Stockholm.

Die Verfahren helfen bei Weitem nicht allen Patienten, aber sie können Menschen retten, die sonst kaum eine Chance hätten: Immuntherapien sind die neuen Hoffnungsträger in der Krebsmedizin. Der US-Immunologe James Allison und sein japanischer Kollege Tasuku Honjo haben für die Entwicklung dieser Therapiemethode nun den Medizin-Nobelpreis erhalten. Angewendet wird diese derzeit vor allem bei Schwarzem Hautkrebs, aber auch bei manchen Tumoren von Lunge, Niere und Blase. Die Ehrung ist verdient, finden auch deutsche Experten. „Immuntherapien sind gerade ein ganz heißes Thema, der Preis kommt zum richtigen Zeitpunkt“, sagt der Immunologe Professor Carsten Watzl vom Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund.

Vom Mausversuch bis zur Entwicklung einer Therapie

Allison und Honjo hatten unabhängig voneinander entdeckt, dass bestimmte Proteine als eine Art Bremse auf das Immunsystem wirken. „Diese Proteine sorgen normalerweise dafür, dass das Immunsystem nicht überschießt. Krebszellen nutzen das aus und treten auf diese Bremse, um selbst nicht attackiert zu werden“, erklärt Watzl. Honjo und Allison entwickelten Verfahren, solche Bremsen zu lösen – der inzwischen 76-jährige Honjo für das von ihm entdeckte Protein PD-1, der 70 Jahre alte Allison für das Protein CTLA-4.

„Anstatt nach Zielmolekülen auf Tumorzellen zu suchen, die wir angreifen können, blockieren wir die Brems- und Kontrollproteine auf den Immunzellen“, erläuterte Allison einmal. „Dadurch wird das Immunsystem entfesselt und kann erfolgreich gegen verschiedene Arten von Krebs vorgehen.“

„Beide Wissenschaftler haben ihre Forschung von der Entdeckung der Proteine im Mausversuch bis hin zur Entwicklung therapeutischer Anwendungen getrieben, das ist bemerkenswert“, sagt Watzl. Oftmals entdeckten Forscher bei der Grundlagenforschung bestimmte Mechanismen, bei der Weiterentwicklung kämen ihnen andere dann aber zuvor oder die Erkenntnisse schafften es erst gar nicht bis zur Erprobung am Menschen. Anders bei Allison und Honjo: Sowohl CTLA-4- als auch PD-1-Hemmer werden in Deutschland gegen Krebs eingesetzt. „Den Patienten werden Antikörper verabreicht, die verhindern, dass die beiden Proteine an bestimmte Rezeptoren andocken können. Das Immunsystem lernt diesen Prozess, die Mittel müssen also nicht lebenslang eingenommen werden“, erklärt Watzl. Anders als eine Chemotherapie, die neben den Krebszellen meist auch körpereigene Zellen angreift und den Organismus schwächt, habe die Immuntherapie deutlich weniger Nebenwirkungen. Und: „Es ist tatsächlich eine Heilung möglich“, sagt Watzl, „etwa 30 Prozent der Patienten hatten nach der Behandlung keine Tumoren mehr.“

Ein Schwachpunkt der Therapien ist derzeit noch, dass nur ein Teil der Patienten profitiert: Beim Melanom sei mit dem CTLA-4-Hemmer namens Ipilimumab etwa jeder fünfte Patient noch nach zehn bis zwölf Jahren stabil, sagt Dirk Jäger vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ), mit einem PD-1-Hemmer knapp jeder dritte. „Neue klinische Studien weisen darauf hin, dass Kombinationstherapien, die sowohl auf CTLA-4 als auch PD-1 abzielen, noch wirksamer sein können“, schreibt das Nobelkomitee. So lässt sich der Anteil jener Melanom-Patienten, bei denen die Behandlung anschlägt, laut Jäger auf 40 bis 44 Prozent steigern – allerdings bei heftigeren Nebenwirkungen, darunter Hautausschlag und Entzündungen von Leber oder Lunge. Auch gegen Tumoren von Lunge, Niere und Blase hilft die Kombinationsbehandlung besser. Noch ist die Therapie jedoch sehr teuer. Die Behandlung mit einem PD-1-Hemmer kostet laut Jäger etwa 12 000 Euro pro Monat, mit dem CTLA-4-Hemmer Ipilimumab sogar deutlich über 20 000 Euro.

Derzeit sind nach Angaben des Verbands der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) in der EU fünf solcher Mittel zur Immuntherapie zugelassen. Eine Vielzahl von Studien untersuche, bei welchen Krebsvarianten die Wirkstoffe noch anschlagen könnten, schreibt das Nobelkomitee. Und dessen Vorsitzende, Anna Wedell, ergänzt: „In einem Forschungsgebiet, das immer pessimistischer wurde, ist plötzlich so viel Enthusiasmus. Es hat das ganze Gebiet wiederbelebt.“