Genua.

Innerhalb weniger Sekunden kann sich ein ganz normaler Tag in einen Albtraum verwandeln. „Ich war hier um die Ecke im Sportgeschäft einkaufen. Da war einfach nichts mehr. Das ist doch wirklich unglaublich, wie im Film“, sagt Anwohner Gianni. Einen Tag nach dem Brückeneinsturz in Genua ist er am Mittwoch wieder zur Unglücksstelle gekommen. Viel mehr als die Trümmerberge ist nicht zu sehen, das Gebiet ist abgeriegelt.

Am Tag nach dem Unglück schwankt die Stadt zwischen Fassungslosigkeit, Trauer und Wut. Während die Bürger von Genua sich fragen, wie es zum Einsturz der 40 Meter hohen Autobahnbrücke kommen konnte, suchen Rettungskräfte fieberhaft weiter nach Überlebenden. Die Hoffnung sinkt jedoch von Stunde zu Stunde.

Die Zahl der Toten stieg auf mindestens 40, darunter drei Kinder im Alter von acht, zwölf und 13 Jahren. Die Behörden gehen derweil davon aus, die Opferbilanz könne weiter steigen. Die Hoffnung, noch Überlebende in den Trümmern der Brücke zu finden, sinkt minütlich. „Aber wir geben die Hoffnung nie auf, sonst könnten wir nicht helfen“, betont Lucia Mortara vom italienischen Katastrophenschutz.

Das Unglück löste eine Welle der Solidarität vor allem unter den Bürgern von Genua aus. An den Krankenhäusern der Hafenstadt am Fuß der Alpen bildeten sich lange Schlangen von Menschen, die Blut für die Verletzten spenden wollen. Gleichzeitig stellten lokale Unternehmer Sachspenden zur Verfügung. Die Regierung rief einen zwölfmonatigen Notstand für die Stadt aus.

Staatspräsident Sergio Mattarella mahnte, keine zuständige Behörde werde sich ihrer Verantwortung entziehen können. „Die Italiener haben ein Anrecht auf moderne und funktionierende Infrastrukturen, die unter Bedingungen der Sicherheit den Alltag begleiten.“ Unter Anspielung auf unzureichende staatliche Kontrollen der privaten Autobahnbetreiber forderte er zugleich verstärkte Überwachung und Prävention. Infrastrukturminister Danilo Toninelli von der Anti-Establishment-Partei Fünf Sterne machte die Verantwortlichen dagegen allein beim Betreiber Autostrade per l’Italia aus. „In einem zivilisierten und modernen Land wie Italien dürfen sich solche Tragödien nicht ereignen“, sagte der Minister. Er kündigte an, die Verantwortlichen würden zur Rechenschaft gezogen. Dazu gehöre auch ein Entzug der Konzession. Toninellis Parteikollege, Vize-Ministerpräsident Luigi Di Maio, drohte dem Autobahnbetreiber mit einer Geldbuße in Höhe von bis zu 150 Millionen Euro.

Europäische Union wird mitverantwortlich gemacht

Innenminister Matteo Salvini von der rechtsnationalistischen Lega hatte bereits wenige Stunden nach dem Unglück die Europäische Union für den Einsturz verantwortlich gemacht. Sie verhindere nötige Investitionen in den Erhalt der Infrastruktur. Bereits vor neun Jahren war nach einer Studie ein Abriss der Brücke vorgeschlagen worden. Denn schon unmittelbar nach der Einweihung von 1967 stellte sich heraus, dass die Konstruktion aus Stahl und Beton stark unter Witterungseinflüssen litt.

Auch die Italiener haben nach dem Schock ihre Sprache wiedergefunden. „Es gab immer, immer Bauarbeiten. Immer. Nachts, tagsüber, sie haben immer ausgebessert“, sagt eine Frau namens Irina. Die Umstehenden nicken zustimmend. „Leider ist es trotzdem passiert“, sagt der 22 Jahre alte Dario. Genua sei nach dem Unglück wie „in zwei Teile geteilt“, berichtet Anwohner Francesco Bucchieri: „Es ist wie in einem Horrorfilm, wir wissen immer noch nicht, ob das Wirklichkeit ist oder eine Fantasie“, so der Rentner.