Fiona Maye ist Familienrichterin am High Court von London. Sie muss über Fälle entscheiden, in denen es um Macht und Missbrauch, Glaube und Recht, Leben und Tod geht. Doch so hochprofessionell sie ihre Arbeit bewältigt, so hilflos ist sie privat, wenn es gilt, Gefühle zu zeigen. Ein besonders diffiziler Fall bringt sie an ihre Grenzen. Im Roman „Kindeswohl“ erzählt der britische Autor Ian McEwan die Geschichte dieser Fiona Maye. Er hat das Drehbuch verfasst für die Verfilmung von Richard Eyre, der die Gegensätze zwischen Rechtsprechung und zerrütteter Seelenwelt sensibel und dramatisch auf die Leinwand bringt.

Richterin Maye, gespielt von der wunderbaren Emma Thompson, muss gleich zu Beginn darüber richten, ob siamesische Zwillinge getrennt werden dürfen oder nicht. Die Eltern sind dagegen, weil eines der Kinder mit Sicherheit nicht überleben würde. Fiona Maye aber entscheidet für den operativen Eingriff, denn „ein gerettetes Kind ist besser als zwei tote“. Sie richtet nach dem Gesetz und nicht nach der Moral.

Doch zu Hause ist ihre Ehe mit dem Geschichtsprofessor Jack (Stanley Tucci) in der Krise. Er fühlt sich alleingelassen. Er sucht Zuneigung, aber erfährt Ablehnung. Er überrascht Fiona eines Abends mit der Bitte, eine Affäre haben zu dürfen. „Wenn du das tust, ist es aus“, gibt sie zur Antwort. Er tut es trotzdem.

Die private Misere überschattet einen der schwierigsten Fälle, über die die Richterin je zu entscheiden hatte. Es geht um den an Leukämie erkrankten Adam (Fionn Whitehead). Nur eine Bluttransfusion kann sein Leben retten. Der 17-Jährige ist wie seine Eltern überzeugtes Mitglied der Zeugen Jehovas. Sie lehnen den Eingriff ab, „das Blut gehört nicht uns, sondern Gott.“ Doch das Krankenhaus will eine richterliche Verfügung.

Fiona macht sich die Entscheidung nicht leicht. Sie besucht den Jungen im Krankenhaus. Sie reden über Glauben, Leben und Tod. Sie singen gemeinsam, rezitieren Yates-Gedichte. Eine geradezu mütterliche Beziehung beginnt zu reifen. Adam ist fasziniert von seiner Besucherin. Und doch entscheidet sie gegen den Wunsch des noch nicht Volljährigen und für die Bluttransfusion. Er überlebt. Und scheint glücklich über die Entscheidung. Fortan aber sucht Adam Fionas Nähe.

Er verfolgt sie. Er überrascht sie mit dem Wunsch, bei ihr leben zu wollen. Sie versucht, ihn fernzuhalten, wirft ihm vor, sie zu stalken. Die Ablehnung wird ihn zu einer schicksalhaften Entscheidung bringen, die Fionas Leben endgültig aus den Fugen geraten lässt.

„Kindeswohl“ ist ein gefühlsmächtiger, aufwühlender Film, ohne je in Emotionskitsch abzudriften. Er verhandelt die Dinge des Lebens, die eben nicht immer so einfach sind, wie man es gern hätte. Großes, berührendes, bewegendes Schauspieler-Kino.

Kindeswohl GB 2017, 105 Minuten, ab 12 Jahren, Regie: Richard Eyre, Darsteller: Emma Thompson, Stanley Tucci, Fionn Whitehead, täglich im Abaton (OmU), Blankeneser, Passage, Studio (OmU), Zeise