Berlin.

„Hast du die Schlüssel und das Geld eingesteckt?“, fragt Martha ihren Lebensgefährten beim Rausgehen. „Ich finde deine Jacke ein bisschen dünn, es soll gleich regnen.“ Dass sie die Zigaretten aus seiner Tasche herausgenommen hat, wird Bernhard erst auf dem Weg zur Bushaltestelle bemerken. Sie möchte einfach nicht, dass er so viel raucht. „Bernhard und ich machen gerade Trennkost, weil er ein paar Kilo abnehmen will“, sagte Martha neulich beim Kaffeetrinken ihrer Freundin. Das Wir benutzt sie sehr gern, weil sie denkt, dass es ihrem Freund hilft, seine Diät durchzuhalten – zusammen sei man stark für zwei, erklärte sie. Bernhard und Martha sind ein gewöhnliches Paar, beide in ihren Vierzigern, das in eine sehr klassische Beziehungsfalle getappt ist.

Immer mehr Frauen neigen dazu, ihre männlichen Partner klassisch zu bemuttern. Das ist eine Beobachtung, die zunehmend mehr Beziehungsthe­rapeuten in ihren Praxen machen. Die Verschmelzung zu einer Person mit ihrem Partner hilft den Frauen dabei oft, die Verantwortung zu übernehmen, die Männer machen es sich in der Rolle des Bedürftigen bequem. Hinter ­diesem Verhaltensmuster steckt, in Zeiten von Online-Dating und dem Aufweichen der monogamen Beziehung, natürlich der Wunsch nach Halt und Beständigkeit. Dabei sind sich ­Psychologen einig, dass es der Anfang vom Ende einer guten Beziehung ist. Einer von denen, die immer häufiger mit solchen Paarkonstellationen zu tun haben, ist der US-Therapeut William Berry. In seiner Abhandlung „Warum Männer Jungs und Frauen ihre Mütter sind“, die in der US-Fachzeitschrift „Psychology Today“ erschien, erklärt Berry: „Viele Paare begeben sich in diese Situation hinein, ohne dass es ihnen bewusst ist.“ Der Beginn sei meistens schleichend.

„Den Smoking kannst du nicht anziehen. Schatz, lass mich das mal machen“, sagte Anja, eine Anwältin, vor einer Feier ihrem Mann Thorsten. Der sei alt und passe nicht zu ihrem Kleid, und außerdem wirke sie dann total „overdressed“. Thorsten nickte nur und begleitete seine Frau am nächsten Tag zum Herrenschneider. Mitspracherecht hatte er da keins. Schlimm fand er das allerdings auch nicht. Warum ein solches Verhalten problematisch sein soll, versteht Anja bis heute nicht. Sie schmiere ja auch für Thorsten morgens Brote, genauso wie für ihre Söhne. „Das ist Fürsorge, keine Bemutterung“, findet sie. Die feine Trennlinie, die in solchen Fällen schnell verschwimmt, wolle sie in ihrer Ehe nicht sehen.

Die Frau ist immer vernünftig, der Mann darf kindisch sein

Vorbilder in Kino-Komödien wie denen mit Adam Sandler oder Til Schweiger oder die Bücher von Tommy Jaud über tollpatschige Typen in ihren Dreißigern finden sich genug. Der Mann darf den Trottel spielen, die weibliche Hauptfigur verschränkt wütend die Arme. Auch in Loriots Kultfilm „Pappa ante portas“ ist er mit sich und sie mit Augenrollen über ihn beschäftigt. Frauen werden laut dem Forscher Berry von ihren Mädchentagen an schon zu mehr Verantwortung erzogen als Jungs. Sie schauen sich von ihren Müttern vermeintliche weibliche Pflichten wie Kinderbetreuung und die Organisation des Haushaltes ab. Mit der Rolle des Vaters seien traditionell mehr das Spielen und die Freizeit verbunden.

Mit dem Papa kickt der Sohn Bälle im heimischen Garten, die Tochter hilft der Mutter beim Kochen – das ist das traditionelle Familienbild. So würden Jungs schon von frühen Kindesbeinen an lernen, dass Männer mit Spielen und Frauen mit Verantwortung assoziiert sind. Der erwachsene Mann bringe laut Berry seinen kindlichen Charme in die Beziehung ein, um zu gefallen, was die Frau mehr und mehr in eine Art Mutterrolle dränge, weil sie sein Manko an Organisationsfähigkeit ausgleichen müsse. Das Ganze sorge allerdings auch dafür, dass der gegenseitige Respekt zwischen den Partnern schwinde und jede sexuelle Spannung sich langsam ins Nichts auflöse.

Auch Paar-Expertin Elena-Katharina Sohn erlebt die mütterliche Haltung von Frauen zu ihren Partnern häufig innerhalb von Paarberatungen und hält diese für einen großen Beziehungskiller. Viele Menschen seien dem Irrtum erlegen, dass eine gute Beziehung bedeute, als Paar miteinander zu verschmelzen, also nur noch das besagte Wir zu sein, sagt die Gründerin der deutschlandweit aktiven Agentur „Die Liebeskümmerer“. Genau das sei laut Sohn jedoch falsch. Glückliche Paare zeichneten sich meist dadurch aus, dass sie zwei Ichs und ein Wir lebten – dass es also eine Schnittmenge gebe, aber genauso die beiden Individuen. In der Beziehung von Paaren wie Martha und Bernhard sei daher das Enttäuschungspotenzial schon angelegt. „Wenn das Wir zu mächtig wird, dann macht man dem Partner schneller Vorwürfe, wenn er mal keine Zeit hat. All das schadet der Beziehung.“

Bei Martha und Bernhard kommt es daher öfter zu Streit. Wenn er etwas allein unternehme, fühle sie sich ausgenutzt. „Ich tue alles für ihn, und er gibt mir nichts zurück“, sagt Martha dann. Sich um den Partner zu kümmern, sei schön, sagt Expertin Sohn, aber der Preis dürfe nicht sein, dass man sich selbst hinten anstelle, wozu viele Frauen aber neigten. Das Risiko, das die Frauen eingingen, sei, dass irgendwann die Achtung gegenüber dem jeweils anderen in der Partnerschaft fehlen würde. Betroffenen Frauen empfiehlt sie daher, ihren Mutter-Komplex in Selbstliebe umzuwandeln. Sich Zeit zu nehmen für sich, auch wenn der Partner im Raum sei. Im besten Fall würde Martha damit etwas Distanz zu Bernhard entwickeln. Und sich dann nur noch einmal die Woche fragen, ob er Fleisch in der Kantine gegessen hat.