Drei Hamburgerinnen wollenFrauen mit Kindern helfen.Denn die hätten es heuteoft schwerer alsfrühere Generationen

    Eine glückliche Frau hätte Imke Dohmen sein können. Sie hatte einen liebevollen Mann, eine niedliche Tochter Carlotta (3), dazu das Baby, die kleine Filipa. Aber Imke Dohmen war nicht glücklich, sondern wütend und überfordert. „Meine Kleine hat in den ersten sechs Monaten viel geweint. Ich hatte in dieser Zeit eine unheimliche Wut in mir“, sagt sie heute über die Wochen und Monate vor rund vier Jahren, die ihr Leben so veränderten. Damals ist sie zu ihrem Hausarzt gegangen und habe ihn um Hilfe gebeten. „Das sind die Hormone“, habe der trocken gesagt und sie wieder nach Hause geschickt. „Da saß ich dann vollkommen hilflos und noch wütender als zuvor.“

    Dohmen war verblüfft, dass ihr keiner helfen konnte. Also begann sie zu recherchieren, an wen sie sich mit ihren Problemen wenden könnte. Und fand nichts im Netz. „Da habe ich mir gedacht, das muss sich ändern.“ Dohmen entschloss sich, die Lücke als Chance zu sehen.

    Sie begann eine Ausbildung zur psychologischen Beraterin und systemischen Therapeutin, Hypnose- und Traumatherapeutin, Erziehungsberaterin. Legte beim Gesundheitsamt eine Prüfung zur Heilpraktikerin für Psychotherapie ab. Drei Jahre lang versuchte sie, so viel Wissen wie möglich anzuhäufen, um anderen Familien helfen zu können. Nebenbei begann Imke Dohmen zusätzlich ein Fernstudium für Kinderpsychologie.

    Viele Frauen fühlen sichals schlechte Mütter

    Heute sitzt Dohmen entspannt in einem Café in Eppendorf. Ihre Wut ist längst verflogen. Die Hamburgerin berät mittlerweile Familien, hält Vorträge und gibt Seminare (mutterhelden.de). „Ich möchte Müttern helfen, ihre Kinder liebevoll durchs Leben zu begleiten“, sagt die 41-Jährige. „Ihnen zeigen, dass ihre Kinder gut so sind, wie sie sind. Keine Nervensägen, Störenfriede oder unerziehbare Bälger. In der heutigen Zeit brauchen Mütter Hilfe, ihre eigenen Stärken zu erkennen.“ Viele würden das gesunde Bauchgefühl bei der Erziehung verlieren oder gar nicht erst spüren: „Daran müssen wir arbeiten.“

    Die Unsicherheit scheint bei jungen Müttern zuzunehmen. Das zeigt auch eine Umfrage, die das Berliner Start-up Löwenzahn Organics bei dem Sozialforschungsinstitut forsa in Auftrag gegeben hat. Rund 1000 Mütter mit Kindern im Alter bis zu vier Jahren wurden befragt. Das Ergebnis: Die Hälfte aller Befragten hat sich schon mal als schlechte Mutter gefühlt. Mittlerweile gibt es sogar einen eigenen Begriff für dieses Phänomen: Mom-Shaming. So wünschen sich 86 Prozent der befragten Mütter vor allem mehr Toleranz und Unterstützung von Müttern untereinander.

    „Jeder hat heute einen Tipp für eine werdende Mama oder eine junge Mutter bereit“, sagt auch Dohmen. Der Perfektionismus dringe immer tiefer in die Familienwelt ein. „Das beginnt in der Schwangerschaft. Sobald der Babybauch wächst, muss man sich ständig erklären“, sagt sie. Weiter ginge es über die Geburt und deren Ablauf. „Und so richtig los geht es natürlich, wenn das Baby erst da ist.“

    Diese Erfahrung haben auch Ivy Meyer und Regina Dyck gemacht. Dazu die vielen Beiträge im Internet, die so negativ und belehrend seien. Die zwei jungen Mütter haben deshalb in diesem Frühjahr einen eigenen Blog im Internet gegründet. Auf ihrer Seite grossstadtmamas.de berichten sie aus ihrem Leben in der Stadt. „Wir wollen mit unseren Themen die vielen Bedürfnisse von Müttern abdecken“, sagen sie. Themen, die sie selbst beschäftigen. Ohne erhobenen Zeigefinger, kluge Ratschläge oder Lösungsvorschläge. „Wir wollen, dass sich Mütter hier wieder entdecken und merken: Oh, mir geht es ja nicht nur allein so.“

    Kinder bestimmen das Leben – aber das Leben dreht sich nicht nur um die Kinder

    Die 29-jährige Ivy berichtet derzeit viel von ihrer zweiten Schwangerschaft. Sie erzählt in entwaffnender Ehrlichkeit von dem nervigen Sodbrennen, dass sie besonders in den Nächten plagt. Von der Müdigkeit, die sie in ihrem Alltag behindert. Oder davon, wie groß der Bauch schon ist, obwohl sie erst gut die Hälfte der Zeit hinter sich hat. „Also nicht nur die ach so schönen Themen einer werdenden Mutter.“

    Die 30-jährige Regina hat dazu Bilderstrecken für sommerliches oder besonders energiehaltiges Essen parat. Gerade hat sie eine Mini-Homestory veröffentlicht aus ihrer neuen Wohnung auf der Schanze. Und natürlich gibt es auch die Einträge über die Wutanfälle ihrer kleinen Söhne oder den Umgang mit der Angst um das geliebte Kind.

    Den beiden ist wichtig zu betonen: Klar, unsere Kinder bestimmen unser Leben. Unsere Kinder sind wunderbar und immer wieder herausfordernd. Aber unser Leben dreht sich nicht nur um die Kleinen. „Die Kinder sollen nicht im Zentrum allen Denkens stehen. Das versuchen wir, allen klar zu machen.“

    Dohmen versteht sich gut mit den beiden jungen Frauen. „Denn sie machen es richtig“, sagt die Expertin. „Sie sagen ihren Leserinnen nicht, wie sie es anders machen sollen. Oder was der richtige Weg ist. Sie zeigen einfach, wie ein Familienleben in der Großstadt so ist. Mehr nicht.“ So könnten sich andere in den Beiträgen wiedererkennen, ohne gleich mit Tipps und Ratschlägen überhäuft zu werden.

    Alle drei berichten, dass es heute für Mütter deutlich schwerer sei, den richtigen Weg zu finden. „Unsere Eltern hatten ihre große Familie direkt um sich herum. Sie hatten immer Hilfe. Mussten sich nichts selbst suchen“, sagt Meyer. Dazu hätten sich die vorherigen Generationen nicht so viel hinterfragt. „Es wurde einfach gemacht. Gab keine Diskussionen“, sagt auch Dohmen, die beobachtet, wie immer mehr und mehr Berater Hilfe anbieten.

    Denn es gibt heute im engeren Umfeld der Mütter häufig niemanden, mit dem sie leicht über Sorgen und Zweifel reden könnten. „Es ist sowieso schon schwer zuzugeben, was daheim vielleicht nicht so rund läuft. Aber in unserer Gesellschaft mit den hohen Ansprüchen wird es ungleich schwerer.“

    Das Interesse an diesen Dienstleistungen für Familien und Mütter scheint groß zu sein. Der Blog der beiden jungen Frauen ist so gefragt, dass er ihnen ein gutes Auskommen beschert. „In Teilzeit in unseren bisherigen Anstellungen bei Werbeagenturen würden wir weniger verdienen“, sagt Meyer. Ganz zu schweigen von den Möglichkeiten, jetzt die Arbeitszeiten flexibel zu gestalten.

    „Wir haben beide bereits vorher persönliche Blogs betrieben und sind dadurch gut vernetzt.“ Zum einen gibt es sogenannte Advertorials auf der Seite, bei denen die Werbung mit einem Beitrag verknüpft ist. Zum anderen bringt das sogenannte Affiliate-System Geld. Wenn Nutzer von grossstadtmamas.de aus etwas auf Amazon oder anderen Plattformen kaufen, erhalten die jungen Frauen eine Provision. Dazu produzieren sie für andere Unternehmen Blogbeiträge und Fotostrecken zu den unterschiedlichsten Themen aus dem Bereich Mutter und Kind. Beiden ist es aber wichtig zu betonen: „Wir machen Kooperationen nur dann, wenn wir auch wirklich dahinterstehen.“

    Auch Dohmen ist gut gebucht. Für ein einstündiges Einzelcoaching nimmt sie 80 Euro, eineinhalb Stunden werden mit 120 Euro berechnet. Die Teilnahme an Workshops berechnet sie ihren Kunden je nach Aufwand. „Der Zuspruch ist wirklich toll“, sagt sie. Sorge bereitet ihr nur die Tatsache, dass immer mehr Anbieter auf den Markt kommen, die keine entsprechenden Ausbildungen vorzuweisen haben. „Und ich fürchte, dass Familien in Not sicher hier und da nicht so genau darauf achten, wie geeignet der Berater wirklich ist.“

    Die Mütter-Beraterinnen im Netz:
    www.mutterhelden.dewww.grossstadtmamas.de