der REWE, Vorstand Manfred Esser. Die Verbraucher fänden derzeit mit Sicherheit volle Regale vor. Dies gelte trotz verstärkter Nachfrage an einzelnen Orten auch für Deutschlands größten Lebensmitteleinzelhändler, sagte Edeka-Sprecher Lüders.

Kritik ernteten die Bauern von OECD-Agrardirektor Stefan Tangermann. "Es ist zu keinem Zeitpunkt akzeptabel, Nahrungsmittel zu vernichten", sagte Tangermann der Deutschen Presse-Agentur dpa in Paris. "In die heutige Zeit aber passt es besonders wenig - in einer Situation der Knappheit." Er griff auch Bundesagrarminister Horst Seehofer (CSU) an. "Es ist mitnichten so, dass sämtliche Milchproduzenten zu den heutigen Preisen nicht überleben können und deshalb übermorgen bei uns die Produktion wegbricht", sagte Tangermann. "Wenn man dann als verantwortlicher Agrar-Politiker noch so tut, als sei die Katastrophe nahe und man könne ihr entgehen, wenn man Milch vernichtet, dann halte ich das für nicht hilfreich."

Der Direktor für Agrar und Handel bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) glaubt nicht an einen Erfolg des Boykotts. Auch der Verband der privaten Milchwirtschaft erwartet nicht, dass die Milchbauern durch den Lieferstopp höhere Erzeugerpreise erzwingen können. "Die Verträge zwischen den Molkereien und dem Handel sind für die nächsten sechs Monate abgeschlossen und lassen sich nicht mehr aufbrechen", sagte Geschäftsführerin Susanne Nüssel. "Die Molkereien haben Verständnis für die Bauern, ein Boykott ist aber das falsche Mittel." Der geforderte Milchpreis von 43 Cent pro Liter sei nicht marktgerecht.

Solidaritätsbekundungen erhielten die Bauern nach Angaben des BDM hingegen von Kollegen aus anderen EU-Ländern. So hätten die Milchbauernverbände mehrerer Nachbarstaaten ihre Unterstützung zugesagt. Nach Angaben des Milchindustrieverbands kann jedoch von einer flächendeckenden Aktivität keine Rede sein. Allerdings rief der dänische Verband der Milchproduzenten zu einer Solidaritätsaktion auf. Es liege im gemeinsamen Interesse, die Preise wieder in die Höhe zu bringen, sagte Verbandschef Peder Mouritzen in der Zeitung "Jyllands-Posten". Als Möglichkeit nannte er einen dänischen Exportstopp für Deutschland.

Unterdessen streiten Politiker um eine mögliche Lösung der Milchkrise. Seehofer lehnte die von der FDP geforderten Finanzhilfen für Bauern ab. Die Liberalen hatten vorgeschlagen, die Öko-Steuer und die Steuer auf Agrardiesel für Traktoren zu senken. Seehofer betonte, statt Steuersenkungen müssten Rahmenbedingungen geschaffen werden, die gezielt das Überleben der Milchbauern sicherten. Zugleich kritisierte er die von der EU-Kommission geplante Anhebung der Milchquote, da dies weiteren Druck auf die Preise ausüben würde.

Seit Dienstag machen Bauern ihrer Wut über zu niedrige Milchpreise mit einem Lieferboykott Luft. Sie bekommen derzeit je nach Region zwischen 27 und 35 Cent je Liter Milch, fordern aber mindestens 40 Cent.