Hamburg. Krankenkassen werten Zweitmeinungen von Experten aus. „Ärzte greifen oftmals zu schnell zum Skalpell“

    In Deutschland werden viele Patienten mit Rückenbeschwerden zum Chirurgen geschickt, obwohl sie auch ohne Operation gut behandelt werden könnten. Das zeigt eine Analyse der Techniker Krankenkasse (TK) in Hamburg. Danach sind etwa acht von zehn Rücken-OPs unnötig.

    Die TK hatte für die Studie ihr spezielles Zweitmeinungsangebot ausgewertet. Dabei können Patienten eine Empfehlung zu einer Wirbelsäulenoperation in Schmerzzentren überprüfen lassen. 79 Prozent der 2400 Teilnehmer bekamen dort zwischen 2010 und 2016 den Rat, sich konservativ – etwa mit Krankengymnastik – behandeln zu lassen; und tatsächlich kamen sie dauerhaft ohne Operation aus. Die Patienten hatten bereits eine Einweisung ins Krankenhaus oder eine OP-Empfehlung. Ein ähnliches Ergebnis meldet auch die Krankenkasse AOK Nordwest.

    „Die Zahlen zeigen, dass die Ärzte in Deutschland oftmals zu schnell zum Skalpell greifen. Natürlich gibt es Fälle, in denen eine Operation das Mittel der Wahl ist, aber die Entscheidung für solch einen Schritt sollte gut abgewogen und kritisch hinterfragt werden“, sagte Klaus Rupp von der TK.

    Das Zweitmeinungsrecht steht seit 2015 im Gesetz. Doch da sich der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) der Ärzte, Kliniken und Kassen noch nicht mit der Politik auf eine Ausführungsrichtlinie einigen konnte, ist es bisher nicht umgesetzt. Krankenkassen wie die TK oder die AOK Nordwest bieten die Leistung freiwillig an.

    „Das Zweitmeinungsverfahren muss endlich in die Versorgung“, sagte der G-BA-Vorsitzende Prof. Josef Hecken. Das Recht auf eine Zweitmeinung würde nach einer Einigung zunächst für Mandel- und Gebärmutter-OPs gelten. Die Vorschläge für die Aufnahme orthopädischer Eingriffe „befinden sich in Beratung“. Laut Bertelsmann Stiftung stieg die Zahl der Wirbelsäulen-OPs in Deutschland zwischen 2007 und 2015 von 452.000 auf 772.000.