Furchteinflößend und faszinierend: „Hereditary – Das Vermächtnis“,das Langfilm-Debütdebüt von Regisseur Ari Aster

    Ein furioser Erstling. Ein Familiendrama, das einem den Atem abschnürt. Ein Horrorfilm, dessen wohlkalkulierter Psychoterror den Zuschauer physisch malträtiert, der Urängste schürt und einer mehr und mehr zerrütteten amerikanischen Familie das Tor zur Hölle öffnet. „Hereditary – Das Vermächtnis“ ist der erste Langfilm von Regisseur (und Drehbuchautor) Ari Aster – ein perfekt umgesetzter Horrorfilm, der einen bis zur letzten seiner opulenten 128 Minuten Laufzeit in seinen Bann zieht.

    Es geht, zunächst, um Trauerbewältigung. Die Mutter der Künstlerin Annie Graham (Toni Collette) ist gestorben. Annie erschafft skurrile Miniaturen, Puppenhäuser, die sie mit realistischen Figürchen aus ihrem familiären Umfeld ausstattet. Einem Tagebuch gleich hält sie in den einzelnen kleinen Zimmern die eigene Familiengeschichte fest. Bei der Beerdigungszeremonie wundert sie sich zwar über die vielen unbekannten Gesichter unter den zahlreichen Trauergästen, misst dem aber keine große Bedeutung bei. Sie versucht stattdessen, in einer Selbsterfahrungsgruppe ihren Schmerz zu verarbeiten.

    Doch fortan geschehen seltsame Dinge. Mutter Annie wird von einem schleichenden Wahnsinn befallen. Ihre Tochter Charlie (Milly Shapiro) benimmt sich immer merkwürdiger. Ihr Sohn Peter (Alex Wolff) wird von geisterhaften Halluzinationen gepeinigt. Nur Vater Steve (Gabriel Byrne) versucht, das immer mehr aus­einanderdriftende Familiengefüge mit stoischer Ruhe zusammenzuhalten. Und doch stimmt hier etwas nicht – obwohl man lange braucht, um dieses durch schicksalhafte Ereignisse in der Vergangenheit zerrüttete Familienporträt zu durchschauen.

    Es scheint, als sei die tote Matriarchin höchst gegenwärtig. Als spuke sie durch jede Einstellung. Es ist diese Unsicherheit, die der Regisseur in präzise ausgetüftelten Einstellungen schürt und durch immer neue Wendungen und Erkenntnisse verschleiert, bis schließlich eine geradezu erlösende Aufklärung nach klassisch okkulter Horrortradition die nervenzerrende Atmosphäre, die durch die Filmmusik des Avantgarde-Saxofonisten Colin Stetson forciert wird, ein wenig aufbricht.

    Man merkt „Hereditary“ seine vielen Vorbilder von Alfred Hitchcock über Roman Polanski bis zu Stanley Kubrick durchaus an, und doch ist dieser Film auf geradezu geniale Art eigenständig, furchteinflößend, faszinierend und schockierend zugleich. Vor allem das andauernd mit der Zunge schnalzende Mädchen Charlie, das stets Großmutters Liebling war und auch nach einem tragischen Unfall höchst präsent bleibt, treibt den Wahnsinn auf verstörende Weise voran, während Mutter Annie auf immer mehr Bekannte ihrer Großmutter trifft, von denen sie bisher nichts wusste. Und schließlich das unheilvolle Vermächtnis ihrer eigenen Mutter erkennt.

    „Hereditary“ ist ein großartig durchchoreografiertes Meisterwerk, das die subtil verängstigende Kunst des klassischen Horrorfilms in die Neuzeit trägt.

    „Hereditary – Das Vermächtnis“ USA 2018, 123 Min., ab 16 J., R: Ari Aster, D: Toni Collette, Gabriel Byrne, Alex Wolff, Milly Shapiro, täglich im ­Cinemaxx Dammtor, Zeise (OmU), 3001 (OmU);
    http://splendid-film.de/hereditary-das-vermaechtnis