Eine heroische Eroberung sieht anders als. Eine Heimkehr auch. Maria Stuart, deren Mann, König von Frankreich, früh verstorben ist und die sich weigert, erneut verheiratet zu werden, kehrt 1561 zurück auf die britische Insel. Und muss sich, noch am Strand, erst mal übergeben. Zu stürmisch war die See, zu rau der Wellengang. So beginnt „Maria Stuart, Königin von Schottland“. Ein emblematischer Anblick, der von Anfang an den Ton vorgibt: die eigentlich leidlich bekannte Geschichte der höchst umstrittenen Hoheit aus anderen Blickwinkeln zu erzählen.

Als Grundlage diente John Guys bisher leider nicht ins Deutsche übersetzte Biografie „The True Life of Mary Stuart“, in dem der Historiker Schluss macht mit den üblichen Legenden von der machthungrigen, sexsüchtigen Frau, die ihren zweiten Mann umbringen ließ und dann dessen Mörder heiratete.

Guy wertet die Historie ganz anders: dass sowohl Maria als auch Elizabeth Frauen an der Macht waren, die von lauter Chauvinisten umgeben waren, die sie stets steuern oder stürzen wollten. Zwei Frauen, die völlig isoliert waren, die niemandem trauen konnten. Und sich in dieser misslichen Situation eigentlich ganz gut hätten verstehen müssen, als Schwestern im Geiste. Hätte Maria nicht auch ihren Anspruch auf die Krone der Cousine gestellt.

Diesen feministischen Ansatz hat die britische Theaterregisseurin Josie Rourke in ihrem ersten Kinofilm übernommen. Nichts da von der machtgetriebenen Maria, die die Männer nach Belieben bezirzt und instrumentalisiert. In ihrer Heimat wettert der Reformator John Knox gegen eine Frau auf dem Thron, sperrt ihr Bruder sie in einen Goldenen Käfig. Ihr neuer Gatte ist keine Chance, um auszubrechen. Er wird ihr vorgeschrieben. Und erweist sich als völliger Fehlgriff. Aber auch seine Ermordung ist in Guys Lesart nicht Marias Werk, sondern das von Verschwörern, die an die Macht drängen. Und Maria sogar zwingen, den Mörder ihres Mannes zu ehelichen.

Es ist dies eine radikal andere, sehr moderne Deutung der tragischen Geschichte. Und eine hochaktuelle. Durch die #MeToo- und Time’s-Up-Bewegungen ist der Feminismus wieder erstarkt, wird die Rolle der Frau neu hinterfragt, auch im Kino. Und auch wenn es schon etliche Maria-Stu­art-Filme gibt, sucht diese von der ersten Sequenz an andere Bilder. Historiendramen erschöpfen sich sonst gern in der Opulenz ihrer Ausstattung, Josie Rourkes Inszenierung aber verschattet den Hof eher in lichtarmen Bildern – und kontrastiert sie mit weiten, wohlausgeleuchteten Landschaften.

In Saoirse Ronan, mit der sie schon am Theater gearbeitet hat, hat Rourke eine ideale Darstellerin gefunden. Nach all den anderen Maria Stuarts im Kino, von Katharine Hepburn bis Vanessa Redgrave, ist Ronan die Erste, die in etwa dem Alter der Maria Stuart entspricht. Sie gibt eine noch sehr junge, unerfahrene Tudor, die gegen die allgegenwärtige männliche Unterdrückung notdürftig fatale Allianzen eingeht. Mit Margot Robbie steht ihr als Elizabeth eine ebenbürtige Kontrahentin gegenüber, die doch mit ihrem Dilemma ganz anders umgeht, die ihre Weiblichkeit zur Künstlichkeit, zur Fassade verpuppt, um sich gegen die Herren Intriganten zu panzern.

Kein Maria-Stuart-Stoff, weder auf der Bühne noch im Film, ohne die Konfrontation mit der großen Konkurrentin – die es nie gegeben hat. Auch in Josie Rourkes Film bildet dieses Aufeinandertreffen den Höhepunkt. In einem entlegenen Waldhaus, als habe das Treffen nie stattgefunden, begegnen sich da zwei Gleichgesinnte, die sich nur vom Hörensagen kennen, zwischen aufgehängten Tüchern, und umkreisen und belauern sich. Da wäre sie gewesen, die Gelegenheit, sich zu verstehen und zu verbünden. Ein verschenkter Moment der Weltgeschichte.

„Maria Stuart, Königin von Schottland“ GB 2018, 124 Min., ab 12 Jahre, R: Josie Rourke, D: Saoirse Ronan, Margot Robbie, David Tennant, täglich im Holi, Savoy (OF), Studio (OmU), UCI Mundsburg; www.upig.de/micro/maria-stuart-koenigin-von-schottland