Es ist schon verflixt, das mit den Schablonen im Kopf. Da taucht im Film, der offenkundig vom „Jüdischsein in Berlin“ handelt, zunächst eine vornehm gekleidete Frau, Anfang 60, auf, die einen langen Esstisch festlich eindeckt. Dazu läuft eine Klaviermelodie, die wie das Vorspiel zu Schuberts „Ave Maria“ klingt. Kann das wahr sein? Wäre das nicht ein Affront? Andererseits: Was würde besser passen? Eine Klezmer-Klarinette?

    Mit „Lebenszeichen – Jüdischsein in Berlin“ bedient die kanadisch-deutsche Filmemacherin Alexa Karolinski („Oma & Bella“) keine Klischees und Schablonen. Sie spricht mit Zufallsbekanntschaften, Wissenschaftlern, Freunden und ihrer in Berlin lebenden Familie. Ihr Bruder David singt ihr auf einem Balkon die deutsche Nationalhymne vor, aber nur hier. Er erzählt von der immer wiederkehrenden Frage „Wo kommst du eigentlich her?“ und fragt sich, warum es sich seltsam anfühlt, „Ich bin jüdisch“ zu antworten. Ihre Großmutter tanzt mit ihrem Physiotherapeuten zu einem jiddischen Liebeslied. Zwei französische Touristen schildern unbefangen, was sie inmitten der Stelen des Holocaust-Mahnmals empfinden.

    Ein Berliner Rentnerpaar putzt mehrmals in der Woche das Denkmal „Züge ins Leben – Züge in den Tod“. Der Mann konnte als Kind per Zug Richtung England in Sicherheit gebracht werden.

    So entstand eine Reihe kurzer, sehr persönlicher Porträts. Sie sind so divers wie ihre Protagonisten und doch alle durch den Holocaust verbunden, der seine Schatten auch auf die 1984 geborene Regisseurin wirft. Sie fühlt sich etwa durch die Gestaltung des Portals von Huxleys Neuer Welt in Kreuzberg an das Portal des Vernichtungslagers Auschwitz erinnert, postet einen entsprechenden Kommentar im Internet und lässt den wiederum von einer nicht jüdischen Freundin vor der Kamera kommentieren. Letztlich funktionieren die Bilder aber nach dem offenen Prinzip, mit dem auch die Protagonisten vorgestellt werden.

    Näheres über sie erfährt man nur, wenn man sich Zeit für sie nimmt, Fragen stellt, ins Gespräch kommt. Dieses banale Prinzip macht diese „Lebenszeichen“ zu einer außergewöhnlichen, subtilen und beeindruckenden Erfahrung.

    „Lebenszeichen – Jüdischsein in Berlin“ D 2018, 83 Min., o. A., R: Alexa Karolinski, täglich im Abaton; www.lebenszeichen-film.de/