Athen.

Ministerpräsident Alexis Tsipras spricht von einer „unbeschreiblichen Tragödie“, ruft eine dreitägige Staatstrauer aus. Es sind Versuche, für das Unfassbare Worte zu finden. Feuerstürme fegten durch dicht bewaldete Vororte im Osten und Westen Athens. Mehr als 70 Menschen starben in dem Inferno in der griechischen Hauptstadtprovinz Attika, Hunderte Häuser wurden eingeäschert. Möglicherweise war Brandstiftung im Spiel. „Keine Frage wird unbeantwortet bleiben“, verspricht Tsipras.

Mati war noch am Montagmorgen ein lebhafter Badeort 30 Kilometer östlich von Athen: Villen und Wochenendhäuser zwischen grünen Pinien, am Strand Hotels, Bars und Tavernen, ein malerischer Hafen für die Fischerboote und Segelyachten. Vor allem Athener verbringen in dieser Idylle gern die Wochenenden. In der Nacht zum Dienstag aber raste ein Feuersturm durch den Ort. Luftaufnahmen zeigten am Morgen das Ausmaß der Zerstörung: schwarze Baumgerippe zwischen schwelenden Ruinen, die Straßen voller ausgeglühter Autowracks. „Mati existiert nicht mehr“, sagt im Fernsehen eine Anwohnerin, die sich retten konnte.

Das Feuer war am Montagnachmittag bei der Ortschaft Neos Voutsas am Osthang des Penteli-Bergmassivs ausgebrochen. Heftige Westwinde ließen die einzelnen Brandherde schnell zu einer riesigen Feuerwalze anwachsen. „Zwei Stunden haben wir vergeblich auf die Feuerwehr gewartet, während die Feuerwand immer näher kam“, berichtet Stefanos Varlamis. Dann ergriff der Familienvater mit seiner Frau und zwei Kindern die Flucht vor den Flammen. „Unser Haus ist abgebrannt, aber wir haben wenigstens unser Leben gerettet“, sagt der 43-Jährige.

Bewohner versuchten,sich an die Küsten zu retten

Mindestens 70 Menschen kamen in der Flammenhölle ums Leben, so die Angaben vom Dienstagnachmittag. Zwar konnten die meisten Feuer am Dienstag unter Kontrolle gebracht werden. Aber noch sind nicht alle ausgebrannten Häuser durchsucht. Viele Menschen versuchten, in ihren Autos dem Inferno zu entkommen. Andere liefen zu Fuß um ihr Leben – und fanden den Tod. Bei Tagesanbruch entdeckten Feuerwehrleute auf einem abgebrannten Feld 25 Leichen. Die Menschen, darunter Frauen und Kinder, hatten offenbar versucht, vor dem Feuer ans Meer zu flüchten. Nur 30 Meter vor dem rettenden Ufer wurden sie vom Rauch und den Flammen überwältigt. Viele von ihnen hielten sich umarmt. „Es war ein erschütternder Anblick“, berichtet ein Helfer unter Tränen.

Andere schafften es bis ans Meer. Ausflugsschiffe und Fischerboote brachten im Laufe der Nacht mehr als 700 Menschen von den Stränden in Sicherheit. Kriegsschiffe kreuzten vor der Küste, um Überlebende aufzunehmen. Rettungshubschrauber kreisten über dem Meer und suchten mit starken Scheinwerfern die Wasseroberfläche ab. Die Überlebenden wurden zur Hafenstadt Rafina gebracht, wo zahllose Menschen verzweifelt Ausschau nach Angehörigen hielten.

Über die Brandursache gibt es noch keine gesicherten Erkenntnisse. Aber Anwohner berichten, die Flammen seien an einem Dutzend Brandherden fast gleichzeitig aufgelodert. Das könnte auf Brandstiftung hindeuten. In Griechenland kommt es häufig vor, dass Grundstücksspekulanten versuchen, mit einer Lunte „wertloses“ Waldland in Baugrund zu verwandeln.

Die Tragödie zeigt einmal mehr schwere Versäumnisse. Es gibt kein flächendeckendes Netz freiwilliger oder kommunaler Feuerwehren. Dieser Mangel zeigte sich schon während der verheerenden Waldbrände auf dem Peloponnes 2007. Damals kamen 73 Menschen um. Dennoch ist seither so gut wie nichts geschehen, um die Brandbekämpfung besser zu organisieren.

Ein weiteres Problem ist die unzureichende technische Ausstattung der Feuerwehren. Wegen der Finanzkrise hat der Staat in den vergangenen Jahren viel zu wenig Geld investiert. Auch die Flotte der Löschflugzeuge ist überaltert. Ministerpräsident Alexis Tsipras kündigte zwar mehrfach die Beschaffung neuer Maschinen an, geworden ist daraus aber nichts.