Berlin.

„Brei? Gibt es bei uns nicht!“ – „Unser Kind wird bis zum Ende des ersten Lebensjahres voll gestillt.“ – „Nach dem vierten Lebensmonat ging es bei uns sofort mit Gläschen los.“ Familien sind sehr unterschiedlich. Und sehr unterschiedlich ist auch, was der Nachwuchs wann zu essen bekommt. Die Reaktionen darauf reichen von „Richtig so!“ bis „Wie könnt ihr nur?“. Was ein Ratgeber propagiert, steht im nächsten anders. Was die letzte Generation als Regel kannte, gilt heute nicht mehr. Babyernährung ist zu einer Art Philosophie geworden.

Maria Flothkötter ist Leiterin des Netzwerks Gesund ins Leben, das als Teil des Bundeszentrums für Ernährung Handlungsempfehlungen entwickelt hat, um frischgebackene Eltern beim gesunden Heranwachsen ihrer Kinder zu unterstützen. „Unser Ziel ist es, Empfehlungen über alle Berufsgruppen und Fachgesellschaften hinweg zu harmonisieren“, so Flothkötter.

Richtiger Zeitpunkt für die Einführung von Beikost

Die Verunsicherung beginnt schon beim Startzeitpunkt, wann es mit der Beikost für Säuglinge losgehen soll – oder besser darf. Flothkötter spricht von einem Zeitfenster, in dem Kinder anfangen, sich für die Beikost zu interessieren, und körperlich in der Lage sind, diese motorisch aufzunehmen und auch zu verdauen. In den offiziellen Broschüren und Unterlagen wird die Einführung der Beikost für die Zeit zwischen Beginn des 5. Lebensmonats und Beginn des 7. Lebensmonats empfohlen – nicht vor dem Alter von 17 Wochen und nicht später als mit 26 Wochen. Das ist eher, als es die Weltgesundheitsorganisation WHO rät: Diese erachtet es als sinnvoll, ein Kind die ersten sechs Lebensmonate voll zu stillen.

Auch Hermann Josef Kahl vom Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte empfiehlt, Säuglinge sechs Monate lang voll zu stillen. Dies sei nach aktuellem Wissensstand das Beste. Wann es dann genau losgeht mit der Beikost, sei variabel, so Kahl.

„Man sollte dabei nicht so sehr auf Zeitpläne achten, sondern auf die Entwicklung jedes einzelnen Kindes“, betont Aleyd von Gartzen vom Deutschen Hebammenverband (DHV), Beauftragte für Stillen und Ernährung. Diese Orientierung am Kind, die individuelle Ausrichtung der Beikost auf dessen Bedürfnisse, ist vermutlich das Wichtigste, was man mit Blick auf die Babyernährung von den Experten mitnehmen kann.

Auch für Kahl sind seine Empfehlungen keine Dogmen, sondern Orientierungshilfen. Nur dass es nicht vor dem fünften Monat mit fester Nahrung losgehen dürfe, sind sich Kahl und von Gartzen einig.

Von Gartzen ermutigt Eltern, sich nicht durch Vorgaben und Ratschläge verunsichern zu lassen: Erfahrungsgemäß werde immer noch zu stark auf das Alter eines Säuglings und zu wenig auf die sogenannten Reifezeichen der Kinder geachtet. Diese sehen die Experten auf Nachfrage aber als entscheidend für die Beikosteinführung an (siehe Infoskasten).

Die Sorge, das Kind würde durch ausschließliches Stillen irgendwann nicht mehr ausreichend mit Nährstoffen versorgt, ist laut von Gartzen in der Regel völlig unbegründet, solange sich die Mutter ausgewogen ernährt und das Kind agil und gesund sei. „Selbst wenn ein gut gedeihendes Kind bis ins zweite Lebensjahr hinein noch kein Interesse an Essen zeigt oder dieses gar verweigert, ist das kein Grund zur Panik“, sagt von Gartzen.

Auch dass ein Kind mit Beikost angeblich besser durchschlafe, sei völliger Quatsch, meint die Hebamme. Gerade am Anfang sei der Kaloriengehalt von Brei deutlich niedriger als der von Muttermilch und diese damit deutlich sättigender. Nur die Verdauung brauche bei fester Nahrung etwas länger.

Was man füttern darf und was nicht

Nicht nur beim Startzeitpunkt, auch bei der Frage, was das Kind wann bekommen darf, können Eltern leicht verunsichert werden: Viele geben ihrem Kind heute keine Eier, Weizenprodukte, Nüsse oder Milch, um es vor Allergien zu schützen. „Das Problem ist, dass sich dies in den Köpfen festgesetzt hat, genauso wie die viel ausgesprochene Empfehlung, aus Gründen der Allergieprävention schon mit Beginn des fünften Lebensmonats mit Beikost zu beginnen“, so von Gartzen.

Aktuellen Studien zufolge kann der Verzicht auf bestimmte Lebensmittel das Risiko für den Ausbruch einer Allergie aber noch erhöhen. Thomas Fuchs, Vizepräsident des Ärzteverbandes Deutscher Allergologen, rät, Kinder so vielfältig zu ernähren wie möglich, um allergische Reaktionen zu verhindern. „Ein Kind sollte essen, worauf es Lust hat, und nicht auf irgendeine Allergiediät gesetzt werden – auch nicht auf eine vermeintlich noch so gute“, erklärt der Göttinger Allergologe.

Auch Flothkötter, Kahl und von Gartzen raten Eltern, von Anfang an Lebensmittel querbeet auszutesten. Nur Zucker und dessen Ersatzstoffe, rohe Lebensmittel, Honig sowie natürlich Alkohol sind laut den Experten tabu. Salz sollte gemieden werden. Auch mit Kuhmilch würde Kahl bis zum ersten Lebensjahr warten. Aus Sicht von von Gartzen kann es damit in geringen Mengen aber getrost früher losgehen.

Brei aus dem Gläschen oder Fingerfood?

Bei der Frage, in welcher Form gefüttert wird, gehen die Meinungen dann jedoch stark auseinander. Für Kinderarzt Kahl ist Brei das Mittel der Wahl, getrost auch fertig aus dem Gläschen. Von dem sogenannten Baby-led Weaning (babygesteuertes Abstillen) hält er nichts. Babys bekommen dabei keinen Brei, sondern nehmen quasi an den Mahlzeiten der Familie teil, essen Fingerfood-Häppchen wie gedünstetes Gemüse. „Das ist nicht physiologisch“, meint Kahl. „Von der Natur ist das nicht so vorgesehen.“ Für ihn ist die Methode eine Modeerscheinung. Aus Sicht des Bundesverbandes der Kinder- und Jugendärzte sei diese Beikost-Methode zu gefährlich, das Risiko, dass sich Babys an Stückchen verschlucken, zu groß.

DHV-Beauftragte von Gartzen sieht die Methode dagegen positiv: Beim Baby-led Weaning dürfe das Kind selbst essen und werde so nicht nur motorisch, sondern auch in seiner Selbstständigkeit gefördert. Dabei sollte aber auf die Form der Lebensmittel geachtet werden: Dinge mit „großem Verschluckpotenzial“ sollten laut von Gartzen gemieden werden – also beispielsweise Nüsse, ganze Weintrauben, harte Karotten-Stücke oder Salatblätter, die das Kind nicht mit dem Kiefer zerdrücken kann. „Und egal ob Brei oder Häppchen, das Baby sollte immer im Sitzen essen.“

Flothkötter vom Netzwerk Gesund ins Leben findet die Idee hinter Baby-led Weaning gut, sieht aber auch Vorteile in der Breifütterung. Ideal sei eine Kombination – wenn das Kind zusätzlich zu den Breimahlzeiten am Familientisch mitessen könne. Wichtig sei, dass Babys in keinem Falle überfüttert werden. Genau wie beim Beikoststart solle man auch hier die Signale des Nachwuchses ernst nehmen, so die Experten, selbst wenn mal kaum etwas gegessen werde.

Sie raten außerdem, neben der Beikost das Kind weiter zu stillen. „Ein Baby ist im ersten Lebensjahr ein Säugling“, sagt von Gartzen. „Es sollte also auch saugen können – im Idealfall an der Brust.“ Zu schnell von der flüssigen Milchnahrung auf eine komplett andere Nahrung umzustellen, komme ihr falsch vor, auch wenn das Kind dies im Einzelfall tolerieren könne – oder es auf Drängen der Eltern müsse. Von Gartzen hält es für eine totale Überforderung des Verdauungssystems.