Intern heißen sie: Die Regiofürsten. Offiziell sind sie Redaktionsleiter in Harburg. Autorin Hanna Kastendieck hat die vier Ehemaligen besucht

    Gladbeck, Donnerstag, 18. August 1988. Geiselnehmer Dieter Degowski hält nahezu ununterbrochen seinen Revolver an den Kopf seiner Geisel, Silke Bischoff. Der SEK-Beamte Rainer Kesting hat sich mit einem in Zivil gekleideten Notzugriff-Team an das Fahrzeug herangearbeitet, verwickelt den am Steuer sitzenden Hans-Jürgen Rösner in ein Gespräch. Er könnte zugreifen. Doch er entscheidet sich dagegen. Wenige Stunden stirbt Silke Bischoff durch einen Schuss von Rösner. Zur gleichen Zeit sitzt Rolf Schriefer in der Redaktionskonferenz der „Bild am Sonntag“. Er ist stellvertretender Nachrichtenchef der Zeitung. Die Journalisten überlegen, wie sie am Sonntag über das Geiseldrama von Gladbeck berichten können. „Was können wir drei Tage später noch Neues bringen?“, fragen sie in die Runde. 24 Stunden später sitzt Schriefer im Flugzeug nach Stuttgart. Er hat eine Verabredung mit dem Waffenspezialisten Stammel aus dem Schwarzwald. Der Mann soll ihm erzählen, wie die Polizei die Täter hätte entwaffnen können. Er legt Schriefer einen Revolver in die Hand. Bruchteile von Sekunden später ist die Waffe unschädlich gemacht. „Ein gezielter Griff“, erinnert sich Schriefer, „und ich war die Pistole los!“ Noch in der Nacht schreibt er den Artikel auf. Am Sonntag lesen Millionen Menschen in Deutschland seine Geschichte.

    Rolf Schriefer kann viele solcher Storys erzählen. Er ist Journalist, durch und durch. Einer, der für seine Themen brennt. Leidenschaftlich als Reporter und akribisch als Chef der Harburger Regionalausgabe, die er von 2001 bis 2011 geleitet hat. Seine journalistische Laufbahn beginnt in Harburg. Das ist 1979. Mit dem Magister für Geschichte und Germanistik in der Tasche macht er sich auf den Weg zum Abendblatt. Dort werden für die Stadtteilseiten Reporter gesucht. Seine erste Geschichte schreibt er über die Forellenzucht in Gut Schnede. Bald kennt ihn jeder in Harburg und Landkreis, den rasenden Reporter mit seinem Opel Rekord, Baujahr 1975, froschgrün. Dennoch wechselt er 1984 zur „Lüneburger Landeszeitung“, zwei Jahre später zur „Bild am Sonntag“. 1991 geht er zum „Berliner Kurier“ nach Ostberlin. „Es waren wilde Zeiten“, erinnert sich Schriefer. „Wir haben zeitweise drei Ausgaben pro Tag gemacht.“ Seine Frau, die drei Kinder sieht er nur an den Wochenenden. 1993 kehrt er nach Hamburg zurück. 2001 holt ihn Abendblatt-Chefredakteur Menso Heyl nach Harburg. Weil Schriefer einer ist, der sofort sieht, was die Menschen bewegt. Den Kollegen sagt er: „Leg deinen Block weg. Schreibe auf, was dir von einer Geschichte in Kopf und Herzen bleibt.“

    Als Quarrendorfer kennt er den Landkreis genauso gut wie den Bezirk, in dessen Zentrum am Harburger Ring die Redaktion ihren Sitz hat. Und er hat Spaß am Lokalen. „Zeitung muss wie eine Wundertüte sein“, sagt er. „Für jeden muss etwas dabei sein.“ Eine Geschichte, die ihn besonders berührt hat, ist der Tod von Oberkreisdirektor Hans Bodo Hesemann. Noch am Abend zuvor hat sich eine Abendblatt-Kollegin zur Homestory mit dem 59-Jährigen getroffen. Statt eines Hausbesuchs muss sie einen Nachruf schreiben.

    2011 erkrankt Rolf Schriefer an Prostatakrebs. „Ich habe mich gefragt: ‘Rolf, wie lange hast du noch — und solltest du vielleicht mal anders denken?’“ Er ist 62 Jahre alt, als er das Ruder in Harburg an seinen Nachfolger Frank Ilse abgibt, sich auf seine BMW R1100 RT, Baujahr 1998, schwingt und dem Ruhestand entgegen braust.

    „Unter uns Pastorentöchtern“, sagt er. „Kennen Sie den Spruch von Hans-Joachim Kulenkampff?“ Der Entertainer hat mal gesagt: „Mit jedem Tag, den ich älter werde, steigt die Zahl derer, die mich am Arsch lecken können.“ Auch Schriefer hat den Spruch schon mal rausgehauen, als er sich über einen Kollegen geärgert hat. „Ich habe mich entschuldigt“, sagt er. „Aber – und das bleibt unter uns – gemeint habe ich’s dennoch so.“