Schön langsam die Welt erkunden: Promenadologen sehen einen neuen Trend zum Spazierengehen

    Früher war alles besser? Sicher nicht. Aber früher war vieles anders. Die Menschen hatten zum Beispiel Zeit zum Spazierengehen. Als Beweis dienen 160 impressionistische Bilder von Künstlern wie van Gogh, Pissarro, Macke oder Kirchner, die zurzeit in der Kunsthalle Bonn gezeigt werden. Darauf zu sehen sind schlendernde Dandys oder Damen mit Hut, die en passant entspannt und neugierig in Schaufenster blicken. „Hatten die Leute früher mehr Zeit?“, fragt die Deutsche Presseagentur und findet auch die Antwort. Nur die Reichen, besonders der Adel. Die mussten nicht arbeiten, weil sie dafür ihre Leute hatten. Wandern war also keineswegs ausschließlich des Müllers Lust. Es war schon eher so, wie es Ulla Meinecke besungen hat: „Schlendern ist Luxus.“

    Der degenerierte Adel stellte seine Langeweile gern zur Schau. Es gab sogar Aristokraten, die eine Schildkröte an der Leine mit sich herumführten, um zu zeigen, wie Tempo sie anwiderte. Und da kommt schon der heutige Zeitgeist ins Spiel. Der ist entschleunigt, und das ist gut so, denn wer rast, bekommt nicht viel mit – wer nichts weiß, auch nicht.

    „Man sieht nur, was man zu sehen gelernt hat“, sagt Professor Martin Schmitz, und der muss es wissen, denn ist Promenadologe. Er hat einen Trend erkannt. „Ich finde es unglaublich, wie viele Organisationen, Museen, Gruppen, Künstler sich wieder mit dem Spazierengehen beschäftigen“, sagt er. Das gilt natürlich auch für ihn selbst. Es herrscht Aufbruchsstimmung, oder wie Lou Reed schon vor 46 Jahren vorschlug: „Take a walk on the wild side“!

    Aber ich muss los. Meine Schildkröte zerrt schon an ihrer Leine.