Andreas Dresen zeichnet im gelungenen Drama „Gundermann“ das Bild eines Mannes voller Widersprüche

    Welch ein Satz, wie aus Trotz gesprochen und doch auch aus innerer Scham. „Ich werde nicht um Verzeihung bitten. Aber ich werde mir selbst nie verzeihen.“ 1992 wurde bekannt, dass Gerhard Gundermann ein inoffizieller Mitarbeiter der Stasi gewesen war. Ausgerechnet der „singende Baggerfahrer aus der Lausitz“, der so was wie der letzte (überzeugte) Sozialist war. Einer, der trotz aller Popularität bis zuletzt nach seinen Konzerten, wenn die anderen Musiker feierten, zu seiner Schicht im Braunkohle-Tagebau fuhr. Einer, der wirklich an die DDR geglaubt hat. Der aber immer offen aussprach, was er dachte, und damit bei der Partei aneckte, die ihn schließlich rauswarf. Ausgerechnet er, der den Bürgern der DDR mit seinen poetischen, melancholischen Liedern aus der Seele sang.

    Ein Leben im Widerspruch. Zehn Jahre hat Andreas Dresen mit seiner Dauer-Co-Autorin Laila Stieler daran getüftelt, wie man die Biografie des 1998 mit nur 43 Jahren allzu früh verstorbenen Liedermachers in einen Film bannen könnte.

    Das Schaufelrad des Baggers wird zur Metapher des Films

    Am Ende wurde der Widerspruch zum Strukturelement: In zwei Zeitebenen wird vom Aufstieg des jungen Musikers (Alexander Scheer) in ­Hoyerswerda von 1975 an erzählt, was auch eine Liebesgeschichte mit Conny (eine Entdeckung: Anna Unterberger) ist, und dann in der zweiten von der Aufdeckung seiner Stasi-Tätigkeit. Die Zuschauer aus dem Osten werden ihr Bild von „Gundi“ überprüfen können, die Zuschauer im Westen so wohl überhaupt erst mit diesem eigenwilligen Liedermacher bekannt gemacht.

    Mit dem Fleischerhemd und den schlabbrigen Klamotten, seiner hageren Statur, leichtem Überbiss, den zu großen Brillen, den strähnigen Haaren, die zum Zopf gebunden sind, und all seinen kleinen Ticks und linkischen Bewegungen mutet dieser Mann wie ein Freak an. Doch wenn er seine ehrlichen Lieder singt, zieht er die Menschen in seinen Bann. Im Führerhaus des Riesenbaggers, der sich in die Landschaft fräst, spricht er seine Texte ins Diktafon. Dabei wird das Schaufelrad des Baggers, das sich ewig durch die Erde wühlt, zur Metapher des Films. Den Verlockungen des fast väterlich wirkenden Stasi-Mannes (Axel Prahl) erliegt Gundermann nur, weil sein Singeclub auch mal in den Westen darf. Und weil er ja wirklich etwas verändern will und immer wieder die Missplanwirtschaft des Betriebs kritisiert. In den Akten steht freilich anderes. Das hat er vergessen oder vergessen wollen. Schweren Herzens macht er sich nun auf, um die aufzuklären, über die er einst Berichte verfasst hat.

    Das führt dann sogar zu komischen Momenten, wenn ein Arbeitskollege (Milan Peschel) erst schockiert ist, dann wütend und schließlich grinsend zugibt, er habe ihn auch bespitzelt. Worüber dann Gundermann schockiert ist. Der IM wurde selbst bespitzelt, trau schau wem! Aber seine Opfer-Akte ist bei der Gauck-Behörde nicht aufzufinden. Und die Einsicht in seine Täter-Akte, die er allen Ernstes fordert, wird ihm verweigert. Die irrwitzige Geschichte eines Mannes, der sich seine Glaubwürdigkeit zurückerkämpfen will.

    Wie Scheer sich diese schräge Figur einverleibt, ist atemberaubend

    Andreas Dresen ist von jeher der treue Chronist des Ostens, der jedes Klischee umschifft. Und nie einen belehrenden Zeigefinger erhebt. Der hier seine widersprüchliche Titelfigur in all seiner Ambivalenz aufzeigt und doch liebenswert macht. Was vor allem auch Alexander Scheer zu verdanken ist. Wie der Haußmann-Eleve und ehemalige Volksbühnen-Star den Gundermann spielt, wie er sich diese schräge Figur einverleibt und dann auch noch dessen Lieder neu interpretiert, das ist absolut atemberaubend.

    Seit seinem Debüt in „Sonnenallee“ hat Scheer immer einen großen Bogen gemacht um Filme, die vom Osten handeln, gerade weil ihm dauernd solche Projekte angeboten wurden. Er hat sich lieber erst am Theater ausgetobt und sich im Film an komplexen Rollen abgearbeitet, auch biografischen, wie zuletzt der Entführer Degowski in „Gladbeck“. Dabei tritt der Schauspieler stets bis zur Unkenntlichkeit hinter seine Figuren zurück.

    Seinen „Gundi“ legt er erst mal sperrig, fast unsympathisch an, um dann nach und nach dessen innere Stärke und Aufbegehren freizulegen. „Ich bin ein Verlierer“, spricht der einmal ins Diktafon. „Ich habe auf das richtige Pferd gesetzt. Aber es hat nicht gewonnen.“

    „Gundermann“ D 2018, 128 Min., o.A., R: An­dreas Dresen, D: Alexander Scheer, Anna Unterberger, Axel Prahl, Milan Peschel, täglich im Abaton, Zeise; www.gundermann-derfilm.de