Welthospiztag Im Letzte-Hilfe-Kurs vom Arbeiter-Samariter-Bund lernen die Teilnehmer, Menschen am Lebensende zu begleiten und sich der eigenen Endlichkeit zu stellen. Von Martina Petersen

    Antje Schuberts Vater ist nach mehreren Schlaganfällen seit eineinhalb Jahren nicht mehr ansprechbar. Immer wieder steht die 57-Jährige mit ihrer Mutter und ihrem Bruder im Pflegeheim an seinem Bett, um über die weitere Behandlung zu entscheiden. „Mein Vater hat seine Patientenverfügung nicht konkret genug verfasst, so dass wir als Familie ständig vor der Herausforderung stehen, uns zu fragen: Was hätte Papa jetzt gewollt?“, sagt Antje Schubert, die erst im vergangenen Winter ihre Patentante verloren hat. „Wir haben in unserer Familie viel zu wenig über diese wichtigen letzten Dinge geredet, deshalb fühle ich mich jetzt oft hilflos.“ Als ihre Freundin Claudia Armbruster (52, Name geändert) vorschlug, gemeinsam einen Letzte-Hilfe-Kurs vom Arbeiter-Samariter-Bund zu besuchen, war Antje Schubert sofort einverstanden.

    Zusammen mit zehn weiteren Teilnehmern sitzen die Frauen jetzt in einem Raum der Eidelstedter ASB-Sozialstation, um sich vier Stunden lang Basiswissen über die Begleitung von Menschen am Lebensende anzueignen. Während in unserer Gesellschaft wohl jeder einmal in einem Erste-Hilfe-Kurs lebenserhaltende Maßnahmen trainiert hat, ist das traditionelle Wissen über den Umgang mit Sterbenden in Vergessenheit geraten. Zum kostenlosen Letzte-Hilfe-Kurs finden sich Menschen ein, die angesichts der alten Eltern oder eines kranken Partners die eigenen Ängste spüren und sich vorbereiten wollen. Oder die, wie es Claudia Armbruster formuliert, erleben, dass die „Einschläge im Freundeskreis“ immer näher kommen und sich dadurch auch der Endlichkeit des eigenen Lebens stellen wollen.

    Beim ASB Hamburg haben mittlerweile sechs Pflegefachkräfte die Ausbildung zur Leitung des Letzte-Hilfe-Kurses nach dem Konzept des Palliativmediziners Dr. Georg Bollig gemacht. Deutschlandweit werden in diesem Jahr rund 800 Pflegekräfte und Hospizkoordinatoren als zertifizierte Kursleiter tätig sein. Die Nachfrage ist groß – auch die Kurse vom ASB, die seit Ende 2016 neun- bis zehnmal im Jahr stattfinden, sind stets ausgebucht und werden von Teilnehmern im Alter von Mitte 20 bis über 90 Jahre besucht.

    Am Anfang informieren die beiden Kursleiterinnen Birte Riexinger (58) und Svenja Jacobsen (35) über die Möglichkeiten der Palliativversorgung in Hospizen, auf Palliativstationen der Krankenhäuser oder Zuhause. Auch bei akuten Symptomen wie Schmerzen oder Atemnot ist die Versorgung eines Sterbenden mit Unterstützung eines spezialisierten ambulanten Palliativ-Pflegedienstes zu Hause möglich.

    Woran lässt sich erkennen, dass der Sterbeprozess einsetzt? Und wie kann man einem Sterbenden bei Unruhe oder Atemproblemen Linderung verschaffen? Die erfahrenen Pflegefachkräfte steuern zahlreiche Beispiele aus der Praxis bei und ermutigen die Teilnehmer, sich eine Begleitung am Lebensende zuzutrauen. „Einfach da zu sein, zuzuhören, die Hand zu halten und die Situation gemeinsam auszuhalten ist für den Sterbenden genauso wichtig wie die nötigen Medikamente“, sagt Svenja Jacobsen. Ein vertrauter Duft, eine sanfte Handmassage oder ein gemeinsames Gebet können Nähe schaffen und Sicherheit geben. Wenn Sterbende nichts mehr trinken können, ist es wohltuend, den trockenen Mund und die Lippen zu befeuchten.

    „Bei der Mundpflege ist der Fantasie keine Grenze gesetzt. Man kann die Schaumstoffstäbchen auch mit Rotwein oder Kaffee benetzen, um dem Sterbenden ein angenehmes Geschmackserlebnis zu bescheren“, erläutert Birte Riexinger. „Erfahrungsgemäß tut es auch den Angehörigen gut, dem geliebten Menschen auf diese Weise Zuwendung geben zu können. Es ist aber wichtig, auf seine Mimik zu achten und sich zu vergewissern, dass der Sterbende unser Tun als angenehm empfindet.“

    Spätestens als tiefgefrorene Gummibärchen als Beispiel für ein erfrischendes Geschmackserlebnis herumgereicht werden, ist unter den Kursteilnehmern das Eis gebrochen. Viele empfinden es als Bereicherung, in dieser Runde einmal offen über das Tabuthema Tod sprechen und Fragen stellen zu können. Die alleinstehende Heike Hattenkofer erzählt, dass sie bereits mit einer Anwältin eine Patientenverfügung aufgesetzt, eine Grabstelle gekauft und die Rede für ihre Trauerfeier verfasst hat. „Persönlich empfinde ich diese Schritte als Entlastung“, sagt die 69-Jährige. „Aber die Beschäftigung mit dem Tod macht einsam. Meine Tochter weicht mir aus, wenn ich mit ihr über mein Lebensende sprechen möchte.“ Die Kursleiterinnen informieren nicht nur über notwendige Dokumente wie die Patientenverfügung. Sie regen auch an, die eigenen Vorlieben und Bedürfnisse zu notieren und mit nahestehenden Menschen frühzeitig eine Gesprächskultur über die letzten Wünsche zu entwickeln. „Ich persönlich empfinde das als Bereicherung. Denn dadurch denke ich mehr über mein Leben und das, was mir wirklich wichtig ist, nach“, sagt Svenja Jacobsen.

    Am Ende geben die Kursleiterinnen einen Überblick über Bestattungsformen und mögliche Rituale des Abschieds. Sie informieren darüber, dass Verstorbene noch 36 Stunden in der Häuslichkeit verbleiben und auch vom Bestatter aus dem Krankenhaus nach Hause überführt werden dürfen. „Sie können beispielsweise die Mitarbeiterin des Pflegedienstes um Unterstützung bitten, wenn Sie das Waschen und Ankleiden des Verstorbenen nicht allein übernehmen möchten“, sagt Birte Riexinger. „Es tut gut, nach der hektischen Zeit zur Ruhe zu kommen und zu begreifen, dass der Mensch gegangen ist. Das kann die Trauer erleichtern.“

    „Was möchten Sie in den Koffer für Ihre letzte Reise packen?“ Mit dieser Frage entlassen die beiden Kursleiterinnen die Teilnehmer am Ende in den Abend. Die Stimmung ist nachdenklich, bei einigen sind Erinnerungen wach geworden oder Vorsätze gereift. „Ich spüre gerade, dass ich beim Tod meiner Patentante noch nicht alles angeschaut und verarbeitet habe“, sagt Antje Schubert. Sie ist froh, dass sie mit ihrer Freundin Claudia den Grundstein für einen offenen Austausch zum Thema Sterben und Tod gelegt hat. Und auch Heike Hattenkofer hat eine Idee, wie sie Verbündete für Gedanken über die letzte Reise finden könnte. „Demnächst wird der Chor, in dem ich seit vielen Jahren singe, mir zum 70. Geburtstag ein Ständchen bringen“, erzählt die ehemalige Lehrerin. „Ich möchte alle bitten, auch auf meiner Beerdigung zu singen. Es wäre doch schön, wenn wir künftig auch in schweren Stunden füreinander da sein könnten.“

    Da die ASB-Kurse schnell ausgebucht sind, empfiehlt sich eine frühzeitige Anmeldung. Termine unter: www.asb-hamburg.de/
    aktuell/termine/Infos über weitere Kurse anderer Hamburger Anbieter: www.letztehilfe.info/aktuelle-kurse/letzte-hilfe-kurse-fuer-alle/Vom 14.–21.10. findet die Hamburger Hospizwoche statt. Das ganze Programm unter: www.welthospiztag-hamburg.de