Berlin.

Einweg oder Mehrweg, Plastik oder Glas – wer der Umwelt beim Einkaufen Gutes tun will, steht bisweilen lange grübelnd vor dem Getränkeregal. Das Berliner Start-up Share will Verbrauchern die Wahl erleichtern. Als nach eigener Aussage erstes Unternehmen in Deutschland füllt es all seine Getränke – bislang stilles und sprudelndes Wasser in je zwei Größen – in Einwegflaschen aus 100 Prozent recyceltem Plastik. Die Gründer wollen Vorbild für andere Hersteller sein. Doch wie nachhaltig ist das Konzept wirklich?

Mehrweg – gut, Einweg – schlecht, das haben die Deutschen über Jahre gelernt. Im Einkaufswagen landet trotzdem vor allem die 1,5-Liter-Einwegflasche aus Plastik. Sie beansprucht fast 50 Prozent des Marktes bei den alkoholfreien Getränken. Die seit diesem Jahr im Verpackungsgesetz festgeschriebene Mehrwegquote von 70 Prozent für Getränkeverpackungen änderte daran bislang wenig. Schon seit mehreren Jahren kommen Mehrwegflaschen mit Wasser und Erfrischungsgetränken über einen Marktanteil von gerade einmal rund 23 Prozent nicht hinaus. „Wir wollten also das System verbessern, das in diesem Bereich am meisten genutzt wird – die Einwegflasche“, sagt Share-Mitgründer Sebastian Stricker.

Hierzulande sind diese Flaschen überwiegend aus Polyethylenterephthalat, kurz PET, und enthalten nach Angaben der Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung (GVM) im Schnitt 26 Prozent sogenanntes Rezyklat. Etwa 70 Prozent Material muss also für jede Flasche neu produziert werden. Bislang kommen dabei noch fossile Rohstoffe zum Einsatz – eine Belastung für die Umwelt. Das einmal hergestellte Plastik wiederzuverwenden steht daher im Fokus von Herstellern und Politik. In Deutschland gelingt das gut: Knapp 98 Prozent der PET-Einwegflaschen gehen über das Pfandsystem zurück in den Kreislauf und werden recycelt.

„Die negativen Umweltauswirkungen von Einweg-Plastikflaschen werden mit einem steigenden Anteil an Recyclingmaterial bei der Herstellung geringer“, sagt Thomas Fischer, Bereichsleiter Kreislaufwirtschaft bei der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Die ökologischste Lösung sei die 100-Prozent-Recycling-Flasche trotzdem nicht. Das Argument, Einweg würde schlicht besonders stark nachgefragt, will Fischer nicht gelten lassen. „Wir haben das Problem, dass zu viele Plastikverpackungen produziert werden. Es wird nicht gelöst, indem noch mehr davon in Verkehr gebracht werden.“ Das Mehrweg-System mit Glas ist für ihn der klare Favorit. Aufbereitungsprozesse wie das Zermahlen, Waschen und chemische Reinigen könnten beim Recyclingvorgang von Plastikflaschen zu Materialverlusten von bis zu 20 Prozent führen. „Das passiert bei Glas nicht“, so Fischer. Mehrweg-Glasflaschen können problemlos bis zu 50-mal wiederverwendet werden. „Ist die Flasche beschädigt, dann lässt sie sich beliebig oft einschmelzen, um daraus neue Flaschen herzustellen“, so Fischer – der Recyclinganteil in Mehrwegflaschen läge für Weißglas bei rund 63, für Grünglas bei rund 80 Prozent. Kunden oder Hersteller, denen Glas zu schwer sei, könnten auch Mehrweg-PET nutzen. Diese Flaschen lassen sich zwar nur 20-mal wiederbefüllen, sind aber viel leichter und haben einen großen ökologischen Vorsprung vor Einwegflaschen. „Es wäre aber sinnvoll, bei PET-Mehrwegflaschen den recycelten Anteil zu erhöhen“, so Fischer.

Umweltbundesamt empfiehlt Mehrweg aus der Region

Studien sind hier nicht ganz so eindeutig: „Ökobilanzen zeigen je nach gewählten Rahmenbedingungen ein differenziertes Bild“, sagt Verpackungsexperte Gerhard Kotschik vom Umweltbundesamt. So verbrauche die Herstellung von Glas mehr Ressourcen – erst nach häufiger Wiederverwendung einer Flasche wird ihre Umweltbilanz positiv. Auch fielen bei Mehrweg-Systemen teils lange Transportwege für Reinigung und andere Prozessschritte an, wenn das Wasser einer Quelle etwa bundesweit verkauft werde. „Wir empfehlen Verbrauchern deshalb Mehrweg-Produkte aus der Region als beste Option“, so Kotschik.

Bei Einweg-Flaschen seien solche mit hohem Recyclinganteil die beste Wahl. Dass dieser oft trotzdem unter 30 Prozent liegt, hat Gründe, die auch die Share-Gründer vor Probleme stellten. „Es war schwierig mit ausschließlich recyceltem Plastik eine Flasche herzustellen, die qualitativ mit anderen Flaschen mithalten kann, etwa bei der Stabilität oder der Farbe“, so Stricker, „zudem ist es derzeit etwa 20 Prozent teurer, mit recyceltem Material zu arbeiten, als neues Plastik herzustellen.“

Größere Mitbewerber bestätigen das. Die Mitteldeutsche Erfrischungsgetränke GmbH, die den Discounter Lidl mit Getränken der Marke Saskia beliefert, setzt bereits in einzelnen Saskia-Produkten bis zu 100 Prozent Recyclingmaterial ein, betont eine Sprecherin. Hersteller Rheinfells Quelle erklärt hingegen: „Der hohe Recyclat-PET-Preis ist bei aktuellen Neuwarenpreisen leider nicht wettbewerbsfähig.“ Das Unternehmen verwende ausschließlich Neumaterial. Unter „stimmigen Voraussetzungen“ käme eine Umstellung aber infrage.

Share schuf sich diese kurzerhand selbst, nahm Geld in die Hand und experimentierte ein halbes Jahr lang mit verschiedenen Materialmischungen – unterstützt von seinen Vertriebspartnern, dem Drogeriemarkt dm und der Supermarkt-Kette Rewe. „Würden alle PET-Hersteller auf Rezyklat umsteigen, ließen sich theoretisch jährlich rund 300.000 Tonnen Plastikmüll einsparen“, so Stricker.

Ist es wirklich so einfach? „Nein“, sagt UBA-Experte Kotschik. „Momentan ist es gar nicht möglich, dass alle Hersteller in Deutschland umstellen.“ Es sei schlicht nicht genug hochwertiges Recyclingmaterial verfügbar.

Zur Herstellung von Getränkeflaschen mit Recyclinganteil werden nahezu ausschließlich recycelte PET-Flaschen aus dem Pfandsystem verwendet. „Nur sie erfüllen die strengen Anforderungen für Lebensmittelverpackungen in diesem Bereich. Kunststoffe aus dem gelben Sack kommen dafür nicht infrage“, erklärt Kotschik. Doch neue Plastikflaschen sind nicht das Einzige, für das recyceltes PET verwendet wird. Es landet auch in Folien oder Fasern für Kleidung. „Wird das Material in Anwendungen mit geringerem Anspruch eingesetzt, spricht man von Downcycling“, so Kotschik. Hinzu kommen Verluste durch den Recyclingprozess. Nach Angaben der GVM werden in Deutschland jährlich 477.000 Tonnen PET in Getränkeflaschen verbraucht. Gesammelt werden 456.400 Tonnen, woraus 440.000 Tonnen PET wieder für die Herstellung anderer Produkte eingesetzt werden können. „Und es handelt sich um einen wachsenden Markt“, sagt Kotschik. Es werde also weiter eine Lücke geben, die mit neuem Material gefüllt werden müsse.