Die Seestadt Bremerhaven poliert ihr Image auf und hat dafür einiges rund ums Thema Fisch zu bieten

    „Moin!“, begrüßt mich Michael Stoike – so, wie es für einen Küstenbewohner typisch ist. „Einmal nach oben?“ Ja, genau. Ich möchte auf den Radarturm, um mir Bremerhaven aus der Luft anzugucken. Der Himmel ist wolkenlos und tiefblau, und zwar von der Farbe, wie sie nur ein Himmel über dem Meer haben kann. Kein Dunst stört. Klare Sicht auf der einen Seite bis Butjadingen, auf der anderen Seite bis zur Nordsee. Trotzdem verirren sich heute nur wenige Touristen zum Turm, sagt der Radarturmwärter. Wir kommen schnell ins Gespräch. Nordlichter halt. Die Leute von der Küste verstehen sich, ist seine Erfahrung. Aber eine Frage hätte er dann noch, bevor er mich auf die Aussichtsplattform entlässt: Warum fährt einer aus Hamburg nach Bremerhaven?

    Rückblick, zwei Tage vorher. Hafenrundfahrt mit der „Dorsch“. Eineinhalb Stunden geht es mit Käpt’n Harry und rund 50 anderen Fahrgästen durch den Fischereihafen Bremerhaven. Launig unterhält Harry die bunt gemischte Passagiergruppe, erzählt von seiner Laufbahn als Kapitän großer Containerschiffe, vom Leben auf dem Meer und von dem Hafen, durch den wir fahren und der mit einigen Superlativen belegt ist: Es ist der größte Fischereihafen Europas, der größte Seehafen Deutschlands sowie der zweitgrößte Auto-Umschlagplatz Europas. Der Hafen hat einst die Stadt begründet und für ihren ­wirtschaftlichen Aufschwung gesorgt, später dann durch drastischen Rückgang der Fischfangflotten für ihren ­Status als Stadt mit der höchsten Arbeitslosenquote deutscher Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern. Ein Ruf, der ihr nachhängt.

    Marode Hafenromantik und Leuchtturm-Idylle

    Leer stehende Lagerhallen und Kräne zeugen von der Zeit, als hier noch aktiv Schiffbau betrieben wurde. Heute gibt es nur noch eine einzige Werft mit vier Schwimmdocks, in denen Reparaturen durchgeführt werden. Hier liegt unter anderem an diesem Tag die „Midnatsol“, ein Schiff der Hurtigruten, sowie gut versteckt unter vielen Tüchern das Segelschulschiff „Gorch Fock“, das für rund 135 Millionen Euro rundum erneuert wird.

    Ein optischer Höhepunkt dieser Barkassentour liegt abseits der Werft an der Kaimauer: die dunkelblaue hochglanzpolierte Luxusyacht „Ulysses“ eines neuseeländischen Milliardärs mit einer Länge von 116 Metern und 18 Metern Breite. Sie wird gerade von einem Schiffsausstatter ausstaffiert mit viel Pomp und Protz, neugierig verfolgt von den Einwohnern.

    „In Bremerhaven tut sich einiges“, sagt Harry. Eigentlich recht viel, schiebt er nach. Zwar sei die Arbeitslosenquote noch immer hoch, aber die Stadt ist ­sowohl wirtschaftlich als auch touristisch in Bewegung und ist durch ihre Geschichte und geografische Lage ­immer mehr ein Schwerpunkt maritimer Unternehmen. „Eine Reihe von ­Firmen hat sich hier niedergelassen!“, erklärt Harry und zeigt auf verschiedene moderne Gebäude, die alle mit Fischfang und dem Meer zu tun haben, von der ­Segelmacherei bis zum Forschungszentrum für Windkraft und dem Alfred-Wegener-Institut für Meeresforschung, das von hier aus weltweite Klima­forschung betreibt. Erst kürzlich dazugekommen sind die beiden Thünen-Institute für Seefischerei und für Fischereiökologie. Schon lange da sind Nordsee, Frosta und Iglo, die hier täglich bis zu 13 Millionen Fischstäbchen in einer gläsernen Fabrik herstellen.

    Plötzlich in all der teils maroden Hafenromantik ein grünes Idyll und mittenmang der Leuchtturm Brinkamahof. 1980 wurde er von seinem Standort auf dem Wurster Watt sechs Kilometer nördlich der Stadt zur Marina der Nordsee-Yachting versetzt, wo er seit mehr als 25 Jahren als Wahrzeichen und gemütliche Gaststätte dient, versehen mit dem Siegel der kleinsten Kneipe der Stadt – und einen Abstecher wert.

    So eine Hafenrundfahrt macht hungrig. Da bietet sich ein Bummel über die Kultur- und Schlemmermeile ­Schaufenster Fischereihafen an, die im alten Teil des Hafens aus einer ehemaligen Packhalle entstanden ist und eine breite Vielfalt an Restaurants, gemütlichen Kneipen und Souvenirshops bietet. Gegenüber kann man im Fischbahnhof in die Welt der Meeresbewohner eintauchen oder ein Haus weiter die Räucherei Franke besuchen, die, 1924 gegründet, noch heute in sogenannten Altonaer Öfen über Buchenholz räuchert. Allein der Duft ist unwiderstehlich, auch geschmacklich ist der Fisch eine Delikatesse.

    Und wenn man schon mal hier ist, kann man doch gleich noch den letzten deutschen Seitentrawler „Gera“ besichtigen, der 1990 für eine D-Mark von der Stadt gekauft worden ist und seitdem im Hafenbecken liegt. Er bietet mit Originalausstattung einen spannenden Einblick in das harte Leben der Fischer. Dahinter schaukelt das Kartoffelschiff „Hansa“ im Wasser, ein ehemaliger Schlepper der Nationalen Volksarmee, der von Arbeitslosen auf Vordermann gebracht und umgebaut wurde. Heute kann man dort ab 9 Uhr frühstücken oder bis 21.30 Uhr zu Abend ­essen und hat einen wunderschönen Rundumblick auf das Schaufenster Fischereihafen.

    Touristen bleiben häufiger ein ganzes Wochenende

    Das zweite, weitaus bekanntere touristische Zentrum Bremerhavens sind die ­Havenwelten. Die Entwicklung dieses exklusiven Standorts direkt am Weserdeich begann mit dem Zoo am Meer, der in diesem Jahr seinen 90. Geburtstag feiert, sowie dem Schifffahrtsmuseum, das 1975 eröffnet worden ist. Zurzeit wird es umgebaut, um dann als Leibniz-Institut seine Forschungsarbeit mit dem neuen Ausstellungsprogramm „Mensch und Meer“ für das Publikum sichtbar zu machen. Zu den Havenwelten gehören ferner das Klimahaus sowie das Auswandererhaus. Während man im Klimahaus entlang des 8. Längengrads auf Weltreise geht und die Klimazonen der Erde hautnah erleben kann, verfolgt man im Auswandererhaus die Geschichte der Menschen, die im 19. und 20. Jahrhundert millionenfach in Bremerhaven das Land verließen, um in Amerika ein neues Leben zu beginnen.

    Kamen eine Zeit lang vorwiegend Tagesgäste, bleiben immer mehr Touristen ein Wochenende. Die Stadt stellt sich darauf ein: Viele Hotels sind renoviert, neue wie das Atlantic Hotel Sail City sowie das The Liberty kamen ­hinzu. Dazu gibt es ein buntes Veranstaltungs­programm. Höhepunkte sind das Leuchtturmfest vom 27. bis 29. Juli am Neuen Hafen mit einem ­maritimen Flohmarkt, Livemusik und einem Winzerfest. Vom 17. bis 19. August laden die Schippertage zu einem Treffen alter Plattbodenschiffe. Einlauf der Boote aus Holland und Ostfriesland ist am Freitag, 17. August, ab 15 Uhr.

    Warum also sollte man von Hamburg nach Bremerhaven fahren? Weil die Stadt viel näher am Meer liegt und man das Salz mit der Luft einatmen kann. Weil sie auf kleinem Raum all das bietet, was Fans maritimer Lebensart lieben – vom Fischbrötchen am Deich bis zur U-Boot-Besichtigung im Museumshafen. Und weil sie mit viel Engagement an einem neuen Image arbeitet, das sie auch verdient.