Mit sensiblen Fingerspitzen innere Blockaden aufspüren und sie lösen – das ist das Therapiekonzept von Osteopathen

    „Mein Dilemma begann am Ballindamm“, erzählt Christa Helmer. „Bei der Parkplatzsuche machte das Auto vor mir eine Vollbremsung. Ich stoppte ruckartig. Und dachte noch: Zum Glück ist nichts passiert. Von wegen!“ Den ziehenden Schmerz in der linken Schulter ignorierte die Bankangestellte zunächst. Als er im Laufe der folgenden Wochen immer stärker wurde, ging sie zum Hausarzt. „Schmerztabletten und Wärmeauflagen halfen aber nicht“, so die Patientin, „ebenso wenig Massagen, Kortison und sonst alles, was mir anschließend mehrere Orthopäden verordnet haben.“ Als es hieß: „Da bleibt nur noch die OP“, bekam die Eppendorferin von einer Kollegin den Tipp, es mit Osteopathie zu versuchen. „Ich war skeptisch“, sagt Christa Helmer. „Aber das hat mich tatsächlich schmerzfrei gemacht.“

    Solche Erfolgsgeschichten gibt es häufig. Eine aktuelle Umfrage unter 2200 Erwachsenen zeigte: Vier von fünf Patienten sind mit ihrer osteopathischen Therapie zufrieden oder sogar sehr zufrieden.

    Haltung und Bewegungen liefern weitere Informationen

    Viele entdecken Osteopathie allerdings erst nach einer langen Arzt-Odyssee und haben keine großen Erwartungen. Osteopathen arbeiten nämlich nur mit ihren Händen. Sie brauchen keine Geräte und keine Pharmazie. Und sie behandeln sanft. Das passt zunächst nicht zu unseren gewohnten Vorstellungen von Medizin. „Die Osteopathie geht davon aus, dass im Körper alles mit allem verbunden ist“, erklärt der Hamburger Heilpraktiker und Osteopath Michael Kaufmann, Vorsitzender des Vereins Osteopathen in Hamburg e. V. (OIHH). Demnach kann eine Störung („Blockade“) wie eine Verspannung an einer bestimmten Stelle im Organismus durch eine Kettenreaktion Beschwerden in einer anderen Region auslösen.

    Der Osteopath erfühlt diese Blockaden mit sensiblen Händen und löst sie ebenso sanft durch leichtes Dehnen, Ziehen oder Drücken. Dadurch werden unter anderem die Beweglichkeit sowie die Zirkulation von Körperflüssigkeiten wieder in Gang gebracht, die Versorgung von Organen verbessert. Das ist die Voraussetzung, damit der Organismus seine gebremsten Selbstheilungskräfte wieder aktivieren kann. „Osteopathie verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz“, erklärt Michael Kaufmann. „Wir sprechen zu Beginn mit unseren Patienten ausführlich über ihre Krankengeschichte und ihre Beschwerden, aber auch über die Lebenssituation. Und wir sehen sie uns ganz genau an.“

    Auch Haltung und Bewegungen können den Therapeuten Hinweise geben, wo sich Blockaden gebildet haben. Die anschließende körperliche Untersuchung geschieht nicht selten im Wortsinn „von Kopf bis Fuß“. Schließlich kann die Balance des Organismus an jeder Stelle gestört sein, unabhängig von den Symptomen. „Mein Osteopath stellte fest, dass ich vor allem im unteren Rücken Verspannungen hatte, die ich gar nicht spürte“, berichtet Christa Helmer. „Nachdem er dort das Bindegewebe gelockert und die Muskeln leicht gedehnt hatte, besserten sich die Schulterschmerzen schon. Nach acht Behandlungen tat nichts mehr weh.“

    Der Begriff „Osteopathie“ wurde vom Begründer, dem US-amerikanischen Landarzt Andrew Taylor Still, vor gut 130 Jahren geprägt. Die beiden altgriechischen Wörter Ostéon („Knochen“) und Páthos („Leiden“), aus denen er das Wort bildete, sind für die moderne Osteopathie nicht mehr ausreichend. Still war davon ausgegangen, dass die Ursache vieler Beschwerden in Knochenfehlstellungen liege, und konzentrierte sich bei seinen manuellen Behandlungen zunächst auf das Skelettsystem. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts spielte die Behandlung der Organe generell noch keine große Rolle in der Medizin. So wurde in den Anfängen der Osteopathie lediglich versucht, vom Bewegungsapparat aus die Funktion der Organe zu beeinflussen und zu verbessern. Mittlerweile gibt es drei große Felder der Osteopathie: Die „parietale“ befasst sich nach klassischem Vorbild mit Diagnose und Behandlung von Beschwerden des Muskel-Skelett-Systems. Bei der „visceralen“ haben die Therapeuten die Beziehungen von inneren Organen zum Gesamtorganismus im Fokus. Die „Craniosacrale Osteopathie“ schließlich ist eine Form, bei der vorwiegend am Kopf („Cranium“) und am Kreuzbein („Sacrum“) behandelt wird.

    Die Bandbreite der Beschwerden, bei denen Osteopathie helfen kann, ist groß. Die meisten Patienten kommen wegen Rückenschmerzen oder Migräne zur Therapie. Aber auch Schlafstörungen, Regelschmerzen oder Magenpro­bleme können ihre Ursachen in Störfeldern haben und durch Osteopathie gelindert werden.

    Selbst Skeptiker aus der Schulmedizin können nicht leugnen: Osteopathische Handarbeit fördert unter anderem die Durchblutung und nimmt Druck vom Gewebe. Dadurch verbessert sich die Versorgung des Körpers mit Sauerstoff und Nährstoffen. Unumstritten ist auch, dass es guttut, Spannungen zu lösen und Beweglichkeit zu fördern. Es gibt jedoch auch zahlreiche wissenschaftliche Studien zur Wirksamkeit. So konnten britische Forscher nach der Analyse von 15 Arbeiten mit mehr als 1500 Patienten nachweisen, dass die ganzheitliche Behandlung sowohl bei akuten als auch bei chronischen Rückenschmerzen helfen und Patienten sogar vor Operationen bewahren kann.

    Dennoch kämpfen seriöse Osteopathen noch immer um die offizielle Anerkennung ihres Berufs. Sie haben zusätzlich zu ihrer Ausbildung als Arzt oder Heilpraktiker mindestens 1350 Unterrichtseinheiten absolviert. Diese Qualifikation dauert bis zu fünf Jahre. In fast ganz Deutschland kann sich allerdings theoretisch jeder „Osteopath“ nennen. Umso wichtiger ist es für Patienten, sich vorab über die Erfahrung des Therapeuten zu informieren.

    Adressen bekommt man beim Verband der Osteopathen Deutschland e. V. (www.osteo
    pathie.de, Tel. 0611/58 08 97 50) und auf der Website des Vereins Osteopathen in Hamburg e. V. (www.osteopathen-in-hamburg.de). Welche Krankenkassen Zuschüsse gewähren, erfährt man im Internet unter www.osteokom
    pass.de/de-patienteninfo-krankenkassen