Zum Auftakt des ersten Strafprozesses um den milliardenschweren Korruptions-Skandal bei Siemens hat der Angeklagte dubiose Zahlungen und die Existenz schwarzer Kassen bestätigt. Die Vorwürfe aus der Anklageschrift seien “grundsätzlich“ zutreffend, sagte der 57 Jahre alte Reinhard S. zu Beginn der Verhandlung vor dem Landgericht München I.

München. Der frühere Manager der Siemens-Festnetzsparte ICN muss sich wegen Untreue in 58 Fällen verantworten. Er soll im früheren Siemens-Kommunikationsbereich ein System schwarzer Kassen aufgebaut haben, um dem Konzern so Vorteile bei der Auftragsvergabe im Ausland zu verschaffen. Der Prozess gegen den Ex-Manager begann unter großem Medienandrang. Im Falle einer Verurteilung droht ihm eine mehrjährige Haftstrafe.

Das System fragwürdiger Provisionszahlungen bei Siemens sei ihm in den Jahren 1999 und 2000 bekannt geworden, sagte der Angeklagte. Damals seien im Zuge internationaler Ermittlungen Milliarden-Summen auf Konten des damaligen nigerianischen Präsidenten aufgetaucht. "Ein Teil von diesem Geld war sicher auch von Siemens", sagte der 57-Jährige. Die Untersuchungen hätten die Behörden zu einem Geheimkonto in Österreich geführt, das jahrelang zur Abwicklung von Zahlungen genutzt worden sei. Er selbst sei damit beauftragt worden, dieses Konto in Österreich zu schließen, sagte der Angeklagte. Zugleich sollte er ein neues System zur Abwicklung von Zahlungen ersinnen, da Auslandsbestechung mittlerweile verboten war. Seine Vorgesetzten seien über seine Aktivitäten im Bilde gewesen. "Der komplette Bereichsvorstand war natürlich darüber informiert, dass diese Tätigkeit von mir wahrgenommen wurde", sagte der Angeklagte.

Laut Staatsanwaltschaft floss das Geld über Scheinverträge mit verschiedenen Firmen in die schwarzen Kassen und wurde an Entscheider weitergereicht. Insgesamt soll der 57-Jährige auf diese Weise gut 53 Millionen Euro vom Konzernvermögen veruntreut haben. Nach Erkenntnissen der Ermittler hatte er dabei weitgehend freie Hand. Niemand habe kontrolliert, wie viel Geld er über die Scheinverträge generierte, welche Beträge er entnahm und an wen er die Gelder weitergab, hieß es in der Anklageschrift. Dem widersprach Reinhard S. allerdings. Der Vorwurf, er habe das Geld "nach Gutsherrenart" verteilt, sei unzutreffend. Vielmehr habe er sich mit einem anderen Siemens-Manager darüber abgesprochen, wer wie viel Geld bekommen sollte.

In der Anklageschrift war von einem "ausgefeilten System" die Rede, über das Geldflüsse verschleiert und anonymisiert worden seien. So habe es bei vereinbarten Provisionszahlungen ein "Grundsatzpapier Provision für Kundenaufträge" gegeben, das jeweils vom technischen und kaufmännischen Regionalleiter unterzeichnet worden sei. Dabei hätten diese häufig nicht auf dem eigentlichen Papier selbst, sondern auf Klebezetteln unterschrieben, die auf das Papier geheftet wurden. "Dieses System diente von Anfang an der Verschleierung", hieß es. Im Falle behördlicher Untersuchungen sollten die Zettel kurzfristig entfernt werden können, damit nicht zu ermitteln sei, wer die Zahlungen tatsächlich veranlasste.

Im größten Korruptions-Skandal der deutschen Wirtschaftsgeschichte geht es um dubiose Zahlungen von insgesamt 1,3 Milliarden Euro, die überwiegend im Ausland als Schmiergeld eingesetzt worden sein sollen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt mittlerweile gegen rund 300 Beschuldigte. Wie viele von ihnen tatsächlich vor Gericht kommen werden, steht allerdings noch nicht fest. Derzeit sind zwei weitere Anklagen in Vorbereitung. Zu dem Prozess, für den zunächst 15 Verhandlungstage angesetzt sind, ist eine Reihe prominenter Zeugen geladen, darunter auch der ehemalige Siemens-Chef Heinrich von Pierer und der amtierende Siemens-Finanzvorstand Joe Kaeser.