Karlsruhe.

Die Eltern des toten Mädchens fanden harte Worte für Facebook: Als „unbegreiflich und mehr als bitter“ bezeichneten sie es bei einem ihrer letzten öffentlichen Auftritte, dass Facebook ausgerechnet mit diesem Fall Rechtsgeschichte schreiben will. Doch fünfeinhalb Jahre nach dem Tod ihrer Tochter haben sie sich gegen den US-Konzern durchgesetzt: Als Erben bekommen sie Zugang zum Nutzerkonto des Mädchens, entschieden die höchsten deutschen Zivilrichter des Bundesgerichtshofes (BGH) am Donnerstag.

Von dem juristisch hart erkämpftem Sieg erhoffen sich die Eltern Aufklärung über die Todesumstände ihrer Tochter. 2012 war die damals 15-Jährige in Berlin von einer U-Bahn erfasst worden und gestorben. War es Suizid? Oder ein tragischer Unglücksfall? Die letzte Möglichkeit der Eltern, mehr über den Zustand ihrer Tochter kurz vor ihrem Tod zu erfahren, ist ihr Facebook-Konto. Die Eltern kannten ihr Passwort, doch das Netzwerk hatte das Konto schon auf den „Gedenkzustand“ geschaltet. Sobald das Netzwerk vom Tod eines Mitglieds erfährt, kann es das Profil „einfrieren“. Der US-Konzern argumentierte, die Freunde des Mädchens hätten darauf vertraut, dass die Nachrichten privat blieben. Die Chats waren somit für die Eltern nicht mehr einsehbar.

Briefe und Tagebücher fallen nach dem Tod den Erben zu. Doch gilt das auch für E-Mails, Chatverläufe oder digitale Fotos? Bisher hatte die Jurisprudenz keine eindeutige Antwort darauf. Ulrich Herrmann, Vorsitzender Richter am BGH, sagte in seiner kurzen Urteilsbegründung, es bestehe kein Grund, digitale Inhalte anders zu behandeln. Das Konto in einem sozialen Netzwerk gehe genauso auf die Erben über wie Briefe. Der Anspruch auf das digitale Erbe verstoße auch nicht gegen den Datenschutz. Das Urteil ist rechtskräftig. Ein Sprecher von Facebook ließ am Donnerstag mitteilen, dass das Unternehmen mit der Familie fühle. „Das Abwägen zwischen den Wünschen von Angehörigen und dem Schutz der Privatsphäre Dritter ist eine der schwierigsten Fragen“, sagte er. „Gleichzeitig müssen wir sicherstellen, dass der persönliche Austausch zwischen Menschen auf Facebook geschützt ist.“ Das Ergebnis zeige, wie komplex der jetzt in Karlsruhe verhandelte Sachverhalt sei.

Der Umgang mit dem digitalen Erbe ist umstritten

Erst im Mai 2017 waren die Eltern vor dem Kammergericht in Berlin gescheitert. Am Donnerstag blieben sie der Urteilsverkündung am Bundesgerichtshof fern. Dennoch haben sie Rechtsgeschichte geschrieben – andere Hinterbliebene können sich nun auf ihren Fall beziehen. Wann Facebook das Nutzerkonto, um das knapp sechs Jahre gestritten worden ist, freischaltet, ist offen.