Richard David Precht schaut hin, kritisiert, plädiert

    Der Blick, den Richard David Precht in die Zukunft wirft, ist nicht gerade rosig. Immer mehr Jobs verschwinden durch die fortschreitende Digitalisierung. Werden Menschen durch Computer oder Roboter ersetzt, brechen die Sozialsysteme zusammen, Renten können nicht mehr finanziert werden. Auch die Privatsphäre löst sich immer weiter auf, Algorithmen entmündigen den Bürger. Siri und Alexa lassen grüßen. Doch die Informatiker im Silicon Valley arbeiten weiter an noch höherer Effizienz, damit Internetkonzerne wie Apple, Google, Facebook und Amazon ihre Gewinne weiter steigern können. Der ungebremste Siegeszug der Automaten scheint unaufhaltsam. „Eine Utopie für die digitale Gesellschaft“ lautet der Untertitel zu Prechts Bestseller „Jäger, Hirten, Kritiker“.

    Als möglichen Weg aus diesem digitalen Overkill diskutiert Precht ein bedingungsloses Grundeinkommen von 1500 Euro pro Person. Dem Autor ist klar, dass dieses Geld nicht durch sogenannte Erwerbsarbeit zusammenkommen kann, da diese ja immer weniger wird. Er möchte das Grundeinkommen über eine Finanztransaktionssteuer finanzieren. In den reichen Ländern ließe sich das Grundeinkommen bereits mit einer Mikrosteuer von 0,05 Prozent sicher finanzieren. „Immerhin beträgt das Volumen des weltweiten Derivatehandels mit 600 bis 700 Billionen US-Dollar in etwa das Zehnfache des globalen Bruttoinlandsprodukts!“, rechnet der Philosoph und Publizist vor.

    Dieses Grundeinkommen würde auch zu einer neuen Freiheit des Menschen führen. „Frei zu sein bedeutet, Verantwortung gegenüber sich selbst und anderen zu übernehmen, nicht, sich betreuen zu lassen“, schreibt Precht. „Jäger, Hirten, Kritiker“ steckt voller Denkanstöße. Vieles, was Precht beschreibt und analysiert, ist nicht völlig neu, doch er fasst eine Reihe von Problemfeldern sinnvoll zusammen, die gerade in Medien und Foren diskutiert werden. Precht macht die Gefahren von künstlicher Intelligenz sichtbar, und er warnt vor dem Verlust von menschlichen Eigenschaften wie Fürsorge und Liebe. Nicht zuletzt der Skandal um Facebook und die immer neuen Versuche der Digitalkonzerne, ihre Milliardengewinne kleinzurechnen und so Steuern zu sparen, hat in der Öffentlichkeit zu einem Unwohlsein darüber geführt, ob die fortschreitende Digitalisierung wirklich zum Besten der Menschheit ist, wie Mark Zuckerberg und andere uns glauben machen wollen.

    Besonders scharf kritisiert Precht den wuchernden Datenhandel, in dem Personendaten weiterverkauft werden oder dazu genutzt werden, „mich nach allen Regeln der Kunst kommerziell auszuschlachten“. Er regt an, für unabhängige Suchmaschinen oder ein soziales Netzwerk ein paar Euro im Monat zu zahlen und Google und Facebook zu verbieten, die Daten europäischer Bürger kommerziell zu nutzen. Die EU-Staaten stellten Straßen und Schienen zur Verfügung, garantieren die Energieversorgung, nur eine Infrastruktur im Netz, die Daten der Bürger schützt, gebe es nicht, stellt Precht fest.

    Für den Honorarprofessor an der ­Lüneburger Leuphana Universität ist es höchste Zeit, unser Gesellschaftssystem konsequent zu verändern und in Zukunft selbstbestimmter zu leben.

    Richard David Precht 16.9., 11.00, Laeiszhalle. Restkarten ab 10,- unter T. 0180/601 57 30