London.

In England schrillen erneut die Alarmglocken. Im Krankenhaus von Salisbury befinden sich ein Mann und eine Frau in einem kritischen Zustand, nachdem sie, wie die Polizei mitteilte, „mit einer unbekannten Substanz“ in Berührung kamen. Die britische Terrorabwehr von Scotland Yard hat sich in die Ermittlungen eingeschaltet, weil der Fall an einen anderen erinnert: Anfang März waren der ehemalige russische Doppelagent Sergei Skripal und seine Tochter Julia bewusstlos auf einer Parkbank in Salisbury gefunden worden. Man hatte sie mit dem Nervenkampfstoff Nowitschok vergiftet. Nachdem die britische Regierung Russland für den Anschlag verantwortlich gemacht hatte, war es zu einer diplomatischen Krise gekommen, in die auch die USA und Deutschland involviert waren. Die Skripals leben inzwischen an einem geheimen Ort.

Die Polizei der südenglischen Grafschaft Wiltshire erklärte den jüngsten Vorfall für schwerwiegend und sperrte eine Reihe von Arealen in Salisbury und in der rund neun Meilen weiter nördlich gelegenen Kleinstadt Amesbury mit blau-weißem Flatterband ab. „Geht es jetzt wieder los?“, fragten sich die Briten am Mittwoch.

„Dies ist ein Vorfall, der verständlicherweise mit der größtmöglichen Ernsthaftigkeit behandelt wird“, sagte ein Sprecher von Premierministerin Theresa May am Mittwoch.

Der Polizeichef von Wiltshire, Angus Macpherson, verteidigte die weiträumigen Absperrungen – man müsse „jedes Risiko kontrollieren, das es geben könnte“. Zugleich beschwichtigte er aber Befürchtungen über einen möglichen weiteren russischen Anschlag. Es gebe zunächst keinen Grund zur Vermutung, dass eine Verbindung zu den Ereignissen der letzten Monate bestehe, sagte er. Man gehe unvoreingenommen an den Fall heran, es sei nicht einmal klar, ob es sich um ein Verbrechen handele, so die Polizei.

In der Nachbarschaft des Fundorts der beiden Vergifteten, der Muggleton Road in Amesbury, sind die Leute dennoch beunruhigt nach dem großen Polizeieinsatz, der bereits am Sonnabend stattgefunden hatte. Die 32-jährige Amy Ireland sagte der britischen Tageszeitung „Guardian“: „Es ist sehr besorgniserregend. Mein Sohn spielt da draußen auf dem Rasen. Erst Salisbury, jetzt dies.“ Nachbar Justin Doghty beklagte gegenüber der BBC, die Polizei hätte die Anwohner nicht informiert. Sie hätten Beamte in Schutzanzügen gesehen, ohne zu wissen, was dort passiere.

Zunächst ging die Polizei von illegalen Drogen aus

Zunächst gingen Rettungsdienst und Polizei davon aus, dass das Paar möglicherweise illegale Drogen konsumiert hatte, wie die Ermittler berichteten. Nun werde weiter untersucht, welche Substanzen ihren kritischen Zustand verursacht hätten.

Zu den am Mittwochmorgen von der Polizei abgesperrten Grundstücken gehörte auch eine Kirche in Amesbury, an der am Wochenende ein Tag der offenen Tür gefeiert worden war – dort war das Paar offenbar zu Gast gewesen. Man habe einen wunderbaren Tag mit prächtigem Wetter gehabt, mit über 200 Gästen, darunter viele Familien mit Kindern. „Niemand sonst hat unter üblen Auswirkungen gelitten. Es gab keine Berichte von anderen Zwischenfällen“ , sagte Roy Collins von der Amesbury Baptist Church dem Sender BBC. Sie seien nun alle ziemlich durcheinander und geschockt. Die britische Gesundheitsbehörde geht derweil nicht von einer „bedeutenden Gesundheitsgefährdung“ für die Öffentlichkeit aus.

Im Skripal-Fall hatte es einige Tage gedauert, bevor die Behörden die Identität des Giftstoffes ermitteln konnten. Proben der im jüngsten Fall festgestellten Substanz sind jetzt zum Militärlabor Porton Down geschickt worden. Es ist das britische Zentrum der Chemie- und Biowaffenforschung, gilt als eines der besten der Welt und hatte im Skripal-Fall das Nowitschok-Gift identifizieren können.

Die Einwohner von Salisbury haben den Fall Skripal noch gut in Erinnerung: Die Innenstadt stand nach dem Giftanschlag wegen Ermittlungs- und Dekontaminationsarbeiten über Wochen still. Läden mussten schließen, Touristen blieben aus, Einzelhändler erlitten finanzielle Einbußen. Erst Ende Juni waren Prinz Charles und Herzogin Camilla vor Ort, um betroffene Geschäftsleute und Einsatzkräfte zu treffen. Der Besuch wurde als sehr wichtig für die Menschen von Salisbury angesehen. Jetzt flattern die Absperrbänder einer Gift-Ermittlung nur wenige Kilometer entfernt.