Berlin.

Es ist ein Desaster fürs Ansehen der Wissenschaft: Tausende Wissenschaftler deutscher Hochschulen, Institute und Bundesbehörden haben Recherchen zufolge ihre Forschungsergebnisse in unseriösen Online-Fachzeitschriften pseudowissenschaftlicher Verlage publiziert. Und das bezahlt offenbar auch mit Steuergeldern, die in die Spitzenforschung fließen sollten. Diese Verlage missachteten die grundlegenden Regeln der wissenschaftlichen Qualitätssicherung, berichten NDR, WDR und das „Süddeutsche Zeitung Magazin“.

Eigentlich gilt: Was in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift veröffentlicht wird, unterläuft zuvor im sogenannten Peer-Review-Verfahren einer Art Qualitätsprüfung – nur dann erhält es das Gütesiegel der Wissenschaft. Andere Wissenschaftler desselben Fachbereichs prüfen die bei einer Zeitschrift eingereichte Studie samt den Ergebnissen auf Validität wie auch auf Publikationswürdigkeit: Sind diese Erkenntnisse eigentlich neu?

In pseudowissenschaftlichen Journalen jedoch finde diese Überprüfung nicht statt, kritisiert der Rechercheverbund. Die Autoren kommen zu dem Schluss: Dort könne offenbar jeder veröffentlichen, was er will. Ob die Autoren Wissenschaftler seien, sei ebenso unwichtig, wie die Nachvollziehbarkeit der Forschungsergebnisse.

„Raubverlage“ nutzen den Publikationsdruck aus

„Raubverlage“ nennt sich das Phänomen. Diese veröffentlichen sogenannte Predatory Journals – Raubzeitschriften. Sie schreiben Mitarbeiter von Forschungseinrichtungen an, um ihnen gegen Geld eine Publikationsmöglichkeit anzubieten. Sie geben sich seriös und sind mitunter selbst für Experten schwer zu erkennen. Je mehr die Verlage veröffentlichen, desto mehr verdienen sie. Manche von ihnen haben Hunderte Zeitschriften im Angebot.

Die Masche, so beschreibt es die „Süddeutsche Zeitung“, funktioniere am Ende so: „Binnen weniger Tage veröffentlichen die Journale die Beiträge der Forscher, oft ohne nennenswerte Prüfung der Inhalte.“ Der Rechercheverbund nennt Beispiele. Forscher veröffentlichen ihre Ergebnisse gegen Zahlung teilweise hoher Gebühren etwa in Internet-Journalen, die von Unternehmen in Südasien, der Golfregion, Afrika oder der Türkei herausgegeben werden. Die Firmen würden zwar behaupten, die Forschungsergebnisse anderen Wissenschaftlern zur Prüfung vorzulegen, den Recherchen zufolge geschehe dies jedoch meist nicht.

Die Folge: Oft würden fragwürdige Studien mit scheinbar wissenschaftlichem Gütesiegel an die Öffentlichkeit gelangen und so auch in die Fußnoten wissenschaftlicher Arbeiten einfließen. Mögliche Beispiele: Klimawandelskeptiker oder Pharmafirmen könnten so ungeprüfte Studien publizieren.

Neu ist das Phänomen der Raubverlage nicht. Deutsche Hochschulen und Forschungsgesellschaften haben bereits mehrfach davor gewarnt. Neu sei jedoch das rasant steigende Ausmaß. So habe sich die Zahl solcher Publikationen bei fünf der größten unseriösen Verlage den Recherchen zufolge seit 2013 weltweit verdreifacht, in Deutschland sogar verfünffacht, schreiben die Autoren. Weltweit hätten 400.000 Forscher in wertlosen Online-Fachzeitschriften publiziert.

In Deutschland seien es allein mehr als 5000 Forscher, die mindestens einmal in einer solchen Zeitschrift abgedruckt worden seien, heißt es weiter. Das beträfe nach Recherchen des Science Media Centers rund 1,3 Prozent des wissenschaftlichen Personals an deutschen Hochschulen.

Unter anderem sollen Mitarbeiter der Helmholtz-Gemeinschaft, der Fraunhofer-Institute, der Universität Hannover sowie ein Nobelpreisträger Beiträge veröffentlicht haben. In Nordrhein-Westfalen sei ausgerechnet die RWTH Aachen mit rund 50 Beiträgen bei „Fake-Verlagen“ am häufigsten vertreten, berichtet der WDR. Pikant: Als größte Universität für technische Studiengänge in Deutschland bekommt die RWTH seit Jahren besondere Fördermittel von Bund und Ländern in Millionenhöhe. Eine Studie muss allerdings nicht unbedingt wertlos sein, nur weil sie in einer Raubzeitschrift erscheint.

Ein mögliches Motiv der Wissenschaftler: der Publikationsdruck, der auf ihnen lastet. Wer viele Artikel in Fachzeitschriften vorweisen kann, steigert sein Prestige – und damit auch die Chance auf Forschungsgelder, eine Anstellung oder die Einladung zu einem Vortrag auf einer Fachkonferenz. Manche Wissenschaftler würden ihre Ergebnisse unwissentlich in den „Fake-Journalen“ veröffentlichen, andere wissentlich: Offenbar hätten Autoren gezielt die Dienste solcher Verlage genutzt, um Forschungsbeiträge schnell zu publizieren, ohne sich der Kritik von Kollegen zu stellen, heißt es. Hinter Veröffentlichungen in solchen Journalen können aber auch finanzielle Interessen stehen – etwa wenn eine Studie die Heilkraft eines Präparats gegen eine Krankheit belegen soll. Dann können Unternehmen das Produkt mit Hinweis auf wissenschaftliche Erkenntnisse bewerben.

Forschungsministerin fordert „gründliche Untersuchung“

Die Recherchen zu den scheinwissenschaftlichen Verlagen schlugen am Donnerstag in Berlin hohe Wellen. Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) verlangte eine gründliche Untersuchung der Fehlentwicklungen bei wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Dies sei „im Interesse der Wissenschaft selbst“, erklärte sie. Die Ministerin fügte aber hinzu: „Mir ist wichtig, dass es nicht zu vorschnellen Verurteilungen Einzelner kommt. Die überwältigende Mehrheit der Wissenschaftler in Deutschland arbeitet nach den Grundsätzen guter wissenschaftlicher Praxis.“ Karliczek sprach sich dafür aus, jeden Fall zu untersuchen.

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft wollte die Berichte nicht kommentieren. Man setze sich mit solchen Entwicklungen derzeit im Rahmen der Überarbeitung der „Empfehlungen zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis“ auseinander.