Berlin.

Man könnte es als symptomatisch bezeichnen, dass der Bus ausgerechnet an diesem Tag auf dem Hotelparkplatz beim Manövrieren stecken bleibt. Erst eine halbe Stunde später geht’s weiter. Im Bus sitzen Wissenschaftsjournalisten aus ganz Europa, die die europäische Raumfahrtbehörde Esa ins französische Toulouse getrommelt hat. Dort, in der Entwicklungsschmiede von Airbus Space and Defense, ist ihr zufolge ein „bahnbrechender“ Satellit entstanden: Er soll in einer Umlaufbahn von rund 320 Kilometern Höhe drei Jahre lang Winde und Windgeschwindigkeiten messen sowie Daten über die Umweltverschmutzung der Atmosphäre liefern. Das soll helfen, Wetterberichte zu verbessern, und der Klimaforschung wichtige Daten liefern.

Massive Probleme, um Laser All-tauglich zu machen

Allerdings hatten massive technische Probleme die Entwicklung von Aeolus, benannt nach dem griechischen Gott der Winde, immer wieder verzögert. Nun ist er – nach 16 Jahren – fertig und soll am 21. August ins All befördert werden. Eine halbe Stunde Warten sind da Peanuts. Josef Aschbacher, Direktor des Erdbeobachtungsprogramms der Esa, freut sich jedenfalls „riesig über das Durchhaltevermögen des Teams und der Mitgliederländer, um das Unmögliche möglich zu machen“, wie er den Journalisten erklärt.

Eigenes Schulterklopfen gibt es an diesem Tag oft. Aschbacher sagt, dass selbst die US-Weltraumbehörde Nasa an der Entwicklung eines solchen Satelliten gescheitert ist. Dabei geht es um den Inhalt: Der 1,33 Tonnen schwere, von Airbus gebaute Satellit trägt als einzige Nutzlast die „Wunderlampe“ Aladin (Atmospheric Laser Doppler Instrument), bestehend aus einem Laser und einem Spiegelteleskop mit 1,5 Metern Durchmesser.

Die Methode basiert auf dem sogenannten Lidar-Prinzip (Light Detection and Ranging), also der Messung von Entfernungen oder Luftströmungen mit Hilfe von Licht – in diesem Fall UV-Licht. Die Technik ist bekannt, sie wird etwa bei Tempokontrollen, im Bau- und Vermessungswesen und auch in der Windenergiebranche verwendet, um Windräder optimal einzustellen. „Es ist aber das erste Mal, dass ein solches System im Weltraum verwendet werden soll“, sagt Aschbacher.

Das Prinzip: Aladin schickt kurze Lichtpulse zur Erdoberfläche. Das Teleskop sammelt die von Wolken- und Staubteilchen in der Atmosphäre zurückgeworfenen Signale wieder ein. Aus den Laufzeiten der in der Atmosphäre reflektierten Strahlung berechnet sich die Distanz, aus der Bewegung des Satelliten und der Partikel lassen sich Windgeschwindigkeiten in unterschiedlichen Höhen bestimmen. Den Experten zufolge werden dadurch erstmals globale Windprofile ermöglicht.

Anders Elfving, dritter Projektmanager in 16 Jahren, spricht von großen Problemen, das System All-tauglich zu machen: Für die Signalerzeugung seien Kristalle besonderer Reinheit nötig gewesen, die man erst nach langer Suche in Russland aufgestöbert habe. Im Vakuum zerstörte der UV-Laser dann immer wieder die Beschichtung des Teleskops. Eine Lösung dafür zu finden, die zumindest für die beabsichtigte Laufzeit von drei Jahren halten soll, sei schwierig gewesen: „Der Produktionsaufwand für jede neue Beschichtung ist enorm und Tests sind zeitfressend, weil die Haltbarkeit über einen langen Zeitraum ermittelt werden musste“, so Elfving. Dafür mussten gleichzeitig ein annäherndes Vakuum und die Temperaturverhältnisse im All nachgebildet sowie die Messungen abgebildet werden. Es habe Rückschläge gegeben, da habe man schon nicht mehr daran geglaubt, Lösungen zu finden, räumen die Projektverantwortlichen ein.

Die Kosten belaufen sich nun auf 481 Millionen Euro, beim Projektstart war man von 300 Millionen ausgegangen. Dies sei aber keine exorbitante Steigerung, sagt der Direktor der Erdbeobachtungsprogramme, bei dem es oft um Milliardenbudgets geht. Elf Satelliten vermessen unter Aschbachers Obhut die Welt, 28 sind im Bau.

Immerhin: Das internationale Interesse an Aeolus ist groß. Nicht nur Wetterdienste und Windindustrie, auch Landwirtschaft, Baugewerbe, Versicherungen, Luftfahrt oder Katastrophenschutz hoffen, dass der Pionier-Satellit aus Europa gute Daten liefert. „Auch der Normalbürger wird spüren, dass die Wettervorhersage deutlich besser wird“, erklärt Aschbacher später im sogenannten Reinraum, wo die Journalisten den Satelliten ausnahmsweise aus der Nähe sehen und filmen können.

Bislang mussten sich Wetterdienste auf vergleichsweise wenige Winddaten verlassen. Für weite Teile der Erde gibt es weder Bodenstationen noch Wetterballons, auch Messflugzeuge und -schiffe können die Daten nur auf wenigen Strecken erfassen. Besonders der afrikanische Kontinent sowie Arktis und Antarktis sind kaum abgedeckt. Aber gerade zwischen Subtropen und subpolaren Breiten entstehen viele Extremwetter – etwa Orkane, die wie „Kyrill“ (2007) oder „Friederike“ im vergangenen Januar hohe Schäden auch in Deutschland verursachen.

„Das Fehlen globaler Windprofile ist die wichtigste Lücke, die wir mit Aeolus füllen, um die numerische Wettervorhersage zu verbessern“, sagte Florence Rabier, Generaldirektorin des Europäischen Zentrums für mittelfristige Wettervorhersage (EZMW) dem britischen Nachrichtensender BBC. „Wir haben sehr hohe Erwartungen bezüglich der Datenqualität.“ Die umfassenderen Aeolus-Daten sollen auch Klimaforschern helfen, die Dynamik der Erdatmosphäre besser zu verstehen – etwa bei der Entstehung von Hurrikanen. Klimaexperte Mojib Latif vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel schränkt gegenüber dieser Redaktion aber ein: „Das Wetter ist chaotisch, für die Erkennung menschlicher Einflüsse bedarf es Messungen über viele Jahrzehnte.“

Aeolus geht allerdings schon nach drei Jahren die Puste aus. Die Esa hofft, dass er Wegbereiter für weitere Modelle seiner Art wird. Doch jetzt muss sich der Satellit erst mal beweisen. Am 21. August wird er mit einer Vega-Rakete von Französisch-Guayana ins All geschossen. Den Transport dorthin übernimmt erstmals ein Schiff von Airbus. Die Gefahr, dass die empfindliche Fracht bei einem Druckabfall im Flugzeug beschädigt werden könnte, sei zu hoch.

Künftig wird Aeolus die Erde dann täglich 15-mal umkreisen. Schon bald soll er die ersten Daten liefern. Wenn alles klappt.