Die Untersuchung der Leiche der fünfjährigen Lea-Sophie aus Schwerin hat den Hungertod des Mädchens bestätigt. Das Kind sei monatelang von den Eltern vernachlässigt worden und deshalb verhungert und verdurstet. Kritik an der Schweriner Stadtverwaltung.

Schwerin. Gerade mal 7,4 Kilogramm brachte Lea-Sophie zuletzt noch auf die Waage. Das wiegt normalerweise ein nicht mal einjähriges Kleinkind, wenn es die übliche Fürsorge erfährt und zu essen bekommt, wenn es hungrig ist. Dem fünfjährigen Mädchen aus Schwerin wurde derlei Normalität schon lange nicht mehr zuteil. Ausgehungert und ausgedörrt war das Kind am Dienstagabend in die Schweriner Klinik eingeliefert worden und kurz danach gestorben.

Gerichtsmediziner kommen am Donnerstag nach der Untersuchung des kleinen, ausgemergelten Körpers zu dem Schluss, dass das Kind nach einem monatelangen Martyrium verhungert und verdurstet ist. Das Mädchen habe gerade noch ein Drittel des Normalgewichts aufgewiesen, entzündete Druckstellen am Gesäß seien ebenfalls Indizien für die schwere Vernachlässigung des Kindes, sagt Oberstaatsanwalt Hans- Christian Pick, dessen Behörde wegen gemeinschaftlichen Totschlags gegen den 26-jährigen Vater und die 23-jährige Mutter ermittelt.

Doch nicht nur die fehlende Fürsorge der Eltern sorgt für Entsetzen und Wut. Immer mehr rückt auch die Frage in den Vordergrund, ob schlampige Arbeit oder zumindest Fehlentscheidungen des Jugendamtes den tragischen Tod des Kindes mit befördert haben könnten - so wie vor einem Jahr in Bremen beim Fall des kleinen Kevin. Der zweijährige Junge war dort trotz eingehender Warnungen in der Obhut seines drogenabhängigen Ziehvaters gelassen worden. Der 42- Jährige muss sich derzeit wegen Totschlags und Misshandlung Schutzbefohlener vor Gericht verantworten muss.

Auch wenn die Schweriner Stadtverwaltung ihren Mitarbeitern bescheinigt, den Vorgaben entsprechend gehandelt zu haben, tauchen immer mehr Zweifel auf. Anonym war das Jugendamt Anfang November über die Vernachlässigung des Mädchens informiert worden. Nach Informationen sind die Kontrolleure offenbar aber gar nicht in die Dachgeschosswohnung des sanierten Plattenbaus gelangt, in der Lea- Sophie ihr Dasein fristete - wie es scheint, seit Jahren ohne Kontakt zur Außenwelt. "Ich habe den Leuten vom Amt die Haustür geöffnet. Da waren die Frau und der Mann aber gerade aus dem Haus", berichtet ein Rentner, der zwei Etagen unter der Wohnung des Mädchens lebt, das Kind nach eigenen Angaben in eineinhalb Jahren aber nur ein Mal zu Gesicht bekam. "Es tut mir so leid um die Kleine."

Doch während der hoch gewachsene Mann noch annimmt, die Mitarbeiter des Jugendamtes seien ein zweites Mal gekommen, um sich über den Zustand der Fünfjährigen zu informieren, stellt sich heraus, dass sich die Kontrolle dann offenbar auf einen Besuch des Paares im Jugendamt beschränkte. Einem Bericht des Rundfunksenders NDR 1 Radio MV zufolge waren die beiden zwar mit ihrem Neugeborenen, nicht aber mit Lea-Sophie im Amt erschienen. Schon vor einem Jahr soll die Familie auffällig gewesen sein, berichtet der Sender.

Die Stadt hüllt sich dazu in Schweigen. "Es haben alle Verantwortlichen die Katastrophe kommen sehen und nichts getan, um sie abzuwenden", klagt die langjährige Vize-Vorsitzende des Landeselternrats, Verena Riemer, unter Hinweis auf die fortgesetzten Sparmaßnahmen auch im sozialen Bereich. Fachleute hätten im Stadtparlament eindringlich vor den Folgen gewarnt - ohne Erfolg.

"Ein Kind verhungert nicht von heute auf morgen. Da haben viele versagt", meint Timo Tasche. Der am Donnerstagmorgen extra aus dem westfälischen Marl angereiste Mann breitet Kerzen, Stoffblumen und eine Tafel mit der Frage "Warum?" am Hauseingang aus. "Es muss eine Trauerstätte für dieses Kind geben und es soll ein Appell sein, genauer hinzuschauen", erläutert er seine Motive. Zuvor hatte nur eine einzige Kerze am Eingang des Wohnblocks auf den Ort von Lea- Sophies Martyrium hingewiesen. "Das Schicksal des Mädchens darf uns nicht kalt lassen", mahnt der 27-Jährige, der zuvor schon bei ähnlichen Fällen in anderen deutschen Städten Mahnwachen abhielt.

Während Tasche die Kerzen entzündet, tragen Mitarbeiter des Schweriner Tierheims Katzenkäfige und ein kleines Aquarium mit Molchen aus dem Haus. Die Tiere haben sie aus der Dachgeschoss- Wohnung geholt. Die beiden Hunde des dort lebenden Paares, darunter ein 13-jähriges Tier, das nach Beobachtung der Hausbewohner häufig die Treppen nach oben getragen wurde, sind in der Obhut des Tierheims. "Mangelerscheinungen?" Nein, schüttelt der Tierpfleger den Kopf, die habe er bei den Tieren nicht festgestellt.