Schönberg/Hamburg. Ermittler sind nach Obduktion sicher, dass es kein Böller war, der die 39-Jährige tötete. War es ein Querschläger?

Die Goethestraße­ in der Gemeinde Schönberg (Kreis Plön) unweit von Kiel liegt in einer kleinen, ruhigen Wohngegend, gesäumt von Reihenhäusern aus den 1960er-Jahren. In der Silvesternacht, es ist kurz nach Mitternacht, malen die Raketen bunte Farben in den Himmel, Böller zerbersten. Übermäßig voll ist es hier nicht, vor den Häusern stehen vor allem junge Eltern mit ihren Kindern. So wie Nina D. (39), Hausfrau und Mutter von drei kleinen Kindern.

Mit ihrem Mann und ihrer sieben Jahre alten Tochter will sie vor der Haustür das Feuerwerk genießen. Doch plötzlich sackt die 39-Jährige zusammen. Einfach so. Ein Rettungswagen kommt, Nina D. wird in eine Kieler Klinik gebracht und notoperiert – vergebens. Sie stirbt am Neujahrstag. In ihrem Kopf stecken mehrere kleine Metallsplitter.

Metallsplitter waren Überreste eines Projektils

Gingen die Ermittler zunächst davon aus, dass die tödlichen Kopfwunden der Mutter durch illegale Feuerwerkskörper verursacht worden waren, bestätigt sich am Tag darauf ein grausiger Verdacht: Nach der Obduktion ist die zuständige Kieler Staatsanwaltschaft überzeugt, dass die Frau an den Folgen einer Schussverletzung verstarb. „Wir gehen mit hoher Wahrscheinlichkeit davon aus, dass die Frau durch eine Schussverletzung getötet worden ist“, sagte die Kieler Oberstaatsanwältin Birgit Heß dem Abendblatt.

Bei den Metallsplittern handele es sich um die Überreste eines vermutlich beim Eintritt in den Schädel zersplitterten Projektils mit unbekanntem Kaliber – ein Geschoss, das nach erster Einschätzung beim Kontakt mit Gewebe auch zersplittern soll.

Zu den Projektilen, die eine derartige zerstörerische Wirkung entfalten, gehören Teilmantelgeschosse, wie sie zur effizienten Tötung bei der Jagd auf Wild eingesetzt werden. Die Kugel ist hier nicht komplett ummantelt, sondern liegt im Bereich der Geschossspitze frei. Beim Auftreffen auf ein Ziel kann sich die Spitze deformieren – oder das Geschoss zerlegt sich vollständig oder teilweise. „Die Ballistiker der Polizei arbeiten mit Hochdruck daran zu ermitteln, um welchen Geschosstyp es sich handelt“, so Heß. „Wir ermitteln in alle Richtungen.“

Polizei geht nicht von gezieltem Tötungsdelikt aus

Wie das Abendblatt aus Polizeikreisen erfuhr, gehen die Ermittler der Mordkommission aktuell nicht von einem gezielten Tötungsdelikt aus. „Nach unseren gegenwärtigen Erkenntnissen hatte die Frau keine Feinde in der Nachbarschaft“, sagt ein Beamter. Für viel wahrscheinlicher halten es die Mordermittler, dass der bisher unbekannte Schütze in der Silvesternacht um sich geschossen hat. „Das ist aktuell unsere Arbeitshypothese“, so der Beamte weiter.

Die Ermittlungen zu dem mysteriösen Tötungsdelikt liefen am Donnerstag auf Hochtouren. Während Rechtsmediziner die Leiche der mutmaßlich Erschossenen weiter obduzierten, versuchten Kriminaltechniker zu ermitteln, welches Geschoss die 39-Jährige getötet und welche Flugbahn es genommen hat. Hilfe kam auf Wunsch der Kieler Mordkommission auch aus Hamburg. Zwei Beamte des Landeskriminalamts brachten einen 3-D-Scanner mit. Das Gerät, das häufig auch nach Unfällen eingesetzt wird, erlaubt eine virtuelle, räumliche und detaillierte Darstellung des Tatorts.

Gestern Nachmittag rückte zudem eine Einsatzhundertschaft aus Eutin an. Die Beamten durchsuchten den Tatort und das nähere Umfeld noch einmal akribisch und sicherten weitere Spuren. „Kollegen haben Anwohner befragt, die bisher noch nicht vernommen worden waren“, sagte der Kieler Polizeisprecher Matthias Felsch. Eine heiße Spur, einen konkreten Hinweis auf den Täter, gebe es allerdings noch nicht. Die Familie der getöteten Frau werde „nicht alleingelassen“, so Felsch weiter. Angehörige kümmerten sich um den Vater und die Kinder, eine Tochter (7) und Zwillinge (1).

Ein ähnlicher Fall ereignete sich 1997 in Hamburg

Ähnliche Fälle ereigneten sich bereits mehrfach in Deutschland, auch in Hamburg. So feuerte in der Neujahrsnacht 1997 ein Unbekannter auf den Familienvater Saban T. (37), vermutlich mit einem Gewehr. Der Werftarbeiter stand damals mit seiner Familie an der Breiten Straße oberhalb des Fischmarktes. Er starb kurz darauf im Krankenhaus. In der Silvesternacht 2017 hatte ein 69-Jähriger in Salzgitter mit seiner Pistole auf ein zwölf Jahre altes Mädchen geschossen. Das Kind erlitt einen Rippendurchschuss, überlebte aber. In Unterschleiach (Unterfranken) erschoss ein 54-Jähriger eine Elfjährige in der Silvesternacht 2015 aus Wut über die Böllerei. Ein Gericht verurteilte den Schützen wegen Mordes zu zwölfeinhalb Jahren Haft.

Im aktuellen Fall sucht die Polizei nach weiteren Zeugen der Tat. Wer hat im Bereich von Goethestraße, Herderstraße und Probsteier Allee verdächtige Personen beobachtet, die mit Waffen hantiert haben? Hinweise an die Kriminalpolizei Kiel, Telefon 0431-160 33 33.