Bürgermeister will Begrüßungsempfang vorbereiten - Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Lüneburg

Uelzen. Hinter der Tür der Uelzener St. Petri Kirche neben dem Schild "Gebete und Kerzen für Marco" brennen auch am Samstag mehr als vierzig dicke Wachslichter. Dort liegt auch noch das große blaue Buch, in das Gemeindemitglieder und Freunde des 17-jährigen Schülers seit dem Sommer "Gedanken, Gefühle und Wünsche für Marco und seine Familie" niederschreiben konnten. Es beginnt mit dem Eintrag "Ich vermisse Dich - Dein Bruder". Hunderten Solidaritätsbekundungen folgt schließlich: "Marco, Du bist frei - Freude Freude Freude!"

Die Freilassung des Schülers nach achtmonatiger Untersuchungshaft in der Türkei ist auch am Samstag an den Glühwein- und Bratwurstständen auf dem Weihnachtsmarkt Hauptgesprächsthema. "Das ist ja nun mal schön, gerade jetzt zu Weihnachten", meint Regina Bahlo, selbst Mutter einer 15-jährigen Tochter und eines 18-jährigen Sohnes.

Das Verhalten der 13-jährigen Charlotte, die Marco im Osterurlaub in der Türkei missbraucht haben soll, und auch das Verhalten ihrer Mutter sieht die Uelzener Berufsschullehrerin ziemlich kritisch. "13, das ist ein hartes Alter. Die Mädchen wollen sich ausprobieren und benötigen eine klare Linie und nicht jemanden, der ihnen den Alkohol erlaubt", meint sie mit Blick auf Charlottes Disco-Besuche in der Türkei.

Dass Marco Anfang April zur Fortsetzung des Prozesses wieder in die Türkei fahren wird, glaubt die Lehrerin nicht: "Wenn er schlau ist, bleibt er hier", sagt sie. "Das wäre doch verrückt, wenn er noch mal zurück in die Türkei fahren würde", meint auch die Hausfrau Christiane Klepsch. "Die Charlotte hat das auch nicht nötig, in die Türkei zu reisen", sagte die Mutter zweier jugendlicher Töchter. Auch der 26-jährige Laborant Manfred Domke ist fest überzeugt: "Marco wird da bestimmt nicht noch mal hinfahren."

In der 38.000-Einwohner-Stadt Uelzen kennt fast jeder jeden. Viele Besucher des Weihnachtsmarktes haben in ihrem Bekanntenkreis jemanden, der Marco persönlich kennt. Auch deswegen hat der 17-Jährige in seiner Heimatstadt so viel Unterstützung bekommen.

Bürgermeister Otto Lukat will denn auch Marco bei seiner Rückkehr in seine Heimatstadt würdig begrüßen. "Es wird einen Empfang und ein Treffen mit der Stadtspitze geben, wenn Marcos Familie das möchte", sagt der SPD-Kommunalpolitiker. Auch Lukat steht einer Reise von Marco nach Antalya zu der am 1. April geplanten Fortsetzung des Prozesses skeptisch gegenüber. Der Schüler habe bei einem Freispruch zwar Anspruch auf eine Haftentschädigung, sagt der Bürgermeister. "Aber er muss sich sehr gut beraten lassen, mit welcher Situation er dort in der Türkei zu rechnen hat."

Eine Auslieferung in die Türkei muss Marco in keinem Fall befürchten. Artikel 16 des Grundgesetzes erlaubt eine Überstellung deutscher Staatsbürger nur an andere Staaten der Europäischen Union oder an einen internationalen Gerichtshof. Der Strafverfolgung kann sich Marco dennoch nicht gänzlich entziehen, wenn er dem weiteren Prozess in der Türkei einfach fernbleibt. Wegen der Missbrauchsvorwürfe gegen den Schüler ermittelt nämlich auch die Staatsanwaltschaft im niedersächsischen Lüneburg.

Die Ermittlungen stünden noch ziemlich am Anfang, sagt der Lüneburger Oberstaatsanwalt Manfred Warnecke. Vergangene Woche seien aber Kopien der Unterlagen aus dem Verfahren in der Türkei in Lüneburg eingetroffen. Sie würden nun aus dem Türkischen ins Deutsche übersetzt und ausgewertet. "Danach wird sich entscheiden, ob es einen dringenden Tatverdacht gegen Marco gibt und man den Schüler vorladen muss", sagt der Sprecher der Staatsanwaltschaft.

Nach Angaben von Warnecke könnten sich die Lüneburger Staatsanwälte auch erneut um eine Abgabe des Verfahrens aus der Türkei nach Deutschland bemühen. "Wir haben ja zunächst damit gerechnet, dass die Türkei das Verfahren nach Deutschland abgibt, und ohne die Interventionen aus der Politik wäre es vielleicht auch dazu gekommen", sagt Warnecke. Auch der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff hofft mittlerweile wieder, "dass die nächsten drei Monate genutzt werden, um darüber zu entscheiden, dass der Prozess nach Deutschland abgegeben wird."